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"Jemens Menschen haben zu lange gelitten"

Von Michael Schmölzer

Politik

Nach vier Jahren Krieg starten in Stockholm Friedensverhandlungen. Die Chancen auf Erfolg waren nie besser.


Stockholm/Sanaa. Krieg, zehntausende Tote und eine beispiellose humanitäre Katastrophe: Nach vier Jahren Gewalt liegt der Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt, zerstört am Boden. Die Kämpfe, in denen der Iran indirekt über Waffenlieferungen an die Rebellen sowie die Saudis mit einer hochgerüsteten Militärkoalition präsent sind, verschonen vor allem Zivilisten nicht.

Elf Millionen Kinder sind laut Unicef auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Bilder ausgemergelter, dem Tod geweihter Babys, die in den Spitälern notdürftig versorgt werden, sorgen für Entsetzen. Alle elf Minuten, errechnete die UNO, stirbt im Jemen ein Kind. Das Land, das früher für seine mittelalterlichen Hochhäuser aus Lehm und seine Ursprünglichkeit von Touristen geschätzt wurde, versinkt im Elend. Die Infrastruktur ist zerstört, Nahrungsmittel sind nicht mehr leistbar. Es kommt zu Cholera-Epidemien.

USA machen Druck auf Saudis

Die Menschen in Jemens Hauptstadt Sanaa wollen längst nichts anderes mehr als ein rasches Ende des Krieges. Ähnlich geht es den Bewohnern von Aden und Taiz und denen am Rotmeerhafen Hodeidah, wo Bodenkämpfe große Schäden angerichtet und zivile Opfer gefordert haben.

Die große Hoffnung heißt jetzt Stockholm, alle Blicke sind auf Schloss Johannesberg gerichtet. Dort werden am heutigen Donnerstag Friedensgespräche starten. Vertreter der schiitischen Houthi-Rebellen sind bereits an Ort und Stelle angekommen, eine Delegation der international anerkannten Regierung bestieg am Mittwoch den Flieger in Riad.

Kann es diesmal zu einer Lösung des Konflikts kommen? Ein Blick in die Vergangenheit stimmt pessimistisch. Vor mehr als zwei Jahren platzten die Friedensgespräche im Bajan-Palast in Kuwait. Die fruchtlosen Gespräche boten keine Basis für weitere Verhandlungen.

Heute werden die Chancen auf Erfolg ungleich besser eingeschätzt. Der Schlüssel liegt bei den Saudis. Kronprinz Mohammed bin Salman hat eine arabische Koalition gegen die Houthis geschmiedet, ein schiitischer Stamm, der ursprünglich ganz im Nordwesten des Jemen beheimatet war. Mittlerweile kontrolliert er aber große Teile der dicht besiedelten Gebiete, inklusive der Hauptstadt Sanaa. Für den saudischen Kronprinzen sind die Houthis Werkzeuge des Teufels, Büttel des Iran, der seinen Einfluss in der Region ausweitet und bekämpft werden muss.

Der Mordfall Khashoggi, hinter dem allem Anschein nach der saudische Kronprinz persönlich steckt, hat Riad jetzt in die Defensive gebracht. Die internationale Aufmerksamkeit richtet sich auf das Drama im Jemen, an dem die Saudis maßgeblich beteiligt sind. Vor allem die USA haben den Druck auf ihren arabischen Verbündeten Nummer eins stark erhöht, endlich den Weg für eine friedliche Lösung frei zu machen. "Die Menschen im Jemen haben viel zu lange gelitten", so das US-Außenamt. Nach dem desaströsen Schauspiel, das die Saudis im Fall Khashoggi boten, konnten sie das US-Begehren schlecht ablehnen.

Eine Lösung begünstigt, dass auch die Houthis in Bedrängnis geraten sind. Die Kämpfe um den von ihnen kontrollierten, strategisch enorm wichtigen Hafen Hodeidah am Roten Meer waren schon voll im Gange - und die Houthis auf verlorenem Posten. Die Kampfflugzeuge der saudischen Allianz haben die Lufthoheit und können die Stellungen der Rebellen nach Belieben bombardieren. Die international anerkannte Regierung unter Präsident Mansour Hadi wird nicht nur von den Saudis, sondern auch vom Westen logistisch unterstützt.

Die Motivation der Houthis, die Hand zum Frieden auszustrecken, ist also zweifellos da. Zumal Hodeidah die Lebensader der Rebellen ist. Hier wird ein Großteil der Lebensmittel und sonstigen Bedarfsgüter umgeschlagen.

Verletzte Houthis ausgeflogen

Houthi-Sprecher Mohammed Abdul Salam will die Gespräche in den Räumlichkeiten von Schloss Johannesberg zu einem Erfolg machen. Auch der UN-Sondergesandte für den Jemen, Martin Griffith, wird sein ganzes diplomatisches Geschick in die Waagschale werfen.

Vertrauensbildende Maßnahmen wurden bereits gesetzt: Am Montag konnten 50 verletzte Rebellen, teils in Rollstühlen, aus Sanaa ausgeflogen werden. Ihre ärztliche Versorgung im benachbarten Oman war eine Bedingung der Houthis für die Teilnahme an den Gesprächen. Zudem könnte es zu einem umfassenden Gefangenenaustausch zwischen Regierung und Rebellen kommen. Sollte dieser tatsächlich stattfinden, dann wäre das nach UN-Angaben die erste unterschriebene Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien.

Auf beiden Seiten ist große Erschöpfung und damit auch eine erhöhte Bereitschaft zur Kooperation feststellbar - ein Umstand, der für die anstehenden Gespräche hoffen lässt. In der Vergangenheit waren die Verhandlungen stets wegen der aufgeheizten Stimmung und gegenseitigen Schuldzuweisungen gescheitert. Beobachter meinen, dass ein Durchbruch in Stockholm nicht außer Reichweite wäre. Fix rechnen dürfe man mit einem Erfolg aber nicht. Für viele notleidenden Jemeniten ist Stockholm zum Ausdruck der Hoffnung geworden, dass Krieg, Not und Hunger in absehbarer Zeit ein Ende finden könnten.