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Aufbruch ohne Erfolgsgarantie

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik
Auf der Ladefläche des Lkw geht es nach Norden. Inzwischen haben tausende Migranten Mexiko-Stadt erreicht.
© Käufer

Die Migrantenkarawane marschiert, von Trumps Warnungen unbeeindruckt, in Richtung US-Grenze.


Veracruz. Die neuste Information kommt per Lautsprecher: "Unser nächstes Ziel ist Sayula de Aleman", ruft die Stimme auf der Bundesstraße 185. Die führt von der kleinen Ortschaft Matias Romero im Bundesstaat Oaxaca über die Grenze nach Veracruz - das nächste Etappenziel der Migrantenkarawane aus Honduras, die sich Tag für Tag in Richtung USA vorkämpft. Rund 7000 Menschen haben sich zusammengefunden, die meisten aus der honduranischen Metropole San Pedro Sula. Aber auch aus Guatemala und El Salvador sind Migranten dabei. Sie alle haben nur ein Ziel: nach Norden, in die USA.

Wie Juan (17) aus San Pedro Sula. Er ist mit der ganzen Familie seit dem ersten Tag dabei. "Wir suchen eine neue Chance, ein besseres Leben", sagt Juan. In der Heimat hat er in einer kleinen Boutique gearbeitet. Für eine Handvoll Pesos. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, sagt der junge Mann. Dazu kommen die Gewalt und die Erwartung, dass es in den nächsten Jahren nicht besser wird in dem krisengeschüttelten Land, das durch politische Unruhen, aber eben auch durch Gewalt und Kriminalität der gefürchteten Mara-Banden erschüttert wird. Jetzt marschiert Juan für eine bessere Zukunft. Erst durch Honduras, dann durch Guatemala und inzwischen durch den Süden Mexikos, der eigentlich besonders gefährlich ist für Migranten. Doch diese ungeschriebenen Regeln gelten plötzlich nicht mehr. Zu groß ist die Gruppe, als dass Angreifer wagen, sie zu attackieren. Chiapas, Oaxaca und Veracruz sind Mexikos berüchtigte Bundesstaaten für Flüchtlinge, die sich bis dato auf eigene Faust auf den Weg Richtung US-Grenze gemacht haben.

"Hunderttausende verschwunden"

"Hunderttausende sind in den letzten Jahrzehnten spurlos verschwunden. Opfer von Raubüberfällen, Entführungen und Vergewaltigungen geworden", sagt Moritz Krawinkel. Der deutsche Helfer vom Hilfswerk "medico international" begleitet die Karawane seit einigen Tagen. Er ist überzeugt, dass die Regeln der Migration aus Mittelamerika mit dieser Karawane neu geschrieben werden. "Der Schutz der großen Gruppe funktioniert und ermöglicht so Dinge, die vorher undenkbar waren. Diese neue Migrationsform könnte Schule machen."

Was das heißt, ist an diesem Tag auf der Bundesstraße 185 zu erleben. Ein klein bisschen hat diese Karawane etwas von der Tour de France. Im Fernsehen sehen die Anwohner entlang der Strecke, wo sich die Migranten gerade befinden. Kommt der Treck an ihrem Dorf vorbei, gehen viele Nachbarn an die Straße, reichen Bananen, Äpfel, Butterbrote. Autos halten an, Familienväter springen heraus und verteilen Wasserflaschen. "Gracias Mexico", rufen die Migranten. Sie selbst sind überwältigt von dieser Freundlichkeit, die sie so nicht erwartet hätten. An diesem Tag, so haben es die Migranten entschieden, soll eine Teilstrecke von 120 Kilometern überwunden werden. Ein strammes Programm, das zu Fuß nicht zu erreichen ist. Doch viele Mexikaner helfen.

Immer wieder springen die Migranten auf vorbeifahrende Lkw, die kurz anhalten, um auf ihrer Ladefläche die Menschen für eine Teilstrecke mitzunehmen. Andere werden von Privatautos mitgenommen. In der Tat schaffen es bis zum Abend alle zum nächsten Ziel: einem Gemeindehaus im Bundesstaat Veracruz. Dort wartet eine improvisierte Arztpraxis einer christlichen Kirche. Die Bundespolizei bewacht das Nachtlager. Auf dem Sportplatz nebenan wird geduscht, Wäsche gewaschen und die weitere Route geplant. Gemeinsam, so haben es die Migranten gelernt, ist es nicht gefährlich. "Es gibt eine große Solidarität unter den Flüchtlingen. Niemand wird zurückgelassen", sagt Juan.

Bislang ging alles gut. Erstaunlich schnell und unkompliziert marschiert die Gruppe voran, auch wenn die physischen Strapazen enorm sind. Es gibt Familien mit kleinen Kindern, Teenagergruppen, Alte und Alleinreisende. Aber alle haben das gleiche Ziel: die Vereinigten Staaten. Doch von dort aus kommen täglich immer schlechtere Nachrichten. "Wir lassen niemanden herein", hören sie US-Präsident Donald Trump im Fernsehen sagen, und dass sich Terroristen und Verbrecher unter den Flüchtlingen befänden. Auch Mexikaner warnen: "Da sind auch ein paar Leute von den Mara-Gangs dabei." Mehrere Anwohner, die mit verschränkten Armen die Karawane aus der Distanz verfolgen, stehen den Migranten kritisch gegenüber. "Es gibt mehr Hilfe für die als für die Opfer des Hurrikans", klagt einer. Gerade hatte ein Wirbelsturm den Norden Mexikos heimgesucht, tausende Mexikaner kämpfen mit den Schäden.

Bei den Migranten stoßen Trumps Ankündigungen derweil auf taube Ohren. "Wir hoffen, dass Trump nach den Wahlen sein Herz öffnet und uns eine Chance gibt. Wir wollen nur arbeiten", sagt Juan. Bislang will niemand in der Karawane glauben, dass vielleicht alles umsonst sein könnte. Der lange Marsch, das Zurücklassen der Heimat, die bisweilen gefährlichen Mitfahrten auf den Ladeflächen der Lkw. Die Unsicherheit, ob es am nächsten Tag Essen gibt, ob es weitergeht.

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1500 Honduraner kehrten bereits um

"Auch Mexiko ist eine Option", sagt Juan und ist damit nicht alleine. Immer mehr Migranten erwägen, hier zu bleiben, wenn es mit den USA nicht klappen sollte. Wenn sich eine Mauer aus Stacheldraht und Soldaten, die Trump angekündigt hat, tatsächlich als unüberwindbar erweist. Um den Hals vieler Migranten baumelt eine Art Akkreditierung, die ihre Rechte ausweist. Ausgestellt von der mexikanischen Menschenrechtskommission. Das alles zeigt Wirkung. Ebenso wie die Ankündigung des künftigen Präsidenten Mexikos, Andres Manuel Lopez Obrador, Arbeitsvisa auszustellen und statt mit Abschiebungen mit Chancen auf die Migrationswelle zu reagieren. In Mexiko, so glauben die Migranten, sind sie willkommen. Wie lange das so bleibt, wenn um die Arbeitsplätze konkurriert und weitere Ströme aus dem Süden nachfolgen, ist eine andere Frage.

"Zu Hause verfolgen sie genau, wie es uns ergeht", sagt Juan. Die Karawane befindet sich in einer Art Fernduell mit Trump. Und ganz Mittelamerika schaut zu, wer sich durchsetzt. Trump, der die Grenze komplett abriegeln will, oder die Migranten, die dann ziemlich sicher für einen Präzedenzfall gesorgt hätten. "Ich glaube schon, dass Mexiko für die Migranten eine Alternative wäre, allerdings nicht, wenn sie sich, wie vom Noch-Präsidenten Pena Nieto vorgeschlagen, nur im Süden ansiedeln dürften, wo die Lebensumstände einfach schlecht sind", sagt der Deutsche Krawinkel.

Geht es in dem Tempo weiter, erreichen die Migranten in spätestens eineinhalb Wochen die US-Grenze. Dann wird sich ihr Schicksal entscheiden. USA oder Mexiko, oder vielleicht sogar wieder ganz zurück in die Heimat? 1500 Honduraner nahmen das Angebot ihrer Regierung an, nach Hause zu kommen. Ihr rechtsgerichteter Präsident Juan Orlando Hernandez glaubt, dass die Organisatoren der Karawane ohnehin nur seine Politik in Misskredit bringen wollen - und kündigte diesen harte Strafen an.

Mexikos Regierung bemüht sich derweil, den Treck störungs- und gewaltfrei durchzubringen. Am 1. Dezember, wenn Lopez Obrador sein Amt antritt, werden die Karten ohnehin neu gemischt. Dann entscheidet sich das Schicksal der Karawane - und auch das von Juan: "Es wird gut ausgehen, da bin ich ganz sicher", sagt er mit überzeugter Stimme.