Wien. Die Experten der beiden Regierungsparteien waren schon am Wochenende im Einsatz, um sämtliche Kritikpunkte durchzugehen. "Bis zur letzten Minute wird daran gearbeitet", wurde der "Wiener Zeitung" versichert. Die Eile hat einen Grund: Nicht einmal eine Woche nach dem Ende der Begutachtungsfrist werden ÖVP und FPÖ am Mittwoch im Ministerrat eines ihrer Megaprojekte - die Reform der Sozialversicherung inklusive Kassenzusammenlegungen von 21 auf fünf Anstalten - beschließen.
Gerade weil es sich bei der Kassenreform um ein Vorzeigevorhaben handelt, lässt die türkis-blaue Koalition nicht mehr daran rütteln. Trotz breitflächiger Kritik aus den betroffenen Sozialversicherungen wie den Gebietskrankenkassen und von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund, deren Einfluss in den völlig umgekrempelten Gremien zugunsten der Arbeitgebervertreter stark beschnitten wird. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Frage, ob der Umbau der Sozialversicherung durch die Koalition gegen die in der Verfassung abgesicherte Selbstverwaltung der Kassen durch die Versicherten verstößt.
Die Koalition ist sich bewusst, dass sie sich dabei auf eine heikle Gratwanderung begibt. Bereits 2003/04 wurde die seinerzeitige Reform des Hauptverbandes der Sozialversicherungen - das war bisher die Dachorganisation der 21 Versicherungsanstalten - vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Damals hat die schwarz-blaue Regierung den roten Gewerkschafter Hans Sallmutter an der Sozialversicherungsspitze abgelöst.
"Wir gehen jedenfalls auf die ganz sichere Seite"
Verantwortlich für den jetzigen Entwurf ist Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Sie sitzt mit Fachleuten ihres Hauses und der ÖVP nach, um den Gesetzestext bis zur heutigen Regierungssitzung nachzujustieren. Es soll damit ein Papier vorgelegt werden, das zwar die von der Koalition paktierten Ziele - wie die Fusion der Gebietskrankenkasse zur österreichischen Gesundheitskasse - fixiert, aber verfassungskonform ist. ÖVP-Klubobmann August Wöginger versprach am Dienstag im Interview mit der APA, vor einer Tagung der ÖVP-Parlamentsfraktion in Tulln, zu verfassungsrechtlichen Fragen: "Da gehen wir jedenfalls auf die sichere Seite." Denn in diesen Belangen gelte es "ganz, ganz sorgsam" zu sein. Es ist jedenfalls sicher, dass es noch einige Änderungen in der Regierungsvorlage zur Sozialversicherungsreform geben wird. Details gab man vorerst nicht preis.
Das betrifft vor allem die Weisungs- und Aufsichtsrolle des Sozial- und Gesundheitsministeriums, das mit dem Recht auf Selbstverwaltung der Sozialversicherung kollidiert. Was für die Regierung besonderes Gewicht hat: Die Warnungen dazu kommen nämlich nicht nur von Sozialversicherungen und Gewerkschaftern, sondern von dem beim Justizministerium angesiedelten Verfassungsdienst. Die Juristen nehmen Bezug darauf, dass im bisherigen Entwurf Weisungen der Ministerin gegenüber dem neuen - stark abgespeckten - Dachverband der Sozialversicherung vorgesehen sind.