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Islam als Motivationsnarrativ

Von WZ-Korrespondent Markus Schauta

Politik

Friedens- und Konfliktforscher Maximilian Lakitsch über die Rolle der Religion im Syrienkrieg.


"Wiener Zeitung": Im achten Jahr des Syrienkrieges scheinen die Fronten zwischen den Kriegsparteien mehr denn je entlang der Konfessionen zu verlaufen. Eine sunnitische Opposition im Nordwesten des Landes steht einem von schiitischen Verbündeten gestützten Regime gegenüber. In der Provinz Idlib und im Norden Aleppos etwa wird die verbliebene Opposition von salafistisch-dschihadistischen Gruppen dominiert. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Maximilian Lakitsch: Die Proteste 2011 begannen mit rein politischen Forderungen. Doch als Gewalt ins Spiel kam, setzte eine Dynamik ein, in der die Religion irgendwann in den Konflikt hineingesogen wurde. In den ersten zwei Jahren dominierte die säkulare Opposition. Gleichzeitig gab es aber Milizen, die sich als dschihadistisch beschrieben. Oft war es aber so, dass eine befreundete Gruppe beschloss, gemeinsam gegen Assad zu kämpfen. Das geschah meist in ländlichen Regionen. Der Freundeskreis hatte aber weder Waffen noch Finanzen. Aber die Gruppe wusste, wenn man ihr einen religiösen Namen verpasst, Namen aus der Tradition des Propheten, ist die Chance groß, Funding von der Arabischen Halbinsel zu bekommen. Dann entsteht also eine Miliz, und wenn sich der militärische Erfolg einstellt, kommen weitere Mitglieder hinzu. Auch wenn die religiösen Symbole anfangs rein pragmatische Gründe hatten, transformiert sich das und wird tatsächlich religiös gefärbt. Hinzu kamen religiöse Narrative - bei Al-Kaida und dem Islamischen Staat (IS) vor allem das Apokalyptische. In einem aussichtslosen Krieg, in dem der Einzelne erkennt, dass er keine Chance hat, die Menschen in einer Trümmerlandschaft leben, können diese Narrative existenzielle Motivation bieten, um weiterzukämpfen.

Spielt die moderate Opposition noch eine Rolle?

Man hat am Anfang des Konflikts so getan, als ob die säkulare Opposition riesig wäre. Folgt man der aktuellen Berichterstattung, ist das Gegenteil der Fall. Es scheint, als bestehe die gesamte Opposition ausschließlich aus Dschihadisten. In Wirklichkeit muss man von einer Koexistenz sprechen, wobei im Nordwesten Aleppos tatsächlich dschihadistische Gruppen dominieren.

Zahlreiche Beobachter sahen im Syrienkrieg immer eine Fortsetzung des Konflikts zwischen Sunniten und Schiiten. Verlaufen die Frontlinien tatsächlich entlang der Konfessionen?

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen das Regime unterstützen oder auch nicht. So gibt es viele Sunniten, die nach wie vor zum Regime halten. Es sind ja viele Ämter mit Sunniten besetzt. Diese Leute haben viel zu verlieren, wenn das Regime stürzt; ihren Arbeitsplatz, ihre ökonomisch einflussreiche Position. Auf der anderen Seite gab es aber auch Alawiten und Christen, die sich der Opposition angeschlossen haben. Das konnte ideologisch-politische Gründe haben, etwa weil man es satthatte, dass die vom Regime seit Jahrzehnten versprochenen Freiheiten immer noch auf sich warten ließen. Aber auch ökonomische Gründe: Viele Alawiten sind arm, weil die politische Situation in Syrien ist, wie sie ist. Sie schulden dem Regime nichts, ihre alawitische Identität ist uninteressant. Sie sind vor allem Syrer, die sich unterdrückt fühlen und somit ihren Grund haben zu rebellieren.

Wie steht es um das Narrativ, wonach Bashar al-Assad für ein säkulares Syrien stehe?

Tatsächlich spielt die nationale Identität heute bei den meisten Syrern eine große Rolle. Es gibt also diese Idee von einem säkularen Syrien, gleichzeitig ist die Religion Fundament der Macht. Denn das Regime erhält bewusst die Angst aufrecht, ohne das Regime würde eine religiöse Fragmentierung und Konflikte zwischen den Religionen drohen. Gleichzeitig wird die Fragmentierung aber bewusst fortgeschrieben. Etwa indem sich die Syrer zu einer Religion bekennen müssen, die dann auch im Ausweis verzeichnet ist. Oder indem es neben der säkularen immer auch eine religiöse Rechtssprechung gab - und gibt.

Der Islamische Staat ist militärisch zerschlagen, das Projekt Kalifat gescheitert. Hat der salafistisch-dschihadistische Islam dadurch an Attraktivität verloren?

Als das Kalifat 2014 ausgerufen wurde, war das unheimlich attraktiv und hat der salafistisch-dschihadistischen Ideologie einen ziemlichen Schub gegeben. Viele orientierungslose Jugendliche in Europa haben erlebt, was auf dem Pfad des Dschihad alles möglich ist. Selbst einen eigenen Staat kann man gründen und man kann Teil davon sein. Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Es ist eine gewagte These, aber ich denke, dass durch den Fall des Kalifats der Dschihadismus tatsächlich nachhaltig entzaubert worden ist. Aber Prognosen über künftige Entwicklungen im Nahen Osten sind selten richtig.

Was müsste getan werden, um der spaltenden Rolle der Religion in einem Nachkriegssyrien entgegenzuwirken?

Das Regime weiß, dass es den Gräben zwischen den Religionsgruppen entgegenwirken muss. Es gibt in Syrien einen Minister für nationale Wiederversöhnung, es wurden bereits einige interreligiöse Treffen organisiert und sogenannte Nationale Rehabilitationszentren errichtet. Dort werden ehemalige Kämpfer dschihadistischer Milizen von religiösen Experten über islamische Geschichte belehrt. Ziel ist es, die spirituelle Tiefe der Leute in eine andere Richtung zu lenken.

Der Norweger Geir Pedersen wird neuer Syrienbeauftragter der Vereinten Nationen. Was kann der mittlerweile vierte Beauftragte erreichen, was seine Vorgänger nicht geschaffen haben?

Die UNO kann nur eine sehr geringe Rolle spielen. Das Einzige, was sie tun kann, ist, am Ende des Prozesses das Erreichte zu legitimieren. Aber den Prozess treiben andere voran. Es sind das fast ausschließlich Russland und in weiterer Folge die Syrer selbst. Die Iraner sind geschwächt, weil im Inneren das sehr kostspielige Syrien-Abenteuer immer weniger Gefallen findet. Es wird einen Schein-Friedensvertrag geben, mit irgendwelchen Gruppierungen, die sich als Opposition darstellen oder vorgestellt werden. Diese werden dann von der UNO angenommen und somit legitimiert, was zur Wiederaufnahme des Assad-Regimes in die internationale Staatengemeinschaft führen wird. Mehr werden die Vereinten Nationen nicht manchen können.

Maximilian Lakitsch ist Friedens- und Konfliktforscher an der Universität Graz. Sein Regionalschwerpunkt ist der Nahe Osten, wo er sich mit der Rolle von Religion in Konflikten auseinandersetzt.