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"Überall einen Arzt zu haben, ist eine völlige Illusion"

Von Jan Michael Marchart

Politik

Alexander Biach, Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, über Primärversorgungszentren ohne Ärzte und warum er als Finanzier der Kassenärzte keine Freude damit hat, wenn alle Patienten ins Spital gehen.


Wien. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, kurz AUVA, wird nicht zerschlagen. Der Chef des Hauptverbandes, Alexander Biach, kann durchatmen. Allerdings nur kurz. Die nächsten Reformpläne der Regierung bereiten ihm bereits Kopfzerbrechen. Eine davon ist die von der Regierung geplante Kostenbremse für die Sozialversicherungsträger, die ein zentrales Projekt der Gesundheitspolitik gefährdet: die mühsam verhandelten Primärversorgungszentren, deren Zukunft auch beim diesjährigen Europäischen Forum Alpbach Thema sein werden. Das Gespräch fand im Vorfeld des Seminars "Die Zukunft der Primärversorgung" in Alpbach am 21. August statt, an dem auch Gesundheitsministerin Beate-Hartinger Klein teilnimmt.

"Wiener Zeitung": Herr Biach, Sie sind also zufrieden mit den AUVA-Sparplänen. Die Unfallversicherung bleibt bestehen, Spitäler werden nicht geschlossen und Ärzte nicht gekündigt. Von 430 Millionen Euro sollen 135 Millionen in der Verwaltung gespart werden. Was offen blieb, ist, woher die übrigen 295 Millionen Euro kommen sollen. Wer soll das zahlen außer die Kassen?

Alexander Biach: Das ist tatsächlich unbeantwortet geblieben. Der Ball liegt bei den Gebietskrankenkassen. Die AUVA meint, dass ihre Beiträge an die Kassen um 150 Millionen Euro zu hoch sind. Wenn das stimmt, wird die AUVA weniger an die Kassen zahlen und das Geld so einsparen. Aber auch nur, wenn die Kassen das finanziell schaffen. Die müssten erst einmal in eine Gewinnkurve drehen. Das ist akut schwer, weil die Kassen durch die geplanten Fusionen in einen Umstrukturierungsprozess kommen, der gerade zu Beginn Geld kosten wird. Überfallsartig wird da nichts passieren.

Muss das Geld zwingend von den Gebietskrankenkassen kommen oder gibt es auch die Idee, dass vielleicht finanziell bessergestellte Sonderträger einspringen?

Die 150 Millionen Euro sind eine Zahlung der AUVA an die Gebietskrankenkassen. Das wird nicht anders gehen. Der Rest könnte von anderen Trägern aufgebracht werden. Man kann darüber reden, ob der Zuschuss zur Entgeltfortzahlung eher in der Selbstständigen- und Bauernkasse abgewickelt werden sollte. Aber auch diese beiden Kassen werden fusioniert und haben keine Überschüsse, sondern ein Minus. Da geht derzeit nichts.

Hand aufs Herz, aber ist das alles nicht ein Geschenk an die Wirtschaft? Da ist die schrittweise Beitragssenkung der Unfallversicherungsbeiträge für Arbeitgeber, weshalb die AUVA die Millionen einsparen muss. Und nun sollen die von Dienstgeber und Dienstnehmer gemeinsam finanzierten Gebietskrankenkassen arbeitgeberfinanzierte AUVA-Ausgaben ausgleichen. Dadurch verschiebt sich doch die Finanzierung des Gesundheitssystems weiter in Richtung Arbeitnehmer.

Ich sehe das überhaupt nicht als Geschenk an die Wirtschaft. Schließlich wird die AUVA ausschließlich von den Arbeitgebern, also der Wirtschaft, finanziert. Die Arbeitnehmer zahlen keinen Beitrag von ihrem Gehalt in die AUVA ein. Es ist daher legitim, dass der Hauptzahler auch Reformen einfordert, die keine Leistungen kürzen, diese aber billiger erbringen. Dass die Arbeitnehmer, wie behauptet. den Großteil bei der Finanzaufteilung des gesamten Gesundheitssystems zahlen, stimmt nicht wirklich. Die Beiträge bei der Krankenversicherung und bei der Pensionsversicherung teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber genau fifty-fifty, die Unfallversicherung zahlt eben zur Gänze der Arbeitgeber. Der Protest der Kostenverlagerung zählt also beim Sparen in der AUVA-Verwaltung nicht.

Und was ist mit den 295 Millionen, die die Kassen aufbringen müssen?

Die AUVA zahlt derzeit für die Behandlung von Unfallopfern im Gebietskrankenkassen-Bereich, also Spitäler und niedergelassene Ärzte, an die Gebietskrankenkassen 208 Millionen Euro. Nun behauptet die AUVA, dass sie davon 150 Millionen Euro zu viel an die Gebietskrankenkassen zahle. Wenn das stimmt, und das werden wir überprüfen, so wäre die Reduktion der Pauschalzahlung keine Verschiebung zu den Gebietskrankenkassen, sondern eine Kostenzuordnung nach dem Prinzip "Geld folgt Leistung". Wenn es nicht stimmt, dann werden wir auch keine Reduktion der Zahlung unterstützen. Es gilt bei dieser Zahlung nicht "Arbeitgeber sanieren sich auf Kosten Arbeitnehmer", sondern Kostentransparenz.

Ein anderer Posten in dem Sparpaket der AUVA sind die 110 Millionen Euro für den Zuschuss zur Entgeltfortzahlung. Der ist sicher AUVA-versicherungsfremd, weil er ja nichts mit Unfällen zu tun hat. Die Verlagerung dieses Zuschusses würde allerdings mit Sicherheit nicht an die Gebietskrankenkassen und damit auch nicht an die Arbeitnehmer erfolgen, sondern würde sich eher an die Selbstständigenkasse abtreten lassen. Damit würde die These, dass eine Verlagerung zu den Arbeitnehmern in dieser Kostenposition erfolgen würde, keinesfalls stimmen.

Ein Punkt ist abgeschlossen, der nächste wartet aber schon. Die Kassen sehen mit der von ÖVP und FPÖ angedachten Ausgabenbremse für die Kassen ein zentrales Projekt der Gesundheitsversorgung in Gefahr, nämlich die geplanten Primärversorgungszentren. Ist der Alarmismus berechtigt?

Die Schwierigkeit ist, dass in diesen Zentren Ärzte arbeiten sollen, für die gerade ein neuer Gesamtvertrag ausverhandelt wird. Durch die Kostenbremse dürfen keine Verträge abgeschlossen werden, die über dem Beitragswachstum von etwa vier Prozent liegen. Wenn wir aber zum Beispiel künftig chronisch Kranke besser versorgen wollen, dann müssen wir finanzielle Anreize bieten. Dann kann es aber sein, dass wir über der festgelegten Grenze liegen und wir keine Ärzte einstellen können.

Welches Interesse hätte die Regierung an leeren Primärversorgungszentren?

Die Regierung hat kein Interesse daran. Die Ausgabenbremse war ein Schnellschuss, deren Konsequenzen nicht bedacht wurden. Wären die Sozialpartner eingebunden worden, wäre das nicht passiert. Das Gesetz macht unsere Arbeit komplizierter. Ich bin sicher, es wird relativ rasch außer Kraft treten. Notfalls auch mit einer Verfassungsklage.

Sprechen wir genauer über die Primärversorgung. Der Reformprozess war langwierig, einen Gesamtvertrag dafür gibt es noch immer nicht. Bis ins Jahr 2021 sollen 75 solcher Zentren entstehen, was große Teile der Ärzteschaft auch angesichts des Landarztsterbens für zu wenig halten, um die Versorgung zu sichern. Wie lautet ihr Plan B?

Es ist nicht zu spät und die Zentren alleine halte ich auch nicht für das Allheilmittel. Wir haben zum Beispiel Nachholbedarf in der Versorgung durch Pflegerinnen und Apotheken, um Praxen zu entlasten. Da sind wir schwach aufgestellt. Ebenso bei mobilen Arztstellen. Um die Versorgung personell sicherzustellen, haben wir Lehrpraxen eingerichtet, um Allgemeinmediziner nachzubilden. Aber jetzt wollen wir in dieser kurzen Zeit bis 2021 zeigen, dass in diesen Mini-Ambulatorien Allgemeinmediziner auch gemeinsam mit anderen Gesundheits- und Sozialberufen zusammenarbeiten können. Damit die Patienten alles in einem Haus haben, sich Wege und Wartezeiten sparen, weil immer ein Arzt verfügbar ist. Das Gleiche kann ich am Land auch über Arzt-Netzwerke machen.

Aber gerade in entlegenen Gegenden am Land fehlen Ärzte. Mitunter, weil es unattraktiv und wenig lukrativ ist, dort eine Praxis aufzumachen. Wie mache ich es einem Jungarzt schmackhaft, beispielsweise ins Mürztal zu gehen?

Dafür müssen wir einmal den Nachwuchs im Land halten. Das läuft momentan nicht gut. Deshalb bin ich dafür, dass wir die Idee aus den Regierungsverhandlungen wieder aufgreifen und Landarztstipendien einführen. Allerdings mit der Bedingung, dass diejenigen, die das Geld bekommen, eine gewisse Zeit in Österreich abdienen. Außerdem darf nicht unterschätzen, was Gemeinden finanziell beitragen, damit sie einen Arzt in den Ort bekommt. Die Bürgermeister stellen einem dann die Ordination fast schon hin. Für die Primärversorgungszentren wurden von den Ländern und Kassen 200 Millionen an Unterstützungsgeldern paktiert. Es gibt Möglichkeiten, die man nur wahrnehmen muss.

Ich bleibe skeptisch, dass sich der Ärztenachwuchs so leicht in die Peripherie leiten lässt.

Überall einen Arzt zu haben, ist eine völlige Illusion. Da kann man an noch so vielen Schrauben drehen. Genau deshalb braucht es Arzt-Netzwerke zwischen den Gemeinden, und die Pflege und Apotheken müssen mehr in die Versorgung eingebunden werden.

Es gibt auch Kassenarztstellen, die sich schlechter nachbesetzen lassen als andere, weil die Vergütung schlechter ist als bei anderen - etwa bei der Kinder- und Jugendheilkunde. Werden Sie das angleichen?

Genau das machen wir gerade bei den anstehenden Verhandlungen in Wien und der Steiermark. Das garantiert uns aber nicht, dass die Stelle besetzt wird. Oft ist nicht das von den Ärzten oft betonte Honorar der Grund, sondern beispielsweise die Frage, ob ich in einem Team arbeiten kann oder doch alleine.

Haben Sie überhaupt ein Interesse daran, die Leistungen in den niedergelassenen Bereich zu verlagern? Ihnen kann es als Kassenchef finanziell doch recht sein, dass die Patienten ins Spital gehen.

Das war in den alten Zeiten so, als meine Vorgänger staatliche Zuschüsse bekommen haben. Ich unterliege einer schrecklichen Daumenschraube, weil ich jedes Jahr mehr in die Spitäler einzahlen muss. Das richtet sich nach dem Wirtschaftswachstum. So schnell wachsen aber meine Arztverträge nicht. Den Ärzten müsste ich ungefähr das Doppelte zahlen, damit ich auf die Summe komme, die die Sozialversicherung in die Spitäler steckt. Ich habe nichts davon, wenn die Leute in die Spitäler laufen, weil mich das viel mehr kostet. Ich werde aber nicht dafür belohnt, dass ich die Patienten aus dem teuren Spital- in den günstigeren Kassenbereich verlagere. Die Formel müsste lauten: Wenn ich Patienten umleite, zahle ich weniger für die Spitäler. Das testen wir gerade in Wien, mit der Hoffnung, es bundesweit zu etablieren.

Was überdies fehlt, ist eine Koordination der Patienten, die mit ihrer E-Card nach wie vor überall hingehen können. Das, was den Leuten am meisten wehtut, sind wohl Gebühren. Ist das für Sie ein geeignetes Mittel?

Ich weiß nicht, was mehr schmerzt: 10 Euro oder 10 Stunden Wartezeit. Letzteres tut wirklich jedem weh. Deswegen ist dieses Gesundheitstelefon so klug, das wir gerade testen. Darüber erfahren Sie, zu welchem Arzt Sie gehen sollen und welcher gerade offen hat. In der Schweiz nutzen täglich 4000 Menschen diesen Service, die Hälfte der Fälle wird gleich am Telefon erledigt. Das lässt sich bei uns einführen. Außerdem bieten wir über unsere Apps und Websites einen Service zur Klinikqualität und einen Wartezeitenmonitor für Behandlungen an, die man ausbauen kann. Es geht heute um Transparenz, nicht um Gebühren - die haben schon unter Schwarz-Blau I nicht funktioniert.

Das Gespräch fand im Vorfeld des Seminars "Die Zukunft der Primärversorgung" des diesjährigen Europäischen Forums Alpbach am 21. August statt. An diesem nimmt unter anderem Gesundheitsministerin Beate-Hartinger Klein teil.