Zum Hauptinhalt springen

Armut bedeutet Sorgen

Von Martina Madner

Politik
© stock.adobe.com/monropic

Wohnen, Krankheit, Arbeitslosigkeit: Von Armut betroffene Menschen beschäftigen vor allem existenzielle Probleme.


Wien. Wenn Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) vom Boulevard zum Thema Mindestsicherung befragt wird, kann es zu bemerkenswerten Aussagen kommen. So geschehen im Interview von oe24.tv, als sie auf die Bemerkung des Interviewers: "Wenn man von 150 Euro leben kann", sagte: "Wenn man die Wohnung auch noch bekommt, dann sicher."

In einem Interview der "Kronen Zeitung" sagte sie auf die Armutsgefährdungsschwelle von 1238 Euro von Alleinlebenden angesprochen: "Das sind Statistiken, die ich nicht in Frage stellen will." Um gleich im Nachsatz auf ein anderes Thema einzugehen. Sie finde es "komisch", "dass ein Mensch ins Kino gehen muss, um an der Gesellschaft teilzuhaben." Und: "Ich finde nicht, dass Kino überlebensnotwendig ist."

Tatsächlich beschäftigen sich Menschen, die von Armut betroffen oder gefährdet sind wie zum Beispiel jene, die Mindestsicherung beziehen, weniger mit der Frage, ob sie sich einen Kinobesuch leisten wollen, als mit dem Dach über dem eigenen Kopf, dem Gesundheitszustand und der Suche nach existenzsichernder Arbeit. Das wissen Beratungsstellen, an die sich von Armut betroffene wenden.

Das zeigt aber auch eine Sonderauswertung der EU-Silc-Daten der Jahre 2015 bis 2017 zu den Lebensbedingungen von Haushalten mit und ohne Mindestsicherung (BMS). Sie zeigt nicht nur, dass sich 38 Prozent der Mindestsicherungsbezieher mit Kosten verbundene Freizeitaktivitäten, also Kino zum Beispiel, nicht leisten können, sonst sind es sieben Prozent. Nadja Lamei, Projektleiterin für EU-Silc bei der Statistik Austria, berichtet von 27 Prozent BMS-Haushalten "mit erheblichen Einschränkungen des Lebensstandards". Sie konnten sich also vier der neun folgenden Dinge nicht leisten: unerwartete Ausgaben bis zu 1160 Euro, einmal im Jahr Urlaub, jeden zweiten Tag Fleisch oder Fisch, ein Auto, einen Fernseher, eine Waschmaschine, ein Telefon oder Handy und das Heizen in der Wohnung. Zum Vergleich: In Haushalten ohne BMS-Bezug sind es drei Prozent.

Mangel an leistbarem und gesunden Wohnraum

Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz, einer Art Dachverband, über den sich Schenk auch mit Vertretern anderer Sozialeinrichtungen austauscht, sagt: "Problem Nummer eins, mit dem die Leute zu uns in die Beratung kommen, ist, wenn das Wohnen nicht mehr leistbar ist." Häufig entstehe das Problem nach einem Einkommensverlust, etwa durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder wenn Menschen in Pension gehen.

Auch Karin Heitzmann, Sozialökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien, stellte in qualitativen Interviews fest, dass für Menschen, die von Armut betroffen sind, "Wohnen oft zur ganz dramatischen Geschichte wird". Das Wohnungsangebot sei insbesondere in den Städten Salzburg, Innsbruck und Wien knapp und teuer. Bei Flüchtlingen oder Menschen mit Migrationshintergrund sei Diskriminierung ein Grund für eine schwierige Wohnungssuche. Es zeige sich aber auch insgesamt: "Für Leute, die arbeitslos werden, kann Wohnen rasch zum Problem werden."

Das Wohnproblem zeigt sich auch in einer EU-Silc-Sonderauswertung zu den Haushalten mit und ohne Mindestsicherungsbezug - und zwar in mehrfacher Hinsicht. Menschen, die Mindestsicherung (BMS) beziehen bezahlen pro Quadratmeter mehr Miete: In Gemeinden mit über 100.000 Einwohnern fällt für sie durchschnittlich 9,3 Euro Quadratmeter an, für andere aber 7,7 Euro. Zwölf Prozent der BMS-beziehenden Haushalte hatte schon zweimal oder öfter Zahlungsrückstände bei der Miete, sonst ist es ein Prozent. "Das Problem ist, dass bei drei nicht bezahlten Mieten schon die Delogierung droht", sagt Schenk.

Dass Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer des Dachverbands der Schuldnerberatungen Österreichs jene, die in die Beratung kommen, als "Menschen, die viel, viel weniger verdienen und die häufig mehr als die Hälfte fürs Wohnen ausgeben" beschreibt, scheint deshalb nicht weiter verwunderlich.

Darüber hinaus lässt die Wohnqualität zum Teil zu wünschen übrig: Laut EU-Silc-Auswertung können sich 14 Prozent der Haushalte mit Mindestsicherung keine beheizte Wohnung leisten, sonst sind es zwei Prozent. Schenk berichtet außerdem vom Druck, rasch eine Wohnung anzunehmen, "auch wenn sie gesundheitsgefährdend ist". Mit 22 Prozent sind doppelt so viele Menschen mit Mindestsicherung mit Feuchtigkeit, Fäulnis und Undichtheit ihrer Wohnung konfrontiert als Haushalte, die keine Mindestsicherung beziehen.

Wenig Geld macht krank - und umgekehrt

Krankheiten sind ein Risiko dafür in Armut abzurutschen, Armut bessert Krankheiten nicht - im Gegenteil: "Bei von Armut betroffenen Menschen ist ein drei Mal so hohes Stresslevel nachweisbar als im Durchschnitt", sagt Schenk - und: "Insofern kann Kino zur Entspannung schon helfen, Armut zu verringern", sagt er auch.

Lamei von der Statistik Austria weist darauf hin, dass sich 26 Prozent der Personen, die in Haushalten mit Mindestsicherung leben, sich keine ausgewogene Ernährung leisten können, in Haushalten ohne BMS sagen das fünf Prozent.

58 Prozent sind chronisch krank, in Haushalten ohne Mindestsicherungsbezug sind es niedrigere 32 Prozent. "Auch psychische Erkrankungen und Erschöfpungsdepressionen sind ein großes Risiko, in Armut abzurutschen", sagt Schenk. Die Behandlung chronischer und psychischer Erkrankungen dauere länger: "Oft kann man auch nicht mehr den selben Job wie davor annehmen."

Heitzmann sagt außerdem: "Leistbare Therapieangebote bei psychisch Erkrankungen fehlen, insbesondere am Land."

Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen

Fatal ist es, wenn die Arbeitslosigkeit länger als zwölf Monate andauert - denn von dieser Gruppe sind laut Statistik Austria 80 Prozent armuts- und ausgrenzungsgefährdet, unter Personen ohne österreichische oder EU-Staatsbürgerschaft 50 Prozent, in Haushalten mit nur einem Elternteil 47 Prozent.

Jene mit einem höheren Bildungsniveau sind weniger häufig und kürzer arbeitslos. Mitterlehner von der Schuldnerberatung rät deshalb dazu, im Schulsystem anzusetzen. Sprachkenntnisse, Arbeitsmarktprojekte und Familienberatung sind für Schenk die notwendige Maßnahmen gegen Armut, "Projekte, bei denen aktuell gespart wird".

Ist man einmal arm, dauert es übrigens lange, wieder herauszukommen. Laut OECD brauche man in Ländern in Skandinavien zwei Generationen, bis man sich von einem sehr niedrigen Einkommen zu einem durchschnittlichen hocharbeitet, sagt Mitterlehner: "In Österreich sind es heute fünf Generationen."