Differenzierung entlang von Lebensstilen

Auch Heinzlmaier ortet dies, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil eben die Ideologien fehlen. "Politik ist zum ästhetischen Phänomen geworden. Bei der Programmatik gibt es keine Differenzierung, also bleibt der Lebensstil", sagt der Jugendforscher. Tatsächlich waren in vielen Punkten die Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl einig: alle gegen TTIP, alle für eine Stärkung des Bundesheers, alle für eine aktivere Rolle des Bundespräsidenten und mehr Bürgernähe.

Zu Differenzierungen kommt es aber nicht ausschließlich entlang der grün-blauen Grenzziehung, sondern auch innerhalb der Milieus. Am ehesten findet sich noch ein Wir-Gefühl bei den Wählern der FPÖ. "Im linken Lager gibt es stärkere Individualisierungstendenzen", sagt Heinzelmaier. "Das liberale Segment hat sich in Vielfalt und Unübersichtlichkeit aufgelöst". Diese Individualisierung ist natürlich auch als Emanzipation zu verstehen, gegenüber Parteien und Autoritäten. Das hat aber nicht unbedingt Entpolitisierung zur Folge. Heute partizipiert bisweilen der Einzelne viel intensiver an der politischen Debatte als noch vor ein paar Jahrzehnten, auch dank Sozialer Medien. Es geht halt weniger um das große Ganze, um wirtschaftspolitische Entwürfe. Sondern einfach nur um das Rauchen, das Fahrradfahren oder das Binnen-I. Doch auch das ist ja inzwischen Politik geworden.

Den großen Spalt in der Gesellschaft ortet Heinzlmaier aber anderswo, nicht zwischen Blau und Grün, sondern zwischen den Eliten und weiten Teilen der Bevölkerung. "Die Elite ist diskreditiert", sagt er. Dieses Phänomen zeigt sich auch nicht nur in Österreich. Fast überall entstehen neue Parteien oder es zerfallen, wie in den USA, alte Parteien in diverse Lager. "Die Eliten haben das letzte Quäntchen an Vertrauen verspielt, und das ist auch nicht mehr regenerierbar."

Dieser "Elite" ist die Problemlösungskompetenz abhanden gekommen, wobei, schränkt Soziologe Max Preglau ein, es nicht an der Bereitschaft fehle. "Seit den 80ern haben sich veränderte Verhältnisse zwischen Politik und Ökonomie ergeben." Dass sich der Staat zunehmend zurückziehen soll, weil der Markt ihm überlegen ist, sei zwar aus einer Krisensituation heraus entstanden, aber Konsens geworden.

Wenige Handlungsoptionen für nationale Regierungen

"Wie immer man auch dazu steht: Die Politik hat nun weniger Mechanismen, um ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen zu können. Am Ende steht sie mit leeren Händen da, ist aber nach wie vor mit dem Anspruch des Handelns konfrontiert", sagt Preglau.

Ob Finanzkrise, Griechenland oder nun die Flüchtlinge - die Handlungsoptionen für Faymann, Mitterlehner und Co sind gering geworden, nicht aber die Ansprüche an die Regierung. Das schafft Frustration, gerade in der Mitte, bei den einstigen Aufsteigern. Die Mitte bangt um das Erreichte, die Zukunftsversprechen sind zu einer Zukunftssorge geworden. Heinzlmaier: "Es gibt in der Gesellschaft schon Panik."