Zum Hauptinhalt springen

Wirksamkeit ist unerwünscht

Von Simon Rosner

Politik

Der Erlass zur Lehre für Asylwerber übererfüllte die Erwartungen. Dass Asylberechtigte diese Lücke schließen, wird schwierig.


Wien. Manchmal sind es die kleinen Meldungen, die große Wirkung entfalten. Als Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) in den Jahren 2012 und 2013 per Erlass die Lehre für Asylwerber in Mangelberufen öffnete, schlug das keine Wellen. Die Flüchtlingszahlen stiegen zwar bereits leicht an, doch 2012 stellten nur 1700 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen Antrag in Österreich. Zudem schien der Effekt der Maßnahme überschaubar.

Josef Missethon hatte sich zu dieser Zeit mit dem Thema noch gar nicht auseinandergesetzt. Ein paar Jahre später aber, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, sollte der ehemalige Unternehmensberater dann das Projekt "Talente für Österreich" initiieren. Dabei begleitet er junge Flüchtlinge auf dem Weg in die Lehre und den Arbeitsmarkt. "Ich habe nicht gewusst, welch tolles Arbeitsintegrationsmodell die Lehre ist", sagt Missethon.

Der Erlass hatte unmittelbare Wirkung. Der steigende Lehrstellenmangel wurde gebremst, in der Gastronomie, auf die seit Jahren die meisten unbesetzten Lehrstellen entfallen, gab es sogar einen spürbaren Rückgang. Auf der anderen Seite bot die Mangelberuf-Lehre den Jugendlichen einen großen Anreiz. Denn die Alternative dazu hieß Grundversorgung und Nichtstun, und eine Lehre war obendrein finanziell attraktiver.

Das Problem des Fachkräfte- sowie des Lehrlingsmangels löste der Erlass zwar nicht, er minderte ihn aber etwas, vor allem in ländlichen Regionen. Missethon berichtet von einem Anruf von einem Gastronomen in Trofaiach, der erfolglos eine Lehrstelle ausschrieb. Er hätte gerne auf Vermittlung von Missethon einen Geflüchteten aufgenommen, doch die Regierung hat am Wochenende überraschend angekündigt, den Erlass zurückzunehmen.

Derzeit absolvieren rund 1000 Asylwerber eine Lehre, sie werden diese wohl auch abschließen können. Doch grundsätzlich will die Regierung nur mehr anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in die Lehrberufe bringen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) verwies am Montag auf gut 8000 Flüchtlinge unter 25 Jahren. Sie sollen die freien Stellen besetzen. Bisher fanden aber nur wenige den Weg zur Lehre.

Es gibt mehrere Gründe dafür. Erstens ist das Ost-West-Gefälle ganz bedeutsam. Rund 80 Prozent der offenen Lehrstellen entfallen auf die westlichen Bundesländer sowie auf Oberösterreich, die Steiermark und Kärnten. In Wien gab es dagegen zuletzt nur halb so viele offene Lehrstellen wie in Tirol, dafür ein Überangebot an Suchenden. Der Großteil der Asylberechtigten lebt jedoch im Osten des Landes.

Überregionale Vermittlung gestaltet sich schwierig

Vor zwei Jahren schufen Wirtschaftskammer und Arbeitsmarktservice das Projekt "b mobile", um anerkannte Flüchtlinge gezielt überregional zu vermitteln. Wenn schon nicht Österreicher und länger hier lebende Migranten mobil sind, sind es vielleicht die neuen Zuwanderer. Der Erfolg ist endenwollend. Bis Mai 2018 wurden nur 60 Lehrlinge überregional vermittelt, dazu gab es 141 Praktika.

Eine Lehre, und dies ist ein bedeutsamer Faktor, muss man sich auch leisten können. "Die Lehrlingsentschädigung ist so ausgelegt, dass sie von den Eltern subventioniert wird", sagt August Gächter vom Zentrum für Soziale Innovation, der zu Arbeitsmarkt und Migration forscht. Die Höhe der Einkommen variieren je nach Kollektivvertrag, ein Koch erhält im ersten Lehrjahr 720 Euro.

Das ist weniger als die Mindestsicherung und weniger als ein Hilfsarbeiterjob. Anders als bei Asylwerbern, die kaum Optionen haben, können Asylberechtigte auch normal arbeiten. Kurzfristig ist das attraktiver, manchmal notwendig, und oft fehlen die Mittel, in die Ausbildung zu investieren.

Winfried Göschl, Vizechef des AMS in Wien, berichtet von weiteren Hindernissen bei der überregionalen Vermittlung: So führen die unterschiedlichen Regelungen bei der Mindestsicherung dazu, dass es in einigen Ländern keine Aufzahlung gibt, auch wenn ein Bedarf vorliegt. Zudem müssen die Lehrlinge auch wohnen, dafür reicht aber die Lehrlingsentschädigung nicht. Hier kann immerhin die Hotellerie ein Angebot legen.

Eine Frage der Leistbarkeit

Auch Mobilitätskosten sind ein Faktor, um Freunde und Familie zu besuchen. Unbegleitete Flüchtlinge müssen wiederum oft Angehörige in der Heimat unterstützen. "Sie können es sich nicht leisten, eine Lehre zu machen", sagt Göschl. Dabei wäre dies eine wichtige Investition. "An der Motivation liegt es sicher nicht, die Asylberechtigten sind sogar überdurchschnittlich motiviert und verlässlich."

Das bestätigt auch Sepp Schellhorn, Hotelier in Salzburg und Abgeordneter der Neos. Er beschäftigt in seinen Betrieben seit Jahren Flüchtlinge. Die von der Regierung avisierte Änderung der Rot-Weiß-Rot-Card, die bisher die Zuwanderung von Hochqualifizierten geregelt hat, hält Schellhorn für einen "völligen Holler und ein Ablenkungsmanöver". Die Lehrlingslücke lässt sich auch nur bedingt durch Zuwanderung aus Drittländern lösen, da Deutschkenntnisse eine Voraussetzung sind, nicht nur in der Gastronomie.

Lehre muss für Asylberechtigte attraktiver werden

Grundsätzlich hält Gächter die Idee, Jugendliche aus dem Ausland für eine Lehre in Österreich zu gewinnen und sie hier zu qualifizieren für sinnvoll. "Aber man müsste dafür eine Infrastruktur bauen, die Lehrlingsentschädigung ist zu wenig", sagt er. Das würde also auch Investitionen der öffentlichen Hand nötig machen.

Mit der Rücknahme des Erlasses wird die Regierung nun einer (kleiner werdenden) Gruppe, die schon hier ist, die Möglichkeit dazu nehmen. Erst wenn Asyl erteilt wird, darf eine Lehre begonnen werden. Aber können sie es sich dann auch leisten? Und gehen sie dafür in den Westen? Auch das war eine Wirkung des Erlasses: Während des Asylverfahrens gibt es durch die Grundversorgung eine Art Residenzpflicht. Für periphere Regionen war das günstig.

"Die Diskussion um Rechtssicherheit ist okay", sagt Missethon. "Wir müssen jetzt den Übergang gestalten." "Asylberechtigte kann man nicht zu einer Lehre zwingen, wenn sie lieber arbeiten. Man wird also Anreize schaffen müssen, wie das für Asylwerber bisher der Fall war. Doch das wird Kosten verursachen. Derzeit bietet das System für Asylberechtigte eher negative Anreize bis hin zur Unleistbarkeit.

Darum hätte sich die Regierung aber so oder so kümmern müssen. Im ersten Halbjahr 2018 kamen nämlich nur mehr 300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Österreich, so wenige wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das Angebot der Asylwerber wird kleiner. Womit andererseits aber auch das Argument, der Erlass sei ein Pull-Faktor, nicht nachvollziehbar scheint.