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687 Millionen Euro gegen Kinderarmut

Von Martina Madner

Politik

Die Volkshilfe Österreich schlägt ein Modell zur Kindergrundsicherung vor, um Armut von Familien zu bekämpfen.


Wien. "Es ist hoch an der Zeit, etwas zu tun - Zeit dafür, Kinderarmut nachhaltig abzuschaffen", sagt Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich. Es bleibt aber nicht beim Plädoyer, das, wie er selbst einräumt, "sehr utopisch" klingt. "Das ist es aber nicht", sagt Fenninger. "Armut bedeutet, kein Geld zu haben. Man kann und muss sie also mit Geld bekämpfen."

Die Volkshilfe hat ein Modell zur Kindergrundsicherung erarbeitet und die Simulation durchrechnen lassen, das Ergebnis: Eine solche Grundsicherung für die aktuell 235.000 armutsgefährdeten Kinder in Österreich würde den Staat jährlich 687 Millionen Euro kosten. Gäbe es darüber hinaus eine Einschleifvariante für alle Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren und einem Jahreseinkommen von bis zu 35.000 Euro, kostet die Kindergrundsicherung zwei Milliarden Euro jährlich. "Das Modell wäre bei vertretbaren Kosten sozial erstaunlich treffsicher", sagt Michael Fuchs, Wissenschafter vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, auf Basis seiner Zahlen.

Bis zu 625 statt 200 Euro pro Kind als Absicherung

Wie sieht das Modell der Volkshilfe nun konkret aus? Alle Familien der insgesamt 1,54 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren erhielten wie bisher schon eine Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag, also rund 200 Euro monatlich pro Kind.

Darüber hinaus aber würde dieser Betrag für jedes der aktuell 240.000 Kinder in armutsgefährdeten Haushalt mit einem Jahreseinkommen von höchsten 20.000 Euro auf 625 Euro monatlich aufgestockt. Laut ASB Schuldnerberatungen ist dieser Betrag dafür notwendig, dem Nachwuchs ein kindgerechtes Leben mit allen Zukunftschancen zu finanzieren. 77 Prozent erhielten übrigens, weil einkommensabhängig, den maximalen Betrag von 425 Euro zusätzlich.

300 von den 625 Euro benötigen die Eltern für die materielle Versorgung des Kindes: also 115 Euro für nahrhaftes Essen, 120 Euro für den Wohnraum und 65 Euro für die Kleidung. Schließlich können es sich laut Statistik Austria heute die Eltern von 54.000 Kindern in Österreich nicht leisten, ihnen jeden zweiten Tag Fisch, Fleisch oder vergleichbares vegetarisches Essen zu servieren. Und bei 69.000 Kindern reicht das Geld nicht für neue Kleidung, wenn die alte abgenutzt ist.

30 Euro für Körperpflege und Gesundheitsvorsorge würden die staatlichen Leistungen ergänzen. Dazu kommen 95 Euro im Monat, damit jedes Kind am sozialen Leben seines Umfelds wie zum Beispiel Skikursen, Veranstaltungen und Ausflügen teilnehmen kann. Und 200 der 625 Euro pro Monat und Kind wären für Kulturelles, schulische Nachmittagsbetreuung und Nachhilfe zusätzlich zur Schule vorgesehen.

Sechs statt 18,1 Prozent Armutsgefährdete

Österreich lag laut Eurostat im vergangenen Jahr mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftstandards im EU-Vergleich hinter Luxemburg, Irland und den Niederlanden an vierter Stelle, gehört somit zu den reichsten Ländern Europas.

Trotzdem gibt es in Österreich 1,56 Millionen armutsgefährdete Kinder und Erwachsene, das sind 18,1 Prozent und Platz neun im EU-Vergleich: Das heißt also, in 19 Ländern gibt es zwar einen höheren, in acht aber einen niedrigeren Anteil Armutsgefährdeter.

Die zwei Milliarden Euro teure Einschleifvariante der Kindergrundsicherung der Volkshilfe würde diese 18 Prozent übrigens auf sechs reduzieren. Fenninger geht davon aus, dass das Modell auch nachhaltiger ist als heutige Lösungen. Denn: "Die Langzeitarmutsforschung zeigt uns, dass 50 Prozent der Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten auch später als Erwachsene arm sind", sagt der Volkshilfe-Chef. "Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen."