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Wenn es schnell gehen muss

Von Werner Reisinger

Politik

Das Schwierigste zuerst, scheint das Credo von Türkis-Blau zu sein. Doch es formiert sich Widerstand. Eine Sommerbilanz.


Wien. "Schritt für Schritt dem Gipfel entgegen" - unter diesem Motto wanderte Bundeskanzler Sebastian Kurz jüngst mit Weggefährten und Anhängern den Grazer Hausberg, den Schöckl, hinauf. Vieles habe man in dem einen Bestandsjahr der türkisen Bewegung bereits erreicht, vieles sei noch zu erreichen.

Für Kurz und seinen Koalitionspartner FPÖ ist Geschwindigkeit der Schlüssel zum Erfolg. Das weiß der Kanzler nicht nur aus der Zeit von Schwarz-Blau 1, "speed kills" war auch die Methode des damaligen Kanzlers und Kurz-Vertrauten Wolfgang Schüssel. Eine Lektion der Nullerjahre: Was politisch besonders schwierig umzusetzen ist, muss sofort durchgezogen werden, am besten noch in den sprichwörtlichen ersten 100 Tagen. Dementsprechend musste der Kanzler bei Themen, die in das komplexe Gefüge zwischen Bund und Ländern und damit in das Terrain der "alten" ÖVP und ihrer starken Landeshauptleute eingreifen, ein Zeitfenster nach den Landtagswahlen im Frühjahr und der EU-Ratspräsidentschaft nutzen.

Genau das tat er: die Zusammenlegung der Krankenkassen, die Sparreform bei der AUVA und nicht zuletzt der Beschluss des Zwölf-Stunden-Tages, wurden allesamt von Türkis-Blau im Eiltempo und noch vor dem Sommer beschlossen.

"Große Enttäuschung"

Noch spürt die ÖVP von den wenig populären Entscheidungen, die der bisher vorwiegend mit sich selbst beschäftigten Opposition praktisch in den Schoß gefallen waren, in den Umfragen nichts. Stabil hält sie sich bei rund 34 Prozent. Den Ärger der Arbeitnehmer bekommt da eher die FPÖ von Vizekanzler Heinz-Christian Strache ab. Dennoch beginnt die bisher absolut bruchdichte türkis-schwarze Front für zu bröckeln. Und das gleich an mehreren Schauplätzen.

Da ist zum einen die ÖVP-Westachse, bestehend aus Tirol, Vorarlberg und Salzburg. "So überfallsartig ist es nicht gut, das führt zu Verunsicherungen", übte vergangene Woche Tirols Landeshauptmann Günther Platter, der längstdienende schwarze Landeschef, Kritik an der Umsetzung des Zwölf-Stunden-Tages. Er hätte sich eine ordentliche Begutachtung des Entwurfs gewünscht. Platter stärkte auch den Sozialpartnern den Rücken. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner wiederum ist alles andere als zufrieden mit den Plänen der Kassenreform und FPÖ-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein. Die von den Landeskassen erwirtschafteten Summen sollen im Land bleiben, verlangt er. Bekenne sich die Regierung nicht dazu, werde es "unangenehm" und die "Tonlage schärfer". Die eher beiläufige Entscheidung der Regierung, die Länder bei der Bezahlung von Lehrer-Planstellen über das Soll hinaus künftig stärker zur Kasse zu bitten, verlangt Wallner gar "ausdrücklich zurückzunehmen".

Während man kritische Zwischenrufe aus Tirol und Vorarlberg auch als Pflege der jeweiligen schwarz-grünen Koalitionen auf Landesebene verstehen kann, tritt anderswo der Dissens offen zutage. In Oberösterreich protestieren führende ÖAAB-Funktionäre und christlichsoziale Gewerkschafter nicht nur gegen den Zwölf-Stunden-Tag, sondern auch gegen "ihren" Mann im ÖVP-Führungsteam, ÖAAB-Bundesobmann und Klubchef im Parlament, August Wöginger. "Er ist für mich die große Enttäuschung", sagte Karl Kapplmüller, immerhin Chef der schwarzen Gewerkschaft FCG bei den Metallern, in der "Presse". Er wolle aus dem ÖAAB austreten, als Christlichsozialer könne er es nicht mehr mittragen, dass Wöginger "hauptsächlich nur mehr Arbeitgeberinteressen" vertrete. In seinem Bezirk Perg in Oberösterreich hätten bereits zahlreiche Mitstreiter den ÖAAB enttäuscht verlassen, die Stimmung sei schlecht. Wöginger urlaubt derzeit, noch ist er deshalb für eine Stellungnahme zum Protest seiner ÖAAB-Kollegen nicht erreichbar.

Im Umfeld der Bundespartei will man das nicht so stehen lassen. In seinem Wahlkreis und auch bei Austausch mit christlichsozialen Arbeitnehmern ergebe sich für ihn ein "differenziertes Bild", sagt etwa Wolfgang Gerstl, Nationalratsabgeordneter und stellvertretender Chef des Wiener ÖAAB. "Ich bin der festen Überzeugung, dass viele von der neuen Regel profitieren werden - gerade Junge, die sich etwas aufbauen wollen."

ÖAAB im Wahlkampf?

Dass es gerade die stark wirtschaftsdominierten Oberösterreicher sind, die sich öffentlich gegen den Zwölf-Stunden-Tag stellen, sieht Gerstl eher in den dort "besonders aktiven" Kritikern, die viel Einfluss hätten, begründet.

In der Tat müssen die schwarzen Gewerkschafter befürchten, bei den kommenden AK-Wahlen im März 2019 die Rechnung für die Vorgehensweise der Regierung bei der Arbeitszeit präsentiert zu bekommen. Für ihre sozialdemokratischen Kollegen ist das Thema Zwölf-Stunden-Tag wie ein aufgelegter Elfmeter. Doch geht es den schwarzen Arbeitnehmervertretern wirklich nur um die kommende Wahl? Dagegen spricht, dass der Unmut vor allem unter den oberösterreichischen Parteifreunden schon länger wächst. Dass dem Lehrergewerkschafter Paul Kimberger der Posten des Bildungsdirektors - entgegen der Tradition - verwehrt wurde, habe man nicht verstanden, sagte Helmut Feilmair, stellvertretender ÖAAB-Landesobmann. Widerstand gegen Regierungsvorhaben kommt auch von ehemaligen ÖVP-Parteigranden aus Oberösterreich. So unterstützt Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner offen eine Aktion, die sich für ein Bleiberecht von Flüchtlingen ausspricht, die erfolgreich eine Lehrausbildung absolvieren.

Den FCG- und ÖAAB-Kollegen gehe es um ihren Einfluss und ihre Positionen, ist von manchen ÖVP-Bundespolitikern hinter vorgehaltener Hand zu hören. "Die Kollegen sollen sich nicht vor den roten Karren spannen lassen", versuchte der burgenländische ÖAAB-Chef Christian Sagartz seine rebellischen Kollegen, die neben Oberösterreich in Tirol besonders laut sind, zur Räson zu bringen. Ob Sebastian Kurz bei weiteren schwierigen Vorhaben mehr Umsicht walten lassen wird?