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Sag mir, wo die Milliarde herkommt

Von Karl Ettinger und Brigitte Pechar

Politik

Die Gebietskrankenkassen rechnen mit 600 Millionen Mehrbelastung durch Reform. Wien bleibt Sorgenkind.


Wien. Aus 21 werden fünf Sozialversicherungsträger, wobei der Löwenanteil der Reduktion durch die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zustande kommt. So viel steht fest. Was die Finanzierung und etwaige Einsparungen oder teilweise sogar höhere Belastungen betrifft, darüber gibt es wenige Tage nach der Präsentation der Reform der Sozialversicherungen durch die Bundesregierung noch große Verwirrung. Entsprechend unklar ist, welche Auswirkungen es für die Patienten gibt. Das reicht von der von der Koalition angekündigten Einsparung von einer Milliarde Euro bis Ende 2023 über die drohenden neuen Belastungen, die nun im Gesetzesentwurf aufgetaucht sind, bis hin zur Frage, wie die Schulden der Wiener Gebietskrankenkasse abgedeckt werden.

Geldsegen für Privatspitäler

Nach der aktuellen Bewertung der Strukturreform der Kassen, die am Montag erstellt wurde und die der "Wiener Zeitung" vorliegt, muss die künftige ÖGK bis 2023 aufgrund der von ÖVP und FPÖ vorgelegten Gesetzespläne mit einer höheren finanziellen Belastung von 598 Millionen Euro rechnen. Diese Summe ergibt sich aus jährlich höheren Zahlen für Privatspitäler von rund 15 Millionen Euro sowie aus dem Wegfall des bisherigen Ausgleichsfonds der Kassen.

Die zusätzliche finanzielle Belastung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) durch die Senkung des Beitrags der Dienstgeber von 1,3 auf 1,2 Prozent der Lohnsumme wird pro Jahr mit 100 Millionen Euro beziffert. Das macht für fünf Jahre bis 2023 insgesamt 500 Millionen Euro. Zusammen ergibt das knapp 1,1 Milliarden an Mehrbelastungen durch den Gesetzesentwurf. Offen ist, welche Folge das für Versicherte und Patienten hat.

Einsparungen fraglich

Die Bundesregierung rechnet hingegen, wie mehrfach berichtet, mit Einsparungen von in Summe einer Milliarde Euro bis 2023. ÖVP und FPÖ sehen darin eine "Patientenmilliarde", weil dieses Geld durch Einsparungen in der Verwaltung hereingeholt und für eine bessere Gesundheitsversorgung der Patienten bereitgestellt werden soll.

Die Einsparungen in der Verwaltung - zumindest in diesem Ausmaß - werden bestritten. Allerdings fallen sicher einige Abteilungen weg, weil die Aufgaben künftig zentral in der ÖGK erledigt werden: Verträge mit Ärzten, mit Gesundheitsanbietern (Radiologen, Physiotherapeuten).

Unklarheiten gibt es auch wegen der Mittelaufteilung nach der Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur bundesweiten Gesundheitskasse, die nur mehr über neun Landesstellen mit weitaus weniger Kompetenzen verfügen wird. Zugesichert wurde von der Regierung jedenfalls, dass die Beiträge der Versicherten an die Landesstellen zurückfließen. Die Einnahmen der Gebietskrankenkassen betragen heuer in Summe 18,7 Milliarden Euro - 15,8 Milliarden Euro davon kommen aus Beiträgen, der Rest (2,9 Milliarden Euro) setzt sich aus dem Ersatz für Leistungsaufwendungen, der Mehrwertsteuer-Rückerstattung für Medikamente, der Rezeptgebühr, Kostenbeteiligung für Heil- und Hilfsmittel, Behandlungsbeiträgen und Sonstigem zusammen. Diese 2,9 Milliarden Euro würden also bei der ÖGK verbleiben. Der Ausgleichsfonds, mit dem derzeit zwischen den GKK ausgeglichen wird, gibt es nicht mehr. Dafür soll es aber einen Innovationsfonds geben, der mit 100 Millionen Euro dotiert wird - zum Beispiel zum Ausbau der Primärversorgungszentren.

Rücklagen bleiben bei Ländern

Wien kommt allerdings schon jetzt mit den Beitragseinnahmen nicht aus. Das werde aber dann nicht mehr so sichtbar sein, erklärt ein Insider vor, weil es dann nur noch einen Rechnungskreis geben werde. Übereinstimmende Auskunft gab es darüber, dass als Zugeständnis an die - schwarzen - Länderverhandler vereinbart wurde, das Geld der allgemeinen Rücklagen bleibe im Einfluss der Länder. Die höchsten derartigen Rücklagen der neun Gebietskrankenkassen hat Oberösterreich mit 254 Millionen Euro, dahinter folgt Salzburg mit 133 Millionen Euro, die Steiermark hat 25 Millionen Euro. In der gesamten Sozialversicherung sind es rund drei Milliarden Euro, wobei die AUVA mit einer Milliarde Euro auf den meisten Rücklagen sitzt.

Wien ist dabei aber ein Problemfall. Denn die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) hatte mit Ende 2017 keine Rücklagen, sondern einen Schuldenberg von 54 Millionen Euro. WGKK-Obfrau Ingrid Reischl warnte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", für die künftige Landesstelle Wien der Gesundheitskasse bedeute die finanzielle Entwicklung bei den Einnahmen, dass diese entweder mit den Beiträgen wegen einer ungünstigeren Struktur der Versicherten nicht auskommen werde oder man "die Leistungen runterfahren" müsse. Was den Schuldenstand betrifft, so erwartet zumindest Reischl, dass man diesen in der allgemeinen Bilanz der neuen ÖGK auflösen werde. Bedeutet im Klartext: Die übrigen Länder sollen das Minus mittragen und ausgleichen. Offen ist, ob die anderen Bundesländer dabei auch mitspielen.

Neben der allgemeinen Rücklage gibt es noch eine gesetzlich vorgeschriebene Rücklage in allen Kassen (ein Zwölftel der Beiträge etwa für Grippewellen) sowie einen Unterstützungsfonds für Notfälle, über diesen sollen künftig die Landesstellen verfügen können. Dieser Fonds war in Wien Ende 2017 mit 13,7 Millionen Euro dotiert, was den Schuldenstand von 54 auf 41 Millionen Euro reduziert.