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Beginn einer Reise mit kleinem Gepäck

Von Walter Hämmerle und Brigitte Pechar

Politik
 Strolz könnte mit Strache – aber nicht mit der FPÖ.
© Wiener Zeitung/Moritz Ziegler

Matthias Strolz erklärt im Interview das Ende der Zweiten Republik und fordert: Österreich muss sich neu erfinden.


Wien. Der Nationalrat hat am Mittwoch zwei Abgänge zu verzeichnen: ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian (61) und Neos-Gründer Matthias Strolz (45). Die SPÖ widmet Katzian, der sich künftig ganz seiner Aufgabe als Gewerkschaftschef widmen will, eine "Aktuelle Stunde", in der er über "eine faire Arbeitswelt und soziale Sicherheit" reden wird. Die "Wiener Zeitung" hat Strolz zum Abschiedsinterview getroffen.

"Wiener Zeitung": Braucht es Tabubrüche, um festgefahrene politische Konstellationen aufzubrechen? Zum Beispiel die Gründung einer neuen Partei oder die Forderung, dass ein Nicht-SPÖler Wiener Bürgermeister oder ein Nicht-ÖVPler niederösterreichischer Landeshauptmann wird.

Matthias Strolz: Solche Ideen sind essenziell und wir brauchen noch mehr davon, weil Österreich in einer Umbruchphase ist. Wir registrieren das nur nicht. Die Zweite Republik ist zu einem Ende gekommen, jedenfalls, wenn das rot-schwarze Machtkartell ihr Wesensmerkmal gewesen ist. Dieses Machtkartell hat Österreich etliche Jahrzehnte großartige Dienste geleistet, hatte freilich auch seine negativen Abrisskanten und hat sich dann mit Begleiterscheinungen wie Korruption, Freunderlwirtschaft und struktureller Verkrustung vollends überlebt. Österreich muss sich neu erfinden; dazu brauchen wir Musterbrüche. Schwarz-Blau ist ein solcher Musterbruch, aber eben keiner, den ich für gut halte.

Aber systemisch notwendig?

Offensichtlich. Im besten aller Fälle sind das nur Regressionshandlungen, die dem Neuen die Tür aufstoßen. Wenn das Alte stirbt, das Neue aber noch nicht da ist, gibt es viele, die nicht wissen, was das Neue sein könnte, deshalb führen sie den Regress auf das Uralte. Es grüßt die Freiheitliche Partei Österreichs. Das verstehen die Leute, da können sie anknüpfen: an den angebotenen Feindbildern, an Appelle von Law & Order, an die Lederhosen. Das Neue ist weder da, noch vollends berechenbar - deshalb ist das Uralte so attraktiv. Aber hoffentlich nur in der Rolle eines vorübergehenden Hofnarren.

Halten Sie die FPÖ zur inneren Erneuerung fähig?

Es ist nach wie vor schwierig für mich, die FPÖ zu verstehen, weil ich ihr innerstes Wesen noch nicht ganz begriffen habe - oder weil ich mich weigere, es zu akzeptieren. Die FPÖ hat ja schon unter Jörg Haider etwas Hippes gehabt, sie erfindet sich immer wieder neu. Dann kommen solche Manöver wie "wir wollen unsere Nazivergangenheit aufarbeiten", oder "unseren Antisemitismus" - als Staatsbürger ist man da hin und her gerissen: Meinen die das jetzt ernst? Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich es Heinz-Christian Strache wirklich abnehme. Als Person. Der Partei nehme ich das nicht ab. Aber man muss respektieren, dass sie einen starken Wählerzuspruch hat. Und es ist immer noch verhängnisvoll, dass wir keine neue kraftvolle Machtmechanik jenseits dieser FPÖ haben. Insofern wäre es aus Sicht des Landes wünschenswert, dass diese FPÖ die Schatten der Vergangenheit glaubhaft abwirft.

Livestream der Nationalratssitzung

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Zumindest scheint die FPÖ den Antisemitismus abgelegt zu haben, das neue Feindbild dagegen sind die Muslime.

Die FPÖ-Schwesterpartei, die AfD, propagiert islamfreie Schulen. Ich frage mich, wie will sie das umsetzen? Bekommen muslimische Kinder dann einen roten Halbmond auf ihre Jackerl geklebt oder will sie islamische Kinder in eigenen Klassen konzentrieren? Ich nehme die AfD so ernst, dass ich davon ausgehe, dass sie ihre Pläne auch umsetzen will. Auch die FPÖ muss ich mit Ernsthaftigkeit vermessen. Und da, wo ich diese im Inneren vermute, wird mir ganz anders.

Dabei wäre die FPÖ der natürliche Partner der Neos, wenn es gegen das von beiden bekämpfte rot-schwarze Machtkartell geht.

Deshalb gibt es auch diesen Schmerz, den ich in mir spüre. Ich spüre ein unsichtbares Band hin zu H.C. Strache und ich erkenne trotzdem, dass es keine Brücke gibt, über die wir gehen könnten im Sinne einer Koalition. Ein gemeinsames Haus wäre auf Sand gebaut. Zu groß sind die weltanschaulichen Unterschiede. Ich habe auch bei Strache diesen Schmerz beobachtet, das war 2014. Wir hatten da ein interessantes Gespräch und es war eine Art Abschiedsschmerz. Denn er hatte gehofft, dass sich hier eine neue Koalitionsoption auftut. Ich sehe in vielen Spitzenpolitikern auch das Kind, das in ihnen steckt, das macht diese Person auch liebenswürdig, aber trotzdem muss ich zurück auf meinen Posten, muss die Frage stellen: Sind wir mit der FPÖ koalitionsfähig? Nein, sind wir nicht.

Sie sagen, Sie lieben Politik. Warum liefert die Politik dann keine positiven Zukunftsszenarien?

Es ist manchmal beklemmend, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich negative Zukunftserwartungen mit auflade, gerade wenn man nach Europa schaut. Es gibt aber auch positive Bilder. Wir arbeiten zum Beispiel derzeit an einer Allianz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Das wäre ein Aufbruch für Europa. Auch wenn es beispielsweise Differenzen in der Währungspolitik zwischen Macron und anderen Liberalen in der Alde gibt - man muss großzügig sein, wir werden eine Linie finden. Denn Europa ist mehr. Meine Vision ist eine Republik Europa.

Es mag die Idee der Republik geben, aber es gibt keine europäischen Bürger. Das zeigen die Europawahlen, die keine europäische Agenda haben.

Ich war früher systemischer Organisationsentwickler. Bei der Geburt großer, neuer Strategien gibt es immer eine Phase der Verwirrung, der latenten Depression, weil man ob der Komplexität in eine Überforderung gerät. Und dann klärt es auf. Wir sind in ganz Europa, den westlichen Demokratien und in Österreich in einem Prozess, der diese Form der Katharsis aushalten muss.

Egal, um welchen Preis? Etwa, wenn die EU nach Großbritannien auch Ungarn, Polen verliert?

Wir sind ja keine Blutsbandenfamilie, sondern wir sind aus freien Stücken eine Gemeinschaft. Wer Mitglied der Union sein will, muss die gemeinsamen Werte und Spielregeln mittragen. Diese Botschaft muss die Europäische Union jetzt auch aussenden, denn ein superweicher Brexit würde eine Kettenreaktion auslösen. Wir brauchen entschlossene Gemeinsamkeit. Dafür würde ich sogar eine kleinere Union in Kauf nehmen. Für eine verantwortungsvolle geo- und weltpolitische Rolle brauchen wir mehr Kraft, Klarheit und Gemeinsamkeit.

Das hieße für Österreich ein Abschied von der Neutralität.

Wir Neos haben immer gesagt, die Neutralität hat sich gewandelt in Richtung europäische Solidarität. Meine persönliche Sicht: Ja, weg mit ihr.

Sie wollten immer gestalten. Gestaltet diese Regierung genug?

Die ÖVP inszeniert mehr, als sie gestaltet. Die neue ÖVP hat zwar den Nimbus einer Reformkraft, liefert aber nicht. Reformbedarf gibt es genug, von Pensionen über Bildung bis zu Sozialversicherung. Die ersten zwei Baustellen werden gar nicht angegangen, die letzte ist vor allem eine Umfärbeaktion.

Gehen Sie, weil Sie selbst nicht in die Regierung gekommen sind?

Ich gehe, weil Neos jetzt jene Reife hat, in der ich als Gründer gut ersetzbar bin. Ad Regierung: Ich habe immer deklariert, dass ich gerne aus einer Regierungsverantwortung heraus gestalten würde. Aber es ist, wie es ist, ich bin nicht in der Regierung und es ging mir auch nie darum, auf meiner Visitenkarte "Minister" stehen zu haben, denn da hatte ich in Summe drei Angebote zu verschiedenen Zeiten.

Was nun?

An Oktober mache ich bis Weihnachten drei Papatage pro Woche, wo ich allein zuständig bin für den Haushalt. Außerdem begleite ich Start-ups im Wachstum, werde mich nächstes Jahr einem Buch- und einem Medienprojekt widmen, davor aber noch fasten und auf Reisen gehen. In den nächsten Wochen werde ich eine Firma gründen. Sie wird jetzt mal klein und fein und ohne Mitarbeiter sein. Vorerst möchte ich ohne großes Gepäck reisen können.