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Aus 21 Versicherungen werden fünf

Von Brigitte Pechar

Politik
© M. Hirsch

Regierung legt Strukturreform der Sozialversicherung vor.


Die Sozialversicherungen werden reformiert. Die Regierung sieht eine leuchtende Zukunft, die Opposition eine graue.
© WGKK / Jatzek

Wien. Die Reform des Gesundheitssystems steht seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda sämtlicher Regierungen. Von einer Reduzierung der Krankenkassen bis zum eigentlichen Ziel, der Finanzierung aus einer Hand, reichen die Vorschläge der Experten. Ob man dazu einen Schritt näher gekommen ist, wird man erst ab 2020 sehen. Dann nämlich soll die Krankenkassenstrukturreform abgeschlossen sein.

Regierung spricht von Leuchtturmprojekt

Die türkis-blaue Koalition hat dazu am Freitag ihren Vorschlag vorgelegt: Aus den derzeit 21 Sozialversicherungsträgern sollen fünf werden, daher gibt es auch nur noch fünf Generaldirektoren. Der Hauptteil der Reform betrifft die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen - statt der neun Landeskassen soll es eine Stelle, die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) geben, die die Beiträge einhebt und Budget- und Personalhoheit hat. Die Zahl der Funktionäre wird von 2000 (wobei hier auch die Ersatzmitglieder gezählt sind) auf 480 gesenkt, die Zahl der Verwaltungsgremien von 90 auf 50 reduziert. Alle Patienten sollen gleiche Leistungen für gleiche Beiträge erhalten. Für die 28.000 Mitarbeiter (19.000 in der Verwaltung, 9.000 medizinisches Personal) gibt es eine Jobgarantie - wobei durch Nichtnachbesetzung von Pensionierungen und Abgängen in der Verwaltung in drei Jahren 10 Prozent und in zehn Jahren 30 Prozent eingespart werden sollen. Daraus ergibt sich bis 2023 eine Einsparung von einer Milliarde Euro. Die Regierung nennt das "Patientenmilliarde statt Verwaltungsmilliarde."

Statt des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger soll es einen kleinen Dachverband geben. Ab 2020 sollen die Obleute der fünf Träger den Vorsitz im Dachverband abwechselnd jeweils für ein Jahr übernehmen. Auch in den neun Länderkassen gibt es ein Rotationsprinzip: Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter übernehmen im Halbjahresrhythmus abwechselnd den Vorsitz.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und ÖVP-Gesundheitssprecher und Klubobmann August Wöginger haben das Papier am Freitag im Bundeskanzleramt präsentiert. Das sei "eine große und alles andere als einfache Reform", sagte der Kanzler. Eine Reform, die sich schon viele Regierungen vorgenommen, aber nicht zustandegebracht hätten. Strache sprach von einem "Leuchtturmprojekt dieser Regierung". "Veränderung braucht Mut. Diese Regierung hat den Mut, den Vorgängerregierungen nicht hatten", sagte Hartinger-Klein. Sie betonte, dass die Pfeiler des Systems aufrecht bleiben: Pflichtversicherung, Selbstverwaltung, Solidarsystem. Zudem versicherte die Gesundheitsministerin, dass es keine Beitragserhöhungen geben werde.

© M. Hirsch

Hartinger-Klein ging noch einmal auf die Details der Kassenzusammenlegung ein: Statt der Gebietskrankenkassen wird es die ÖGK mit neun Landesstellen geben. Beamte und Eisenbahn/Bergbau werden zu einer Dreispartenversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) mit sieben Landesstellen und dem Kürzel BVAEB zusammengefasst, Bauern und Selbständige zur SVS mit neun Landesstellen.

Von den Betriebskrankenkassen wird jene der Wiener Verkehrsbetriebe auf BVAEB und KfA Wien aufgeteilt, die anderen werden zu betrieblichen Gesundheitseinrichtungen. Die Notare scheiden aus dem System der Sozialversicherung aus und gründen eine Wohlfahrtseinrichtung.

Hartinger-Klein: Erster Schritt zu Gesundheitsreform

Die Strukturreform sei der erste Schritt zu einer Gesundheits- und Pflegereform, sagte die Gesundheitsministerin. Das sei notwendig, denn die Menschen in Österreich würden zwar älter, aber sie seien im internationalen Vergleich weniger lange gesund.

Einen Gesetzesentwurf legte die Regierung am Freitag noch nicht vor, versprach aber eine lange Begutachtungsfrist. Beschlossen soll die Reform noch heuer werden. Der weitere Fahrplan: Bis April 2019 läuft alles so weiter wie bisher, ab dann gibt es bis Ende 2019 einen Überleitungsausschuss, ab 2020 wirken die neuen Strukturen.

Für den Gesundheitsökonomen Ernest G. Pichlbauer ist der Regierungsvorschlag "keine Reform". Das Ziel, die Institutionen zu reduzieren, sei verfehlt worden, denn tatsächlich würden die neun Gebietskrankenkassen in ihrer Selbstautonomie erhalten bleiben. "Die Regierung konnte sich gegen die regionalen Interessen nicht durchsetzen", statt einer Zentralisierung finde eine Dezentralisierung statt. So bleibe der Honorarkatalog dezentral, damit ist für Pichlbauer auch das Prinzip der einheitlichen Leistung fraglich. "Die Chance für eine Reform wurde völlig vergeben", sagte der Gesundheitsökonom zur "Wiener Zeitung". Am Ende würden 480 handverlesene, loyale Funktionäre über ein System herrschen, das null demokratische Legitimation besitze. "Die Legitimation der Selbstverwaltung verschwindet, die Länder behalten ihre Fürstentümer", und begleitet werde all das mit einem Widerstand in den Strukturen und politischer Mobilisation dagegen, resümierte Pichlbauer.

Biach hält nichts von Rotation auf Führungsebene

Auch der Chef des Hauptverbandes, Alexander Biach, hält mit Kritik an der Reform nicht hinter dem Berg. Er werde sich mit aller Macht gegen die geplante Rotation stellen. "Es gibt kein Unternehmen, das jährlich den Chef wechselt." Besonders ärgert ihn, dass die einzige zentrale Einrichtung, der Hauptverband, entmachtet wird. Die Krankenkassen hätten mit der E-Card oder mit Elga bisher gar nichts zu tun gehabt. Der Hauptverband hat auch den Medikamenteneinkauf über und verhandelt mit den Pharmaunternehmen. Werde das dezentral erledigt, werde alles nur komplizierter, sagte Biach zur "Wiener Zeitung". "Das ergibt keinen Sinn."

Auf die Frage, wie viel die Zusammenlegung kosten wird, sagte die Sozialministerin, das sei Sache der Selbstverwaltung. Biach verwies darauf, dass der Rechnungshof bei der Fusion von Angestellten und Arbeitern in der PVA 200 Millionen pro Jahr an Kosten berechnet habe. Biach, dessen Vertrag bis 2021 laufen würde, sieht einen ersten großen Schritt gemacht, hofft aber noch auf Änderungen.