Wien/Innsbruck. Mit einem Frontalangriff reagierte die Arbeiterkammerspitze auf die Sozialversicherungsreform der Bundesregierung. "Das ist ein Fusions-Fiasko, mit dem das Gesundheitssystem an die Wand gefahren wird. Setzen, Fünf", richtete AK-Präsidentin Renate Anderl Türkis-Blau bei einer Pressekonferenz in Innsbruck aus. Mögliche Streikmaßnahmen seien "immer eine Option", so Anderl.
ÖGB: "Raubzug" gegen Arbeitnehmer
Der Gewerkschaftsbund sieht in der geplanten Sozialversicherungsreform den nächsten Angriff auf die Arbeitnehmer durch die Regierung. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian sprach bei einer Pressekonferenz am Freitag von einem "Raubzug" und "Katastrophe" für die Arbeitnehmer und kündigte Widerstand auf allen Ebenen an.
"Die heute präsentierten Pläne sind ein Generalangriff auf die Patienten und die Versicherten". Das Gesundheitssystem und die Sozialversicherungen würden "an die Wand" gefahren. "Wir machen uns große Sorgen", so Katzian. Der Gewerkschaftsbund hält mehrere Punkte des Regierungsvorhabens für verfassungswidrig und will dagegen rechtlich auf allen Ebenen ankämpfen. Die Frage einer etwaigen Verfassungsklage lässt sich der ÖGB aber noch offen. Es gebe viele Möglichkeiten, eine solche auf den Weg zu bringen.
Katzian warnte vor einer "drittklassigen Medizin" für sieben Millionen Versicherte. Öffentlich Bedienstete, Selbstständige und Unternehmer behalten ihre eigenen Versicherungen mit besseren Leistungen, währen der dritten und größten Gruppe der Arbeitnehmer, Pensionisten und deren Angehörigen das Geld entzogen werde. Über die Arbeitnehmer entscheiden künftig nicht wie bisher Repräsentanten der Arbeitnehmer, sondern die Wirtschaft, weil diese die Mehrheit in den Gremien bekomme.
"Die Wirtschaft erhält eine Machtfülle über die Arbeitgeber, die ihr so nicht zusteht." Das werde zu Selbstbehalten und Privatisierungen führen, "das wissen wir, weil wir die Programme jener, die jetzt die Macht bekommen, kennen", warnte Katzian und sprach von einem "Raubzug". Zudem würden sogenannte schlechte Risiken wie Arbeitslose, Mindestsicherungsbezieher und Flüchtlinge in der Sozialversicherung von den Arbeitnehmern allein geschultert, Beamte, Unternehmer und Selbstständige zahlen hier nicht mit. "Mir fehlen die Worte, ich will nicht ausfällig werden", zeigte sich Katzian erbost.
Auch die versprochenen Einsparungen hält er für unrealistisch. "Patientenmilliarde, was ist das? Ich kann Ihnen sagen: das ist ein Geschichterl", so Katzian. Einsparungen von einer Milliarde ohne Leistungskürzungen seien nicht darstellbar. Vor dem "Rechenkünstler", der das zustande bringt, "würde ich mich in Ehrfurcht verneigen".
Der ÖGB-Präsident warnte auch vor einem gefährlichen Verlust der Balance zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Arbeitgeber bekommen die Oberhand und die Selbstverwaltung werde ausgehebelt. "Wir wollen nicht, dass das aus dem Ruder läuft", kündigte Katzian rechtliche Schritte und Allianzen gegen die Pläne der Regierung an. Die geplante Reform enthalte mehrere Punkte, "die in tausend Jahren nicht vor dem Verfassungsgerichtshof halten".
Er beklagte zudem das Eiltempo, in dem die Regierung die Reform durchpeitschen wolle und die Nichteinbindung der Sozialpartner. Man sei zu einem "freundlichen Gespräch" eingeladen worden. Verhandlungen über die Inhalte habe es aber nicht gegeben. "Beim sogenannten Sozialversicherungs-Gipfel mit der Regierungsspitze wurde vereinbart, die Unterlagen vorab zu bekommen und in Verhandlungen einzutreten. Zwar wurden die entsprechenden Papiere übermittelt und von uns genau durchgearbeitet, von einer Verhandlung auf Augenhöhe kann aber keine Rede sein. Wir durften zwar unsere Kritikpunkte äußern, echte Verhandlungen haben aber nicht stattgefunden."
Arbeiterkammer gibt sich kampfbereitMan habe bereits ein "Gremium zusammengesetzt", das weitere Schritte beraten werde, erklärte die Arbeiterkammerchefin Anderl. Sie machte allerdings klar, dass man das Gesetz zunächst einer genauen Analyse unterziehen werde. In der Begutachtungsphase werde man versuchen, der Reform noch die "Giftzähne" zu ziehen, so Anderl.
Anderl und Tirols schwarzer AK-Chef und Bundesarbeiterkammer-Vize Erwin Zangerl, mit dem sie gemeinsam die Pressekonferenz bestritt, orteten zudem verfassungsrechtliche Bedenken bei der Reform. Als Beispiel für eine solche Nichtverfassungskonformität nannte Anderl, dass die Beitragsprüfung nun den Finanzämtern zufalle. Dies helfe zudem der Wirtschaft, schade den Versicherten und könne finanziell negative Auswirkungen bis hin zur Pension haben. Wo man verfassungsrechtlich ein Problem sehe, werde man "weitere Schritte" überlegen, so Zangerl, der sich Streikmaßnahmen zwar nicht wünscht, aber meinte: "Irgendwann wird so etwas notwendig sein müssen".
Als Beispiel für eine solche Nichtverfassungskonformität nannte Anderl, dass die Beitragsprüfung nun den Finanzämtern zufalle. Dies helfe zudem der Wirtschaft, schade den Versicherten und könne finanziell negative Auswirkungen bis hin zur Pension haben. Wo man verfassungsrechtlich ein Problem sehe, werde man "weitere Schritte" überlegen, so Zangerl, der sich Streikmaßnahmen zwar nicht wünscht, aber meinte: "Irgendwann wird so etwas notwendig sein müssen".
Anderl und Zangerl sparten in dem Pressegespräch nicht mit Frontalangriffen auf die Regierung. "Das wird ein Riesen-Moloch geschaffen. Die Regierung fährt wieder einmal über die Anliegen der Arbeitnehmer drüber, wenn das so beschlossen wird. Das war eine Husch-Pfusch-Aktion", meinte Anderl. Sie erwartete Einbußen bei der Versorgungsqualität durch die "Zwangsfusion" der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) in nur neun Monaten. Der Arbeiterkammer gehe es nicht um Funktionäre, sondern um Patientenrechte.
Anderl: "Regierung plant Dreiklassen-Medizin"
"Die Regierung plant eine Dreiklassen-Medizin", kritisierte Anderl und sah die Versicherten der Gebietskrankenkassen dabei in der dritten Klasse angesiedelt. Die angestrebten Einsparungen im Ausmaß von einer Milliarde Euro bis 2023 seien nichts anderes als eine "Kürzung". "Die Zeche werden die Versicherten bezahlen", folgerte die AK-Präsidentin.
Die Arbeitnehmerseite sah Anderl fast gar nicht eingebunden. Türkis-Blau habe von Anfang an nicht vorgehabt, Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen. "Zu einer wirklichen Verhandlung ist es nie gekommen. Das war einfach ein Pflanz", ärgerte sich die Arbeiterkammerchefin. Der vor kurzem stattgefundene Gipfel sei ein "Feigenblatttermin" gewesen. Und Zangerl assistierte: "Der Gipfel ist in eine Bergpredigt ausgeartet."
Zangerl polterte über eine Enteignung in "unglaublichem Ausmaß". "Es geht um Macht, Geld und Einfluss. Im Vordergrund stehen parteipolitische Interessen. Diese Damen und Herren fahren ohne Sicherheitsgurt", so Tirols AK-Chef, bekanntermaßen stets ein vehementer Kritiker von Türkis-Blau. Es sei unglaublich, dass sich "die Mehrheit vor einer Minderheit verteidigen muss". Die Regierung sei nicht nur über die Arbeitnehmervertreter drübergefahren, sondern auch über die Länder. Und mit den roten Ländervertretern sei nicht einmal gesprochen worden, ärgerte sich Zangerl. An die schwarzen Tiroler ÖVP-Nationalräte appellierte er, sich genau zu überlegen, ob sie der Reform letztlich zustimmen. Schließlich seien Volksvertreter nicht dazu da, immer nur "die Hand zu heben".
Hauptverband der Sozialversicherungsträger übt harsche Kritik
Harsche Kritik an der Krankenkassen-Reform der Bundesregierung kommt auch von Alexander Biach, dem Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Er sehe keine Verbesserung darin, dass der Hauptverband "dezentralisiert und zerschlagen wird", sagte er im Ö1-"Mittagsjournal". Kein gutes Haar ließ er am rotierenden Vorsitz im künftigen Dachverband, der den Hauptverband ersetzen wird.
"Da geht es nicht um mich", betonte der zuletzt schon mit Kritik aufgefallene ÖVP-Wirtschaftsbündler, dessen Posten durch den Umbau der Sozialversicherungsinstitutionen nun abgeschafft wird. Er kritisierte, dass "ein komplizierteres Gestaltungssystem" geschaffen und ein "funktionierendes System wie der Hauptverband" zerschlagen werde.
Nicht in Kontinuität funktionieren kann aus Biachs Sicht auch die Regelung für den Vorsitz im kommenden Dachverband, der jährlich zwischen den Obleuten der künftig fünf Sozialversicherungsträger rotieren soll. Weil es in der Gesundheitskasse und der PVA zusätzlich auch noch halbjährliche Wechsel gibt, werde es in einer Fünfjahresperiode künftig bis zu sieben verschiedene Vorsitzende geben. Derzeit sei der Hauptverbands-Vorsitzende auf fünf Jahre gewählt und Ansprechpartner für alle.
Dass Arbeitgeber und -nehmer einander bisher in Gebietskrankenkassen und Pensionsversicherung in Vorstand und Kontrollgremium blockiert hätten, was von Regierungsseiten als Argument für das nun steigende Gewicht der Unternehmerseite im Kassen-Verwaltungsrat angeführt wird, ließ Biach ebenso nicht gelten. Möglich sei das zwar gewesen, untergekommen sei ihm dies aber nicht oft.
Zur Frage, ob ihm sein Konfrontationskurs und seine Haltung zur Unfallversicherung AUVA geschadet habe, zeigte sich der Hauptverbands-Chef entspannt. "Wissen Sie, wenn unten auf der Score Card draufsteht, ich habe die AUVA gerettet", so Biach unter Verweis auf die "perfekte Versorgungskette" dieser Versicherung, "dann war es das allemal wert."