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Wenn im Beruf der Krebstod lauert

Von Karl Ettinger

Politik

Nach einer Hochrechnung haben krebserregende Stoffe bei Arbeitnehmern fast 2000 Todesfälle pro Jahr zur Folge.


Wien. Auf Böschungen sind sie seit Wochen im Einsatz: Männer in oranger Arbeitskluft, die mit einer umgegurteten Motorsense das Gras bei Sträuchern wegschneiden. Was den Schwitzenden oft gar nicht bewusst ist, weil sie im Freien und in der Luft arbeiten, ist der Benzol-Ausstoß der handgeführten Geräte. Die krebserregende Substanz gilt als eine spezielle Gefahrenquelle, dass Beschäftigte später an Krebs erkranken und sterben. Davor warnt zumindest die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA).

Man würde es gar nicht vermuten. Aber nach einer für Österreich hochgerechneten Studie aus dem Jahr 2014 des Finnen Jukka Takala gibt es hierzulande knapp 2000, nämlich 1820 Krebstote, die ihre Ursache in der Belastung mit krebserregenden Stoffen am Arbeitsplatz haben. Zum Vergleich: Die Zahl der regulären Arbeitsunfälle ist rückläufig und lag im Vergleichsjahr 2014 bei 192 Arbeitnehmern, die bei der Ausübung ihres Berufs den Tod fanden.

Arbeitnehmer-Sensibilisierung

Es gibt demnach - bei aller Vorsicht mit Blick auf hochgerechnete Daten - mehr als zehnmal so viele arbeitsbedingte Krebstote als Tote aufgrund von Arbeitsunfällen. In der EU gibt es laut der Studie pro Jahr 120.000 arbeitsbedingte Krebserkrankungen mit Todesfolge. Unfälle machen 2,4 Prozent der Todesfälle, psychische Erkrankungen 5,7 Prozent, Krebserkrankungen hingegen mehr als die Hälfte mit 53 Prozent. Diese Zahlen haben sowohl die Spitzen der Krankenkassen, aber auch Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer sowie die Fachleute in der AUVA wachgerüttelt. Die Unfallversicherungsanstalt hat deswegen Anfang Juni eine Kampagne gestartet, die bis zum Jahr 2020 läuft.

"Uns geht es nicht darum, den Leuten Angst zu machen, weder den Arbeitnehmern noch den Arbeitgebern", betonen Marie Jelenko und Silvia Springer von der Abteilung Prävention in der AUVA im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Aufgabe sehe man vielmehr darin, für Aufklärung und eine "Bewusstseinsbildung" zu sorgen. Es gehe dabei vor allem um den sicheren Umgang mit etwaigen Gefahrenstoffen in der Arbeitswelt. Das sei besonders notwendig, weil die Latenzzeit, bis es zum Ausbruch einer Krebserkrankung kommt, so lang sei.

Krebserregende Gefahrenstoffe, auf die die Unfallversicherungsanstalt Beschäftigte und Dienstgeber mit ihrer Kampagne aufmerksam machen will, kommen in unterschiedlichen Arbeitsbereichen vor. So sind von Benzol nicht nur die Männer mit den Motorsensen betroffen, sondern auch Mechaniker in Kfz-Werkstätten oder Beschäftigte auf dem Bau und im Baunebengewerbe, die mit Motorsägen hantieren. Bei der Metallverarbeitung sind es hingegen Chrom-Verbindungen oder Nickel, Cadmium und Cobalt beim Schleifen und Bohren von Metallteilen. Bei der Holzverarbeitung sind es Holzstaub und möglicherweise auch Formaldehyd.Die beiden AUVA-Expertinnen verweisen auch auf ein viel simpleres Beispiel. Man solle nur einmal an einen Kindergarten denken, in dem beim Putzen regelmäßig ein Reinigungsmittel über längere Zeit verwendet wird. Da wüssten die Kindergärtnerinnen dann gar nicht, dass auch eine krebserzeugende Substanz zum Einsatz gekommen ist. Dieses Beispiel eignet sich auch gut, um zu unterstreichen, dass in manchen Fällen ganz einfach Abhilfe geschaffen werden kann. Es muss nur auf ein anderes Putzmittel ohne krebserregende Substanz umgestellt werden.

Was die Arbeitgeber betrifft, so gilt ein Schwerpunkt der Aufklärung dem Umstand, dass lediglich andere Stoffe zum Einsatz kommen müssten. Außerdem gehe es um neue technisch-organisatorische Maßnahmen, damit die Mitarbeiter in einem Betrieb künftig besser gegen Einwirkungen geschützt werden. Aber auch da gelte oft, dass Arbeitgeber gar nicht richtig wissen, welche Stoffe krebserregend sind.

Die Kampagne der AUVA will vor allem die Arbeitnehmer sensibilisieren. Im Mittelpunkt steht in diesem Zusammenhang das Thema Hygiene. Auch da könnten einfache Vorkehrungen wertvoll sein. Dazu zählt, dass die Berufskleidung getrennt von der Privatkleidung aufgehängt beziehungsweise untergebracht wird. Damit soll vermieden werden, dass krebserregende Stoffe gleichsam vom Arbeitsplatz mit nach Hause geschleppt werden. Im schlimmsten Fall könne dies sogar dazu führen, dass sonst auch die Kinder eines Beschäftigten mit diesen Stoffen in Kontakt kommen.

Größte Gefahr: Asbest

85 Prozent der arbeitsbedingten Krebserkrankungen sind laut Studie auf zehn Gefahrenstoffe zurückzuführen. Mit deutlichen Abstand liegt dabei das seit Jahren verbotene Asbest voran. Zwei Drittel des Asbests wurde im Schnitt der Länder in Asbestzementprodukten wie Dächern, Mauern und Wasserrohren verwendet. "Wir haben jetzt mit den Altlasten aus den 50er und 60er Jahren zu kämpfen", erläutern Jelenko und Springer von der AUVA. Oft seien die Arbeitnehmer mittlerweile längst in Pension und man denke bei einer Krebserkrankung gar nicht mehr daran, dass dieser vor der früheren Arbeit mit Asbest herrühren könne. Insgesamt sei man sich einer "sehr hohe Dunkelziffer arbeitsbedingter Krebstoter" bewusst. Das liege oft an den langen Latenzzeiten, bis die Krankheit ausbricht. Von den Krankenkassen werden diese Daten über arbeitsbedingte Krebstote auch im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt mit der Regierung um den Erhalt der Unfallversicherungsanstalt angeführt. Zwar gehe die Zahl der Arbeitsunfälle, für die die AUVA mit ihren Unfallspitälern und Reha-Zentren zuständig ist, zurück. Vorbeugung und Behandlung von Krebserkrankungen durch Gefahrenstoffe am Arbeitsplatz seien inzwischen aber umso dringender notwendig.