Zum Hauptinhalt springen

Ein Werkzeug und kein Spielzeug

Von Mathias Ziegler

Politik

Tablet & Co: Die Digitalisierung bringt auch im Kindergarten neue Herausforderungen mit sich.


Wien. "Die Neuen Medien sind einfach unsere Lebenswelt, die kann man nicht mehr wegreden", sagt Elisabeth Omerzu. Sie hat sich in jüngster Zeit besonders intensiv mit dem Thema Digitalisierung befassen müssen, nämlich nicht nur als Kindergartenleiterin, sondern auch als Mutter. In ihrer ersten Funktion ist sie gerade dabei, in dem von ihr geleiteten Wiener Kinderfreunde-Kindergarten Computer und Tablets als Hilfsmittel einzuführen, in ihrer zweiten Funktion steht ihr schulpflichtiger Sohn kurz davor, sein erstes Handy zu bekommen.

Beide Entscheidungen hat sich die Elementarpädagogin nicht leicht gemacht, sagt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Aber sie stellt im fest: "Dass hier der Kindergarten außen vor bleibt und wir nur bei Holzbausteinen und Montessori-Spielmaterial bleiben, ist einfach utopisch. Wir müssen die Kinder auf den Umgang mit Smartphone & Co vorbereiten, denn spätestens in der Schule kommt das auf sie zu."

Für sie bedeutet das natürlich nicht, den Kindern einfach eines der von Eltern gespendeten Tablets in die Hand zu drücken und sie damit "herumdaddeln" zu lassen, wie die Deutschen so schön dazusagen. "Bubble-Bälle abschießen oder Ähnliches wird den IQ oder die Feinmotorik sicher nicht wahnsinnig fördern." Es gebe aber sehr wohl auch schon im Kindergarten sinnvolle Einsatzbereiche. "Unsere Aufgabe, auch die der Eltern, ist es, den Kindern klarzumachen, dass ein Tablet ein Arbeitsinstrument ist. Ich kann damit zum Beispiel wunderbar Blätter fotografieren und mir die feinen Adern in der Vergrößerung viel besser anschauen als mit einer Handlupe." Dem Pädagogikpersonal würden manche Arbeitsschritte erleichtert, "weil die Dokumentation nach Portfolio auch digital erfolgen kann".

Einen Gang runterschalten

Auch Johanna Haas, die Pädagogische Leiterin der Nikolausstiftung, findet es "fein, wenn man im Kindergarten auch Neue Medien einsetzen kann". Sie betont aber zugleich: "Kulturtechniken wie Schreiben erlernt man nicht am Tablet." Sie ist eine Verfechterin von Schrift und Sprache, "etwas, das man mit dem Körper selbst produziert - getippt wird dann eh noch in der Schule genug". Allerdings könne es auch ein kleiner Beitrag gegen soziale Ungleichheit sein, "wenn Kinder, die das daheim nicht haben, im Kindergarten ein Tablet in die Hand bekommen".

Omerzu betont, dass digitale Medien nicht nur Laptops oder Tablets sind. "Wir haben heuer erst einmal den Kindern eine Digitalkamera zur freien Verfügung gestellt. Da war für uns Pädagoginnen spannend zu sehen, was sie damit fotografieren, was sie wahrnehmen und aus welcher Perspektive."

Die Digitalkamera war auch von den Eltern am leichtesten zu akzeptieren. Die Idee, Tablets im Kindergarten einzusetzen, stieß nämlich entweder auf große Befürwortung oder auf starke Ablehnung. "Viele haben gesagt: ‚Muss das sein, dass das jetzt im Kindergarten auch noch kommt?‘", berichtet Omerzu. Für die Kindergartenleiterin war das der Anlass, einen Gang runterzuschalten. "Ich habe gespürt, dass auch in meinem Team einige nicht unfroh darüber waren."

Sie versteht die Bedenken nicht nur von Eltern, sondern auch von älteren Pädagoginnen und Pädagogen, die selbst kaum noch mit den Neuen Medien mitkommen und sich nun unter Druck gesetzt fühlen. "Wir Erwachsenen sind von dieser digitalen Welle überrollt worden und sehen dabei unsere Freiheit ein bisschen eingeschränkt. Davor wollen wir unsere Kinder so lange wie möglich bewahren. Aber die Neuen Medien sind bereits voll in ihrem Leben angekommen. Da muss man jetzt auch ein bisschen entschleunigen und sich zurücklehnen. Es muss ja auch nicht jeder alles können." Sie hat das Glück eines gemischten Teams aus jüngeren und älteren Kolleginnen, die einander ergänzen und voneinander lernen. "Es kann ja auch einmal erfrischend sein, wenn die Kinder nicht die x-te Power-Point-Präsentation sehen, sondern eine selbstgezeichnete Overhead-Folie. Und am Ende geht es ohnehin darum, dass man als Pädagoge authentisch ist", meint Omerzu mit Blick auf die Schule.

Apropos Schule: Die stand bisher im Fokus, was die Neuen Medien betrifft. Den Kindergarten sieht Omerzu diesbezüglich noch "in den Kinderschuhen, das ist reine Pionierarbeit, bei der wir auf nichts zurückgreifen können, sondern erst unsere eigenen Erfahrungen machen müssen". Selbst die vielgelobte Plattform Saferinternet.at hat erst vor kurzem mit Schulungen für Elementarpädagogen begonnen. Einige Angebote in Sachen Sprachförderung gibt es aber bereits. So setzen die Kinderfreunde, die in Wien 160 Kindergärten betreiben, das Microsoft-Programm "Schlaumäuse - Kinder entdecken Sprache" ein.

Verstehen, wie es funktioniert

Omerzus Team gestaltet derzeit ein Atelier, "in dem wir auch Computer auseinanderschrauben und das Innenleben anschauen werden". Denn die Kinder sollen auch verstehen lernen, wie Computer & Co funktionieren: "Wenn ich weiß, dass der Computer nur das tut, was ich ihm sage, bekommt das eine ganz andere Wertigkeit. Die Kinder können ja nicht zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden, so wie Teenager nicht zwischen echten und gefakten Facebook-Profilen unterscheiden können."

Ein erster Ansatz für den Umgang mit Digitalisierung ist auch das alte Roboter-Rollenspiel, bei dem ein Kind das andere verbal oder durch Berührungen steuert. "Das ist ganz simpel, aber es sind erste Coding-Schritte, die ein Bewusstsein bei den Kindern in Kraft setzen. Das Nächste wird dann ein Coding am Handy sein oder Roboter-Mäuse, wo die Kinder sehen: Die tun nur das, was ich sage", erklärt Omerzu und ergänzt: "Früher oder später werden die Kinder nicht nur lernen, ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ zu sagen, sondern auch zu fragen: ‚Darf ich dieses Foto von dir posten?‘ Da geht es um Sozialkompetenzen, die schon im Kindergarten beginnen."

Wie die Digitalisierung bereits jetzt unsere Kinder prägt, wo wir es gar nicht erwarten würden, zeigt ein Erlebnis Omerzus vom vergangenen Sommerbetrieb: "Da hat ein Bub lauter schwarze Striche auf kleine Zettel gezeichnet und die dann beim Kaufmannsladen mit Klebeband als Barcodes auf die diversen Verpackungen geklebt. Und er hat dann bei der Kasse diese Zahlen eingetippt. Weil er das so vom Einkaufen kennt. Das ist die Lebenswelt unserer Kinder." Ein anderes Kind zeichnete sich im Spielbistro ein Handy aufs Papier und nahm damit die Bestellungen auf.

Für die Kindergartenleiterin steht jedenfalls fest. "Alles, was ich verbiete oder wegsperre, bekommt einen Reiz. Wenn ich meinem Kind ständig Süßigkeiten verbiete, wird es bei der nächsten Party das Buffet plündern", zieht sie einen anschaulichen Vergleich.

Freilich haben die neuen digitalen Helferlein auch ihre Schattenseiten. "Es gibt jetzt die ersten Studien zu Schlafstörungen von Kindern, die mit dem ersten Handy in der Nacht noch auf Whatsapp oder sonstwie aktiv sind, weil sie permanent im Netz sind." Andererseits haben sich frühere Generationen mit Fernsehen (wer ein eigenes Gerät im Kinderzimmer hatte) oder Büchern die Nächte um die Ohren geschlagen. Schlaffresser gab es also schon immer. Kinderwagen mit Tablet-Halterung und Ähnliches sind allerdings Auswüchse unserer heutigen Zeit. "Da haben wir wirklich ein Problem", stellt Omerzu fest. "Denn das hat Einfluss auf die Sozialkompetenz, das belegen auch Studien." Wenn ein Baby nicht die Spiegelung der Mutter erhält, schaltet es ab, sprich: Es hört auf, seine Umweltreize bewusst wahrzunehmen. "Und ein Tablet kann definitiv nicht die Zuwendung der Mutter ersetzen."

Zeitfenster für Langeweile

Die Kinder würden auch verlernen, mit Langeweile umzugehen, "wenn das Handy der Eltern zum Bedaddeln ständig verfügbar ist", warnt Omerzu. "Wenn man mit einem Dreijährigen im Lokal sitzt und beim Warten aufs Essen nicht mehr mit ihm spricht oder etwas spielt oder malt, sondern ihm bloß das Handy in die Hand drück, wird es schwierig." Umgekehrt fehlen genau diese Zeitfenster, in denen es aus Sicht des Kindes so langweilig ist, dass es von selbst Dinge zu erzählen beginnt, die seine Eltern ansonsten womöglich gar nicht erfahren würden. "Das hat auch Einfluss auf die Entwicklung."

Zum sinnfreien Handyspielen von Kleinkindern findet die dreifache Mutter jedenfalls drastische Worte: "Keine Mutter schickt ihr Kind alleine auf eine starkbefahrene Straße und sagt: ‚Viel Spaß beim Überleben.‘ Das tun wir nicht. Kinder lernen von klein auf, dass man nicht über rote Ampeln geht, dass man nicht bei fremden Leuten ins Auto einsteigt - aber das Handy geben wir als Ruhigsteller frei aus der Hand." Hier sieht sie einen klaren Bildungsauftrag: "Es sind ohne Frage nützliche Lebenserleichterer, ich selbst möchte ehrlich gesagt nicht mehr ohne mein Smartphone sein - aber man muss den richtigen Umgang damit lernen."

Daheim hat sie vor kurzem die Nutzungsregeln für sich selbst geändert. "Ich habe mir einen analogen Wecker besorgt, und mein Handy kommt jetzt eine Stunde vor dem Schlafengehen in die Küche und bleibt dort bis in der Früh. Da geht es um die Vorbildwirkung."