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Der Klimakonflikt

Von Petra Tempfer

Politik

Je dringlicher der Klimaschutz wird, desto stärker prallen Interessen aufeinander und scheinen Ziele unerreichbar. Eine Analyse.


Seit 10.000 Jahren hatte es auf der Erde beständig um die durchschnittlich 14 Grad Celsius. Eine ähnlich stabile Warmzeit gab es zuletzt vor 400.000 Jahren. Doch nun scheint das moderate Klima des Nacheiszeitalters aus den Fugen zu geraten. Und diese Veränderung ist menschengemacht.

Die weltweite Durchschnittstemperatur ist heute um rund ein Grad höher als 1880, in Österreich sogar um zwei Grad. Die Erwärmung schreitet immer schneller voran. Denn die Welt hat ein CO2-Problem. Treibhausgase, zu denen Kohlendioxid (CO2) zählt, absorbieren die Wärmestrahlung, die von der Erdoberfläche, den Wolken und der Atmosphäre selbst abgestrahlt wird - die Erde erwärmt sich. Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt an.

Wurden im Jahr 1960 weltweit noch 9,1 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen, so waren es im Vorjahr bereits viermal so viel, nämlich 35,5 Milliarden Tonnen. Das sind die nackten Zahlen, messbare Parameter für die Klimaerwärmung, die sich in den Temperaturkurven der vergangenen Jahrzehnte abzeichnet.

Im Schatten der Globalität

So weit die Fakten, das, was der Mensch über die Jahre beobachten, messen und vergleichen konnte. Und das war es dann auch schon wieder mit handfesten Daten zum Thema Klimawandel.

Alles andere sind Zukunftsszenarien, ist Spekulation -dicht verwoben mit Maßnahmenpaketen, Versprechen und öffentlichen Bekenntnissen zum Klimaschutz. Ganz so einfach ist dieser aber nicht. Ganz im Gegenteil. Denn gerade beim Klimaschutz prallen Interessen aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Wirtschafter und Umweltschützer bringen sich in Position, Ziele werden gesetzt, die unerreichbar scheinen - und jede noch so ehrgeizige Maßnahme eines Landes steht doch immer im Schatten der Globalität des Problems.

Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 haben sich Industrie- und Schwellenländer jedenfalls zum Ziel gesetzt, die globale Erwärmung bis 2100 auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Tut man nichts, wird die Temperatur 2100 weltweit um durchschnittlich sechs Grad höher sein, prognostizieren Klimaexperten. Sollte das 1,5-Grad-Ziel verfehlt werden, drohen dem am Montag veröffentlichten Bericht des Weltklimarates IPCC zufolge dramatische Folgen für das Leben auf der Erde - die Forscher drängen auf entschiedeneres Handeln.

So soll zum Beispiel der globale CO2-Ausstoß von 2010 bis 2030 um 45 Prozent sinken und im Jahr 2050 den Wert null erreicht haben. Dessen Hauptverursacher nach Energie und Industrie ist der Verkehr. Der IPCC empfiehlt, sich so bald wie möglich von Autos mit Verbrennungsmotoren zu verabschieden.

Nutzen und Schaden zugleich

Hier wurzelt bereits das erste Problem und verlieren sich die Lösungsansätze. Dass zum Beispiel gerade der Flugverkehr, ein mächtiger Klimasünder, in den Klimabilanzen der Staaten nicht aufscheint und von zahlreichen Zielen ausgeklammert wird, mutet bereits seltsam an. Vom Treibstoff für Flugzeuge muss auch keine Mineralölsteuer gezahlt werden. Aber auch einzelne Maßnahmen zum Klimaschutz entpuppen sich mitunter eher als Gordischer Knoten denn als geradliniger Lösungsweg. Was dem Klima nützen würde, schadet ihm auch.

Österreich zum Beispiel setzt auf Elektromobilität: eine der Maßnahmen der Klima- und Energiestrategie "Mission 2030", die die Regierung heuer beschlossen hat, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. Dazu gehört ein dekarbonisierter Verkehr bis 2050.

Auf dem Weg dorthin wollen Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) die Busspur für Elektroautos freigeben, zur Not auf per Gesetz, wie sie in der Vorwoche verkündeten. Der massive Protest der Städte war die Folge. Deren Interessen, den öffentlichen Verkehr im Sinne des Klimaschutzes zu forcieren und nicht durch Elektroautos zu blockieren, stehen im klaren Gegensatz zu den Plänen der Regierung, die Elektromobilität - ebenfalls im Sinne des Klimaschutzes -zu attraktivieren. Die Interessen verknoten sich. Bevor eine Entscheidung im Busspuren-Zwist fällt, wollen Köstinger und Hofer nun noch Gespräche mit den Städten führen. Wertvolle Zeit verstreicht.

Die Umweltministerin und der Verkehrsminister wollen grundsätzlich Anreize anstelle von Strafen, sagen sie. E-Autos, die als Firmenfahrzeuge geführt werden, können bereits voll von der Vorsteuer abgesetzt werden. Die steuerliche Begünstigung von Diesel soll allerdings bleiben - und das, obwohl Dieselfahrzeuge die Euro-Grenzwerte für Stickstoffdioxid auf der Straße deutlich überschreiten. Der Ruf vonseiten irritierter Klimaexperten, die diese Einstellung nicht nachvollziehen konnten, nach einer ökosozialen Steuerreform wird laut: Die Steuersätze für fossile Energieträger sollen auf das Benzin-Niveau (bis zu 195 Euro pro Tonne CO2) angeglichen werden. Dass Ziele allein durch Anreize erreicht werden können, wird bezweifelt.

Währenddessen führte Hofer Teststrecken für Tempo 140 auf Autobahnen ein und erteilte einem generellen Limit von 100-Stundenkilometern, wie es Experten aus Umweltschutzgründen vorgeschlagen hatten, eine Absage. Warum? Ob der dekarbonisierte Verkehr bis 2050 mit 110, 120 oder 130 km/h unterwegs ist, sei unerheblich, so Hofer. Was auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint, wirkt auf den zweiten schier unerreichbar: Aktuell liegt die Quote von E-Fahrzeugen bei den Neuzulassungen bei 2,5 Prozent. Ob diese in nur 32 Jahren 100 Prozent erreichen kann, ist mehr als fraglich.

Ähnlich verfahren ist die Situation beim Antrieb der Elektroautos. Strom soll der Klima- und Energiestrategie zufolge bis 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen (aktuell sind es 74 Prozent). Will man saubere Energie gewinnen, ist Wasser vor allem in Österreich eine willkommene Quelle - errichtet man neue Wasserkraftwerke, werden dadurch jedoch Flüsse und Ökosysteme zerstört. Umweltschützer schreien auf und intervenieren, weil sie befürchten, dass nun Wirtschafts- und Industrielobbys zusätzlich Stimmung für ein Herabsetzen des Gewässerschutzes im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie machen könnten. Mehr CO2-produzierende Industrie unter geringeren Umweltauflagen wäre die Folge -und das, obwohl es dabei ursprünglich um den Klimaschutz ging.

Kohle im Interesse der USA

Die Interessen der Wirtschaft sind Umweltschützern auch beim "Umweltpaket" ein Dorn im Auge. Dieses wurde im Juni im Ministerrat mit dem offiziellen Ziel auf den Weg gebracht, Umweltschutzorganisationen in Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein Mitspracherecht zu garantieren. Dabei geht es um die Genehmigung von Großprojekten wie Schnellstraßen oder Industrieanlagen - beides Klimasünder. Ein in der Vorwoche von den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ eingebrachter Änderungsantrag schränkt dieses Mitspracherecht allerdings wieder massiv ein: Er sieht vor, dass Vereine, die weniger als 100 Mitglieder haben, von Umweltverfahren ausgeschlossen sind - das wären etwa 40 der rund 60 behördlich anerkannten Vereine. Diese reagierten empört, von einem Frontalangriff auf den Umweltschutz war die Rede. Köstinger habe sich von den Interessen der Wirtschaft leiten lassen, so der Vorwurf.

Bleibt noch das Schicksal des Tropfens auf dem heißen Stein. Österreich mit einer Fläche von rund 84.000 Quadratkilometern ist nicht mehr als ein Pünktchen in Anbetracht der Welt. Einige Großstaaten wie China sind zwar extrem ambitioniert - Benzin- und Dieselautos sollen hier ab 2030 verboten werden -, genau gegenteilig agieren im Moment aber die USA. Diese haben Mitte 2017 angekündigt, im Jahr 2020 aus dem Klimaschutzabkommen von Paris auszusteigen. Der Grund dafür: Es habe die US-Unternehmen im Wettbewerb mit anderen Ländern, darunter China, schlechtergestellt. Er wolle die Interessen des amerikanischen Volkes beschützen, sagte US-Präsident Donald Trump. Diese lägen auch im Kohleabbau. Das Verbrennen von Kohle ist für rund die Hälfte der jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich.