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"Die Gewinne werden großteils nach China fließen"

Von Klaus Huhold

Politik

Der China-Experte Gordon Houlden erklärt, warum es Chinas KP bei ihrer wirtschaftlichen Globalisierungsoffensive auch um den Machterhalt im Inneren geht. Europa könne vom Handel mit China profitieren, dürfe aber nicht naiv sein.


"Wiener Zeitung": China präsentiert die Neue Seidenstraße vor allem als ökonomisches Projekt. Ist es das tatsächlich oder hat es auch eine politische Dimension?

Gordon Houlden: Ich denke, in erster Linie geht es China darum, einen größeren Raum für seine Wirtschaft und mehr Märkte für den Export zu gewinnen. Aber freilich kann Handel nie ganz von der Politik losgelöst werden. China scheint sich selbst noch nicht ganz im Klaren zu sein, wie es bei diesem Projekt Wirtschaft und Politik trennen will. Aber allein schon dadurch, dass andere Länder wie die USA die Neue Seidenstraße auch als politisches Projekt ansehen, hat es schon eine politische Dimension.

Was sind dann auf lange Sicht Chinas Ziele?

Innenpoltisch ist das wichtigste Ziel der KP, dass das Regime bestehen bleibt. Und die KP ist der Ansicht, dass ihr vor allem zwei Umstände Legitimität verleihen: Erstens, dass sie für mehr Wohlstand sorgt, und zweitens, dass sie die chinesische Nation schützt. Das führt über Chinas Grenzen hinaus: Wirtschaftswachstum hängt mit Außenhandel zusammen, und der nationalistische Ansatz hat zum Ziel, China global mehr Einflussmöglichkeiten zu verschaffen oder zumindest die Risiken für die chinesische Nation zu minimieren. Beachtenswert ist aber: Noch immer gibt China viel mehr Geld für die innere als für die äußere Sicherheit aus. Daraus leite ich ab, dass die inneren Entwicklungen im Land noch immer die allerhöchste Priorität für die KP haben.

Aber mit welchen Risiken könnte sich die Kommunitische Partei hier denn überhaupt noch konfrontiert sehen?

Mit Volksaufständen oder mit schweren Konflikten innerhalb der Partei. Wobei Zweiteres die größere Gefahr darstellt. Denn China gibt derzeit enorm viel Geld für neue Überwachungstechnologien, für Programme zur Gesichtserkennung oder modernisierte Kamerasysteme aus. Zudem war der Aufstand am Platz des Himmlischen Friedens 1989 eher eine Ausnahme, was mit verschiedenen historischen Gründen zusammenhängt. Ich denke daher, in absehbarer Zukunft können die Machthaber jeden Protest schnell eindämmen, noch bevor er an Momentum gewinnt. Deshalb sind Konflikte innerhalb der Partei das größte Risiko für die KP. Ich kenne die österreichischen Parteien nicht genau, aber ich bin mir sicher, dass es ihnen verschiedene Gruppen gibt. Die gibt es in jeder politischen Partei. Und in einem Ein-Parteien-System sind die verschiedenen Fraktionen die verschiedenen Parteien.

Aber Präsident Xi scheint ziemlich fest im Sattel zu sitzen und seine Macht abgesichert zu haben...

Diese starke Kontrolle, die Xi über die Partei ausübt, birgt auch gewisse Risiken. Dass er die Begrenzung der Amtszeiten des Präsidenten auf zweimal fünf Jahre aufgehoben hat, bedeutet auch, dass es nun einige unglückliche Leute innerhalb der Partei gibt, die ihm gerne nachgefolgt wären.

Auf internationaler Bühne scheint der große Gegenspieler nun US-Präsident Donald Trump zu sein. Oder täuscht der Eindruck, dass die USA nun China als neuen großen Gegner ausgemacht haben?

Nein. Unter US-Politikern und in der US-Öffentlichkeit verfestigt sich immer mehr die Meinung, dass China eine Gefahr für die USA darstellt. Auch wenn der Handelsstreit beigelegt wird, wird sich diese Haltung nicht ändern. Ich befürchte, dass das Risiko eines verschärften Wettbewerbes immer mehr steigt; wirtschaftlich, militärisch und kulturell.

In Europa gibt es bezüglich der Neuen Seidenstraße zwei Lager. Vor allem Wirtschaftstreibende betonen, die Initiative sei eine Jahrhundertchance. Skeptische Stimmen meinen hingegen, dass man sich damit einer künftigen chinesischen Dominanz ausliefere. Wer hat recht?

So etwas ist immer schwer vorauszusagen, vor allem bei so einem großen, komplexen Land wie China, wo fast jede Antwort ein einerseits und ein andererseits verlangt. Einerseits könnte Europa durchaus großen Nutzen aus der Seidenstraße ziehen, deshalb sollte die EU versuchen, von all diesen neuen Transportlinien und Infrastrukturprojekten zu profitieren, diese gehen schließlich in beide Richtungen. Andererseits darf Europa nicht naiv sein. Das Projekt wurde von China ins Leben gerufen und wird von China gestaltet, weshalb klar ist, dass die Gewinne großteils in die Volksrepublik fließen, vor allem chinesische Firmen zum Zug kommen werden. China muss Anreize schaffen, um Europa mit ins Spiel zu nehmen, aber wenn es die Möglichkeit hat, gibt es den Europäern gerade einmal fünf, zehn Prozent des Gewinns ab und behält den Rest für sich.

China hat einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung hinter sich. Könnte das chinesische Modell nun auch Vorbild für andere, vor allem ärmere Länder sein?

Ich glaube nicht, dass es sich so leicht übertragen lässt. Was trägt das chinesische Modell? Viel billiges Kapital. Woher kommt es? Von den chinesischen Sparern. Die Chinesen legen noch immer etwa die Hälfte ihres Einkommens zur Seite. Und für die Sparer gibt es kaum eine andere Möglichkeit, als ihr Erspartes einer staatlichen Bank anzuvertrauen, die es nur äußerst gering vergütet. Der Staat hat somit unglaublich viel Kapital in der Hand, denn hinzu kommen ja noch die Erlöse vom Export. Somit kann Geld an Staatsunternehmen mit einem Zinssatz gegen null vergeben werden. Das lässt sich schwer kopieren. China hat seine Entwicklung durch Exporte angekurbelt. Aber es hat dieses Modell nicht erfunden: Nachkriegs-Japan, Südkorea, Taiwan, sie alle haben es angewandt. Die Staaten, die nun aber versuchen, auf diese Weise am Weltmarkt stärker Fuß zu fassen, müssen mit China und all seiner Industrie konkurrieren. Und das macht es für sie viel schwerer. Hinzu kommen die Größe und das Ausmaß Chinas. So ein Staat kann regionale Konzentrationen, bestimmte Industriegebiete schaffen. Aber Afrika etwa besteht aus 54 Staaten: Sie werden sich kaum einigen, dass sich zum Beispiel ein Staat auf die Automobilindustrie und ein anderer auf den Lebensmittelexport konzentriert.

Könnte nicht das chinesische politische Modell immer attraktiver werden? China selbst argumentiert ja, dass es Stabilität bringt und langjährige Planungen ermöglicht, um Entwicklung und Armutsbekämpfung voranzutreiben.

Das chinesische Politmodell besitzt derzeit eine große Strahlkraft, und es könnte vielleicht auch in anderen Ländern funktionieren, aber nicht so wie in China, weil dort eben die Umstände einzigartig sind. Aber ich fürchte, dass es manche Länder aus den falschen Gründen kopieren wollen. Es ist nämlich für Staatschefs mit autokratischen Tendenzen sehr attraktiv: Sie führen ein Ein-Parteien-System ein, das vor allem sie selbst repräsentieren, und werden so von niemandem mehr kontrolliert. Wobei aber die KP Chinas noch immer ein großer Kollektivverband mit 80 Millionen Mitglieder und vorerst einmal keine Ein-Mann-Diktatur ist. Außerdem hat das chinesische System die Schwäche, dass es für Korruption anfällig ist, weil die Wirtschaft zentral kontrolliert wird. Somit besteht die Gefahr, dass Staaten nicht die guten, sondern all die schlechten Seiten Chinas nachahmen: Sie haben dann eine zentrale Kontrolle, eine von der Regierung gefütterte enorme Korruption und die Hand des Staates liegt schwer auf den Unternehmen. Gleichzeitig gibt es keinen wirtschaftlichen Fortschritt.