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Nachjustieren bei der Kassenfusion

Von Karl Ettinger

Politik

Vor dem Beschluss der Sozialversicherungsreform muss die Koalition nachsitzen: Verfassungsrechtliche Bedenken sollen ausgeräumt werden.


Wien. Die Experten der beiden Regierungsparteien waren schon am Wochenende im Einsatz, um sämtliche Kritikpunkte durchzugehen. "Bis zur letzten Minute wird daran gearbeitet", wurde der "Wiener Zeitung" versichert. Die Eile hat einen Grund: Nicht einmal eine Woche nach dem Ende der Begutachtungsfrist werden ÖVP und FPÖ am Mittwoch im Ministerrat eines ihrer Megaprojekte - die Reform der Sozialversicherung inklusive Kassenzusammenlegungen von 21 auf fünf Anstalten - beschließen.

Gerade weil es sich bei der Kassenreform um ein Vorzeigevorhaben handelt, lässt die türkis-blaue Koalition nicht mehr daran rütteln. Trotz breitflächiger Kritik aus den betroffenen Sozialversicherungen wie den Gebietskrankenkassen und von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund, deren Einfluss in den völlig umgekrempelten Gremien zugunsten der Arbeitgebervertreter stark beschnitten wird. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Frage, ob der Umbau der Sozialversicherung durch die Koalition gegen die in der Verfassung abgesicherte Selbstverwaltung der Kassen durch die Versicherten verstößt.

Die Koalition ist sich bewusst, dass sie sich dabei auf eine heikle Gratwanderung begibt. Bereits 2003/04 wurde die seinerzeitige Reform des Hauptverbandes der Sozialversicherungen - das war bisher die Dachorganisation der 21 Versicherungsanstalten - vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Damals hat die schwarz-blaue Regierung den roten Gewerkschafter Hans Sallmutter an der Sozialversicherungsspitze abgelöst.

"Wir gehen jedenfalls auf die ganz sichere Seite"

Verantwortlich für den jetzigen Entwurf ist Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Sie sitzt mit Fachleuten ihres Hauses und der ÖVP nach, um den Gesetzestext bis zur heutigen Regierungssitzung nachzujustieren. Es soll damit ein Papier vorgelegt werden, das zwar die von der Koalition paktierten Ziele - wie die Fusion der Gebietskrankenkasse zur österreichischen Gesundheitskasse - fixiert, aber verfassungskonform ist. ÖVP-Klubobmann August Wöginger versprach am Dienstag im Interview mit der APA, vor einer Tagung der ÖVP-Parlamentsfraktion in Tulln, zu verfassungsrechtlichen Fragen: "Da gehen wir jedenfalls auf die sichere Seite." Denn in diesen Belangen gelte es "ganz, ganz sorgsam" zu sein. Es ist jedenfalls sicher, dass es noch einige Änderungen in der Regierungsvorlage zur Sozialversicherungsreform geben wird. Details gab man vorerst nicht preis.

Das betrifft vor allem die Weisungs- und Aufsichtsrolle des Sozial- und Gesundheitsministeriums, das mit dem Recht auf Selbstverwaltung der Sozialversicherung kollidiert. Was für die Regierung besonderes Gewicht hat: Die Warnungen dazu kommen nämlich nicht nur von Sozialversicherungen und Gewerkschaftern, sondern von dem beim Justizministerium angesiedelten Verfassungsdienst. Die Juristen nehmen Bezug darauf, dass im bisherigen Entwurf Weisungen der Ministerin gegenüber dem neuen - stark abgespeckten - Dachverband der Sozialversicherung vorgesehen sind.

Die Selbstverwaltungskörper haben hingegen laut Verfassung ihre Aufgaben "in eigener Verantwortung frei von Weisungen" zu erledigen. Von Kassenseite wird moniert, die Ministerin greife auch mit den künftigen Aufsichtsbefugnissen zu weit in die Agenden der Kassen ein.

Der eigentliche Machtkampf mit den Arbeitnehmervertretern tobt wegen der Beschickung der Führung der neuen österreichischen Gesundheitskasse, zu der die neun Gebietskrankenkassen zusammengelegt werden. In diese sollen künftig paritätisch Dienstgeber- und Dienstnehmervertreter entsandt werden, womit die Arbeitgebervertreter alle Entscheidungen blockieren können. In den Gebietskrankenkassen hatten die Arbeitnehmer das Sagen. Der ehemalige Verfassungsrichter Rudolf Müller hält die Parität in einem Gutachten für die niederöstereichische Gebietskrankenkasse für verfassungswidrig. Die Gewerkschaft sieht darin das "Ende der Selbstverwaltung".

Die Regierung stützt sich auf Experten wie den Verwaltungs- und Verfassungsrechtler Bernhard Raschauer, der darin kein Problem sieht. Denn der Beschickungsmodus liege allein beim Gesetzgeber. Gutachten gegen Gutachten heißt es auch bei der Verlagerung der Kompetenz der Prüfung der Sozialversicherungsbeiträge zur Finanz. Das sehen Hauptverband und Kassen gestützt auf Expertengutachten ("Verstaatlichung") als verfassungswidrigen Eingriff, weil die Finanzen zentrale Aufgabe der Selbstverwaltung seien. Das Finanzministerium will jedoch unter Berufung auf eine gegenteilige Expertise und die Finanzprokuratur nicht daran gerüttelt.

Sicher Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof

Bleibt noch der Streit um die Kosten. Nicht einmal für den Rechnungshof war nachvollziehbar, wie die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode auf die genannte eine Milliarde an Einsparungen kommt, die den Patienten zu gute kommen soll. Die Koalition erwartet hingegen weiter, dass besonders durch das Nichtnachbesetzen von Posten nach Pensionierungen bei den rund 28.000 Mitarbeitern der Sozialversicherung gespart wird. 2021 sollen es 200 Millionen, 2022 dann 300 und 2023 schließlich 500 Millionen Euro sein. Auch das soll klarer dargestellt werden.

Mit Sicherheit wird die Sozialversicherungsreform dennoch beim Verfassungsgerichtshof landen. Der ÖGB wird betroffene Versicherte bei einer Anfechtung unterstützen. Kassen wie die Wiener Gebietskrankenkasse warten nur den Beschluss im Hohen Haus ab, bevor sie eine Klage einbringen.

Fix ist der weitere Zeitplan. Im November ist ein Hearing zur Reform im Nationalrat vorgesehen, der Beschluss dann am 13/14. Dezember. Formal in Kraft tritt die Reform Anfang 2019, zum Tragen kommt sie nach einer Überleitungsphase ab April 2020.