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Dürfen Lehrer politisch sein?

Von Jan Michael Marchart

Politik

Seit ein FPÖ-Abgeordneter einen Vortrag in einer Linzer Schule abbrechen ließ, sind Politiklehrer stark verunsichert.


Wien. Im März 2017 vibrierte das Handy des oberösterreichischen FPÖ-Abgeordneten Roman Haider vermutlich mehrmals. In der Nachricht waren Folien eines Extremismusvortrags, der zeitgleich an einem Linzer Gymnasium stattfand. Abgeschickt hatte sie sein Sohn. Haider rief den Schuldirektor an, der den Vortrag abbrach. Zu unrecht, wie später bekannt wurde.

Thomas Rammerstorfer, freier Autor und Finanzreferent der Grünen, referierte vor 70 Schülern der 8. Klasse über Salafisten, Staatsverweigerer, Graue Wölfe, aber auch über Burschenschaften und die FPÖ. "Es ist eine Frechheit, eine Parlamentspartei mit Extremismus in Verbindung zu bringen", sagte Haider. Der Vortrag sei "eine unfassbare Zumutung mit politischem Kalkül" gewesen. Sein Sohn habe diesen zwangsweise besuchen müssen.

In Oberösterreich richteten die Freiheitlichen daraufhin eine Meldeplattform ein, die inzwischen inaktiv ist. Schüler wurden dazu aufgerufen, Fälle von "parteipolitischer Beeinflussung an Schulen" anonym zu melden.

Das ist der Widerspruch einer Partei, die die Grenzen des öffentlich Sagbaren zwar ständig strapaziert, aber ein Problem mit der grenzenlosen Redefreiheit in den Klassenzimmern hat, wenn sich die Kritik gegen sie richtet. Die Freiheitlichen fühlten sich diskriminiert, von Rammerstorfer sei das Neutralitätsgebot gebrochen worden. Den Extremismusexperten bezeichnet die FPÖ als "linksextrem" und "hetzerisch".

Politiklehrer sind verunsichert

Der Fall aus Linz sorgte für Wirbel und brachte einmal mehr die sensible Frage auf, was Politische Bildung ist und darf. Lehrer waren verunsichert, befürchteten noch stärker als bisher, sich angreifbar zu machen, wenn und wie sie Politik unterrichten. Darf ein Lehrer eine politische Meinung haben? Ab wann beeinflusst er seine Schüler? Solche Fragen kursierten verstärkt in Lehrerzimmern und auf Fortbildungsseminaren. Andere Lehrer verharrten fortan als Eigenschutz in einer Neutralität, die es im Politikunterricht gar nicht geben kann.

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Philipp Mittnik - Leiter des Zentrums für Politische Bildung

Als Reaktion hat das Zentrum für Politische Bildung der Pädagogischen Hochschule Wien eine 52 Seiten starke Handreichung mit dem Titel "Was darf Politische Bildung?" veröffentlicht, um Lehrern mehr Sicherheit im Politikunterricht zu geben, "um so langfristig zu einem höheren Demokratieverständnis in der Gesellschaft zu gelangen", heißt es darin.

Wann ein Lehrer seine Schüler indoktriniert, entscheidet jedenfalls keine Partei, sondern ein von deutschen Linken und Konservativen hart erstrittener Grundsatz, der seit mehr als fünfzig Jahren gilt: der Beutelsbacher Konsens. Dieser besagt, dass Lehrer ihren Schülern keine Meinung anerziehen dürfen (Überwältigungsverbot), dass Themen kontroversiell unterrichtet werden müssen (Kontroversitätsgebot) und dass Schüler im politischen Prozess eigene Entscheidungen treffen können sollen (Interessenorientierung).

Die Krux mit der Neutralität

Der Politikunterricht hat nicht die Meinungs-, sondern die politische Urteilsbildung zur Aufgabe. Das heißt, dass es für Schüler förderlich ist, wenn Lehrer ihre Meinung kundtun, nur müssen sie diese als die ihre kennzeichnen und als eine von vielen darstellen.

Keinesfalls könne aus dem Konsens abgeleitet werden, "dass Lehrer politisch neutral unterrichten müssen", sagt der Leiter des Zentrums für Politische Bildung und einer der Autoren des Leitfadens, Philipp Mittnik. Dies sei eine weitverbreitete Fehlinterpretation.Einerseits weil die Objektivität allein durch die Auswahl der Schwerpunkte und Materialien nicht mehr gegeben sei und andererseits, "weil man menschrechtsfeindlichen und demokratiegefährdenden Aussagen gegenüber nicht neutral sein kann". Diese würden in der Schule zum Alltag gehören, sagt Mittnik. Sie sei schließlich ein Spiegel der Gesellschaft.

Viele Lehrer trauen sich dennoch nicht, sich politisch zu äußern, "obwohl es wenige Berufe gibt, die so geschützt sind." Das liege auch an der mäßigen Lehrerausbildung im Bereich der Politischen Bildung und auch die politischen Konflikte dieser Welt würden im Unterricht viel zu wenig vorkommen, sagt Mittnik.

Der Politikunterricht sei ein Balanceakt zwischen Positionierung und Zurückhaltung, es gehe um Differenzierung und darum, rationales Denken zu fördern. Wenn Lehrer aber nie Stellung beziehen, behindere das den Aufbau eines demokratischen Bewusstseins, sagt Mittnik, der 14 Jahre lang Politische Bildung unterrichtet hat. "Außerdem bleiben so problematische Meinungen einfach stehen."

Womit man heute provoziert

Ein Beispiel dafür sei der Umgang mit Extremismus. "Womit können Jugendliche denn heute noch provozieren", fragt Mittnik. "Früher warst du mit blauen Haaren ein Verrückter, heute provozieren junge Menschen mit Nationalismus, Neonazismus und Salafismus." Lehrer müssten geschult werden, wie man damit umgeht. In den meisten Fällen sei das keine tiefideologische Überzeugung. "Schüler werden aber nur bestraft, anstatt zu erklären, warum das nicht geht", sagt Mittnik. Das heiße nicht, dass man jeden Schüler erreicht, "aber man hat aufgehört, "an die Ursachen zu kommen".

Mittnik hält den politischen Diskurs in der Schule für wichtig. "Die Schule kann die Instanz sein, die sagt, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann, dass man sogar gegen den Flüchtlingszustrom sein kann, aber nur, wenn Argumente daraus folgen."

Es wäre schön, wenn Frauen weniger benachteiligt wären, sagt er, oder wenn die Regierung sachlich über Migranten sprechen würde. "Aber es gibt Gründe, warum das nicht so ist", so Mittnik. "Sich diese Gründe anzusehen, dort fängt Politische Bildung an." Das seien nicht immer sympathische Gründe. Demokratie, sagt Mittnik, sei nicht immer sympathisch, aber sie sei die bessere Alternative.

Dem Politikunterricht könnte indes "ein Rückschritt um 30, 40 Jahre drohen", sagt Mittnik. Als eine der ersten Regierungen seit Jahren fordern ÖVP und FPÖ nicht explizit die Politische Bildung in ihrem Arbeitsprogramm. Hingegen soll Staatskunde neben der politischen Bildung im Unterricht ab der 5. Schulstufe (bisher 6.) stärker vorkommen. "Das ist etwas völlig anderes, das ist Institutionenlehre", so Mittnik. Das Bildungsressort sieht das anders. Das eine schließe das andere nicht aus. Die Staatskunde werde die Politische Bildung nicht beeinträchtigen.

Was darf politische Bildung? Der Leitfaden zum Download.