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Die bürgerliche Mitte bricht weg

Von Petra Tempfer

Politik

Jene, die stets systemkonform gehandelt haben, sind zunehmend verbittert - die Qualität der Demokratie könnte darunter leiden.


Wien. Misstrauisch gegenüber der Regierung, misstrauisch gegenüber der Politik: Die gesellschaftliche Mitte, die stets systemkonform gehandelt hat, ist zunehmend verbittert. Zu diesem Ergebnis kam die Aktualisierungsstudie der Sinus Milieus, sagt Martin Mayr vom Integral Markt- und Meinungsforschungsinstitut, das diese Studien durchführt. "Die bürgerliche Mitte fühlt sich getäuscht von politischen Versprechungen und nicht mehr wertgeschätzt", sagt Mayr zur "Wiener Zeitung". Sie habe Angst um ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Dass die Demokratie dadurch ins Wanken gerät, glaubt Politologe Peter Filzmaier zwar nicht - deren Qualität leide aber sehr wohl darunter.

Mögliche Ursachen gibt es viele, schlussendlich ist es wohl ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Mayr zufolge geht es um die Krisenerfahrungen der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte und die damit einhergehende Polarisierung zwischen Be- und Entgrenzen. "Ende der 90er Jahre war die Situation global euphorisch", sagt Mayr: Der Kalte Krieg, also der Konflikt zwischen den Westmächten und dem sogenannten Ostblock, war zu Ende, die Welt stand offen und wurde bereist. Die Chance auf Wohlstand war zum Greifen nah.

Dann kam Nine-Eleven. Die Terroranschläge am 11. September 2001 auf wichtige zivile und militärische Gebäude in den USA ließen die Sicherheitsblase platzen. Danach platzte eine weitere Blase, nämlich jene des Internets, was das Gefühl einer allgemeinen Verunsicherung wachsen ließ. "Das ist fast nahtlos in die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 übergegangen", sagt Mayr.

Zwei neueGruppierungen entstehen

Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe die sicherheitsorientierte, bürgerliche Mitte damit gehadert, dass die österreichische Politik wenige Möglichkeiten hatte, gegenzusteuern. Der Flüchtlingsstrom 2015, mit dem sämtliche Institutionen überfordert waren, machte die Situation nicht besser.

Die Frustration wuchs. "Der bürgerlichen Mitte fällt es schwer, Zusammenhänge zu verstehen", sagt Mayr. Daher brechen Krisen wie diese das Vertrauen in die Eliten - und haben zur Folge, dass sich jene mit einer offenen, entgrenzten Einstellung von jenen mit einer begrenzten Einstellung abspalten. Dadurch entstehen zwei neue Gruppierungen: die digitalen Individualisten, die nach außen gerichtete Lösungen suchen, und die sogenannten Adaptiv-Pragmatischen, die laut Mayr die bürgerliche Mitte ablösen werden. Letztere fühlen sich eher von Politikern überzeugt, die zusichern, sie vor Gefahren abzuschotten. Die Hälfte der unter 30-Jährigen gehört der Studie zufolge einem dieser beiden Milieus an.

Auch Filzmaier beobachtet eine zunehmende Polarisierung innerhalb der Gesellschaft und eine gewisse Enttäuschung. "Österreichs Zweite Republik ist aus der starken Betonung der Gemeinde- und Länderebene heraus entstanden", sagt er. Aufgrund der voranschreitenden Internationalisierung sei jedoch "die Illusion der Einzelstaaten und die Lösung in Österreich etwas, wovon wir uns verabschieden müssen".

Die bürgerliche Mitte breche dadurch auseinander und ordne sich einem der Pole zu. Ein Teil bewege sich weiter nach rechts, was sich bei der aktuellen ÖVP-FPÖ-Regierung abzeichnet, ein anderer weiter nach links. Diese Spaltung habe sich zum Beispiel auch bei der Bundespräsidenten-Stichwahl zwischen Norbert Hofer (FPÖ) und Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen gezeigt, die Van der Bellen im Dezember 2016 knapp gewann. "Aus demokratisch politischer Sicht ist das bedenklich", sagt Filzmaier, "weil es für den demokratischen Grundkonsens einen Mainstream braucht."

"Gerade in Österreich hat die Konsens-Demokratie Tradition"

Die Demokratie an sich sieht er dennoch nicht in Gefahr, deren Qualität allerdings schon. Gerade in Österreich habe die Konsens-Demokratie, die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, Tradition, sagt Filzmaier. Man habe Muster entwickelt, wie diese funktionieren soll. Werden diese Muster wie das Verhältniswahlrecht oder die Sozialpartnerschaft in Frage gestellt, leide die Qualität der Demokratie. Wahlrechtsreformvorschläge fanden sich etwa auch im "Plan A" von Noch-SPÖ-Chef Christian Kern.

Irreversibel sei diese Entwicklung jedoch nicht, sagt Mayr. Kann die Politik glaubwürdige Lösungen präsentieren, dann könne auch das Vertrauen in diese wieder wachsen.

Integral Markt- und Meinungsforschungsinstitut