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Pflege als Dauerprovisorium

Von Simon Rosner

Politik

Gemeindebund-Chef Alfred Riedl fordert einen Konvent für deren langfristige Finanzierung.


Wien. Wahlkampf ist wie Weltspartag. Wer hingeht, wird beschenkt. Es gibt Kugelschreiber, Feuerzeuge und Schlüsselanhänger. Das sind die günstigen Wahlzuckerl. Teuer wird es dann, wenn sich Parteien im Wahlkampf zusammenschließen, um gemeinsam ein Geschenk zu schnüren. Vergangenes Jahr war dies der Beschluss im Nationalrat zum Pflegeregressverbot. Der kostet wohl 200 Millionen Euro aufwärts.

Für Länder und Gemeindebund war dieses Wahlgeschenk ein Fanal. Denn am Ende hätten sie dafür zahlen können, was die Bundespolitik beschloss. Weshalb sie sofort versuchten, den finanziellen Ausfall beim Bund, nun ja, zu regressieren. Der Streit zog sich über Monate, Finanzminister Hartwig Löger musste schließlich Zugeständnisse machen.

Die langfristige Finanzierung der Pflege ist dadurch freilich nicht gelöst worden. Wie in der Vergangenheit wurde auch diesmal nur eine offene Wunde notdürftig verbunden. Dabei stand die nachhaltige Finanzierung der Pflege seit zehn Jahren in sämtlichen Regierungsprogrammen, und auch diesmal ist dieses Ziel enthalten. Passiert ist bisher noch nichts, Alfred Riedl, Präsident des Gemeindebundes, ist aber zuversichtlich, dass es im Herbst einen "Pflegekonvent" geben wird oder zumindest begonnen wird, ihn zu organisieren. "Weil sonst machen wir es mit den Ländern", sagt er.

Es soll dort eben um eine echt langfristige und ganzheitliche Lösung gehen. Die Abschaffung des Regresses, sagt Riedl, habe nämlich nun endgültig die teuerste Pflegeform, die stationäre Pflege, zur günstigen für die Betroffenen gemacht. Zudem sei es nicht das, was die Pflegebedürftigen wünschen, sie wollen vielmehr so lange wie möglich daheim bleiben.

Ein Pflegebett in einer stationären Einrichtung kostet, je nach Aufwand, etwa 3000 Euro aufwärts pro Monat. "Dass irgendwann alle in einem Heim betreut werden, ist unfinanzierbar", sagt Riedl. Er sieht zwar grundsätzlich das Verbot des Pflegeregresses positiv, "man hat aber den zweiten vor dem ersten Schritt gemacht". Er vermisse Rahmenbedingungen, die andere Formen der Pflege gegenüber der stationären privilegieren. Da diese Fragen aber in unterschiedliche Zuständigkeiten und Ressorts fallen, bedarf es eben eines multidisziplinären Ansatzes - deshalb eine Art Konvent.

Derzeit werden 84 Prozent aller 455.000 Bezieher von Pflegegeld daheim versorgt, wobei darunter auch viele Personen sind, die keine echte Pflege benötigen, sondern nur eine spezifische Betreuung, wenn nicht mehr alle Tätigkeiten im Haushalt ausgeführt werden können. In diesen 84 Prozent befinden sich auch jene Pflegebedürftigen, die eine 24-Stunden-Betreuung erhalten. Auch hier steigt der Bedarf stetig.

"Junge Alte" einbinden

Gesellschaftliche und demografische Entwicklungen begünstigen diesen Trend. Die Menschen werden älter, sie haben weniger Kinder, die Zahl der Erwerbstätigen geht zurück. Manche Regionen sind schon heute von Überalterung betroffen, die Jungen ziehen weg und können so auch nur bedingt Hilfe leisten, wenn die Eltern und Großeltern diese benötigen. Die steigende Erwerbsquote, vor allem bei Frauen, gehört auch zu jenen Entwicklungen, die die Betreuung und Pflege daheim zunehmend schwieriger macht. Nach wie vor wird die häusliche Pflege fast ausschließlich von Frauen geleistet.

Dem gegenüber steht aber auch eine wachsende Zahl "junger Alter", wie Riedl sie nennt. Damit sind 65-Jährige aufwärts gemeint, die noch viele gesunde Jahre vor sich haben. "Sie wollen aktiv bleiben und sich engagieren." Gelingt es, diese Menschen einzubinden, könnte man dem System Milliarden sparen. "Und das muss auf kommunaler Ebene organisiert werden", so Riedl.

Im ganz Österreich gibt es schon Ideen und Modelle, die einen Beitrag leisten, dass die Menschen länger in den eigenen vier Wänden bleiben können. Das können Fahrtendienste sein, Hilfsnetzwerke, Gesundheitsinitiativen und so weiter. "Wir brauchen dafür auch eine Art Risikokapital", sagt der Gemeindebund-Chef.

"Eine neue Fehlerkultur"

Wie dies genau organisiert und finanziert sein soll, konkretisiert Riedl nicht. Sein Hintergedanke ist aber, zu verhindern, dass die Angst vor einer schlecht laufenden Initiative, die Innovation hemmt. "Furcht vor Fehlern heißt auch, viele Chancen liegen zu lassen", sagt er. Er plädiert für eine "neue Fehlerkultur". So sollen kommunale Projekte, und zwar explizit auch solche, die sich aus diversen Gründen als nicht tauglich erwiesen haben, auf einer Plattform zum Thema Pflege präsentiert werden.

Riedl wünscht sich aber auch von der Bundespolitik bessere Rahmenbedingungen, etwa die Anrechnung von Betreuungszeiten, zudem soll es künftig rechtlich möglich sein, dass sich mehrere Personen eine 24-Stunden-Pflegekraft teilen. Das ist gegenwärtig nicht erlaubt, tatsächlich aber ineffizient - und damit teurer als notwendig.