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Das Kreuz auf den Trümmern des Kalifats

Von WZ-Korrespondent Cedric Rehman

Politik
Auch in Erbil können die Christen wieder Weihnachten feiern.
© Getty/Chris McGrath

Fast die Hälfte der vom IS vertriebenen Christen im Irak ist zurück in ihrem Stammland unweit der früheren IS-Hauptstadt Mossul. Eine alte Kultur wehrt sich gegen den Untergang. Doch die Zukunft ist ungewiss.


Mossul. Der Christ Mohanad Hanna Yousif kauft seine Ware dort, wo das IS-Kalifat bis zum Juli 2017 noch seine Hauptstadt hatte. Er steigt an einem Platz im Osten Mossuls in ein Auto. "Guten Tag, wie geht es Ihnen?", sagt er auf Deutsch. Über eine frisch asphaltierte Straße geht es heraus aus der Stadt. Etliche Räumfahrzeuge stehen am Straßenrand in Lücken zwischen den Häuserzeilen. Sie rotten vor sich hin. Ihre Schilde schoben vor einem Dreivierteljahr in der westlichen Altstadt Leichen in die Bombenkrater und füllten sie mit Schutt. Die neue Stadtverwaltung weiß nun nicht, wohin mit dem schweren Gerät. Die Wiederaufbauteams haben Teer auf die Trümmer und die Toten gekippt, damit der Verkehr wieder rollen kann. Sie bauen neue Häuser. Ein neues Mossul entsteht, dessen Unterleib ein Massengrab ist. Nur die Menschen, die überlebt haben, sind dieselben geblieben.

Yousif ist guter Laune. Er hat heute in Mossul ein paar gute Geschäfte gemacht. Das wird er seiner Frau am Telefon erzählen. Sie ist mit dem Sohn in Deutschland geblieben und möchte eigentlich dort bleiben. Der irakische Christ und Familienvater hat vor einigen Monaten etwas getan, für das ihn nicht nur seine Frau, sondern auch die Asylbehörde in Bayern für verrückt erklärt haben. Sein Recht auf Aufenthalt in Deutschland als Christ aus dem ehemaligen Kalifatsland schien so sicher zu sein wie die nächste Krise im Irak. Trotzdem packte Yousif seinen Koffer, lieh sich Geld von der Familie im Irak und küsste Frau und Kind zum Abschied. "Die beiden werden nachkommen, wenn ich sie überzeugt habe", sagt er.

Es geht weiter auf dem Highway in Richtung Osten. Eine Ausfahrt führt nach rund 30 Kilometern zu einem Checkpoint. Soldaten der Ninive Protection Unit (NPU), einer christlichen Miliz, winken den Fahrer durch. Der Blick fällt auf ein meterhohes Holzkreuz einige hundert Meter hinter dem Wachposten an einer Kreuzung. Dahinter weht an einem etwa doppelt so hohen Mast die rot-weiß-schwarze Trikolore des Irak. Bauscht ein Windzug sie zu voller Größe auf, steht das Kreuz unter dem Schriftzug auf der Fahne: "Allahu Akbar" (Gott ist am größten"). Vielleicht ist es ein Zufall. Die Christen im Irak verwenden die "Takbir" genannte Formel allerdings genauso häufig wie die Schiiten und die Sunniten.

Zurück nach Mossul

Das Auto hält vor einem Modegeschäft im Zentrum von Karakosch. In einem Nachbarhaus gähnen rußverschmierte und leere Fenster in der Fassade. Der IS hat geplündert und gebrandschatzt, bevor ihn die 9. Division der irakischen Armee im Oktober 2016 aus der Stadt vertrieb. "Auch meine Geschäfte haben sie angezündet", erzählt Yousif. "Ich war einmal reich." Er schiebt den Rollladen hoch und schließt das Geschäft auf. Es ist wieder erstanden. Jacketts aus feinem Stoff hängen an den Kleiderstangen.

Eigentlich brachten ihn deutsche Freunde auf die Idee, hierher zurückzukehren: "Wir saßen am Abend zusammen, und sie haben vom Zweiten Weltkrieg erzählt. Wie Deutschland damals in Trümmern lag und die Deutschen das Land wieder aufgebaut haben. Sie sind damals nicht abgehauen, habe ich mir gesagt." Die schlimmen Folgen der Massenflucht für den Irak kann Yousif ganz einfach erklären. Bisher ist erst die Hälfte der Bevölkerung nach Karakosch zurückgekehrt, die 2014 vor den IS-Kämpfern geflohen war und sich dann in alle Welt verstreute. "Wenn die Hälfte der Stadt fehlt, wird sich mein Geschäft hier nicht lohnen. Dann wird sich überhaupt kein Geschäft in Karakosch lohnen", sagt Yousif.

Gleichwohl reicht seine Überzeugungskraft nicht aus, um die eigene Frau und den Sohn zurück zu locken. Seine Frau bewundert die Deutschen für ihre Sauberkeit und die Sicherheit im Land. "Außerdem haben die Frauen dort mehr Rechte als hier", sagt Yousif. Er klingt nicht begeistert, als er das sagt. Die irakischen Christen würden in drei bis fünf Jahren sehen, was das Exil bei den Glaubensbrüdern in Europa aus ihnen mache. "Ich bin ein gebildeter Mann, ich hatte Geld, und in Deutschland hätte ich in meinem Alter vielleicht noch putzen gehen können. Ich war ein Nichts dort." Er will nicht falsch verstanden werden, betont er. "Ich bin Deutschland dankbar für, das was es 2014 für die Iraker getan hat." Die irakischen Christen, die nach der Vertreibung des IS mit der Rückkehr zögern, zerstören aber seiner Ansicht nach nun ihre eigene Kultur. Das wichtigste Band, das die Christen im Irak verbinde, sei die Familie. "Die Eltern in Deutschland, das eine Kind in Australien, das andere in Amerika, das macht uns kaputt."

Der IS wurde im Juni 2014 von den Sunniten im nahen Mossul beklatscht, als er die Stadt einnahm. Er nahm zwei Monate später das zu mehr als 90 Prozent von syrisch-katholischen und syrisch-orthodoxen Christen bewohnte Zentrum der Ninive-Ebene, die 50.000 Einwohner zählende Stadt Karakosch ein. Insgesamt flohen 120.000 Christen damals in die Kurdengebiete im Nordosten. Etwa die Hälfte dürfte nun wieder zurück in ihren Heimatorten sein.

Genozid durch den IS

Die Flucht ins autonome Kurdengebiet oder von dort weiter in ein westliches Land ersparte Christen in den Jahren 2014 bis 2017 die Rechtlosigkeit im Kalifat. Der IS säuberte sein Herrschaftsgebiet nach religiösen Kriterien. Für Jesiden und Schiiten bedeutete das Genozid. Christen, deren Glaube im Koran als Religion des Buches beschrieben wird, konnten konvertieren oder ihre völlige Entrechtung hinnehmen. Aber sie wurden nicht systematisch ermordet. Wenn der Christ Yousif von den Verbrechen des IS spricht, hört er sich an wie ein Sunnit aus Mossul. Er rechtfertigt das Verhalten der Bevölkerung. Das seien keine Leute aus der Stadt oder der Region gewesen, sagt er zum Beispiel. Den Beifall der lokalen Sunniten für die Terrormiliz habe es 2014 auch nur gegeben, weil die schiitische Regierung in Bagdad die Sunniten so schlecht behandelt habe. Dabei geht der Hass zwischen Sunniten und Schiiten schon auf die Gründerzeit des Islam zurück. Yousif ist dagegen überzeugt, dass das Ausland das Sektierertum über die Iraker gebracht habe. Er nimmt ein Jackett aus besonders feinem Stoff vom Kleiderbügel. "Als sich herumgesprochen hat, dass ich aus Deutschland zurückkehre, haben mir meine Freunde in Mossul ihre beste Ware für meinen neuen Laden geschickt, obwohl es ihnen selbst so schlecht geht", erzählt er. "Das sind alles Muslime."

Szenenwechsel: Pater Duraid Barber Arihbula zeigt auf die Einschlusslöcher an den Wänden Karakoschs, um zu zeigen, was er von den irakischen Muslimen hält. "Das macht der Islam", sagt der syrisch-katholische Priester. Er ist unterwegs auf den von Kämpfen und IS-Besatzung gezeichneten Straßen der Stadt. Sein Ziel sind die Alten der Stadt. Einige wurden von ihren Kindern in der Obhut der Kirche zurückgelassen, weil sie zu krank oder zu gebrechlich für die Flucht nach Europa waren. Andere kommen aus Familien, die wegen ihrer Armut nicht weiter kamen als in die Flüchtlingscamps in der autonomen Kurdenregion. Der Pater besucht nun Häuser, in denen die Stimmen hallen. Denn es leben dort nur noch alte Ehepaare und keine Großfamilien mehr. Die alten Leute schweigen sich an und denken an ihre an die Diaspora verlorenen Kinder und Enkel.

Das Gotteshaus, eine Ruine

NPU-Soldaten stehen mit dem Maschinengewehr im Anschlag vor dem Büro des Bischofs in Karakosch. Anschläge gab es seit dem Fall Mossuls im Juli 2017 in der Stadt keine mehr. Aber der syrisch-katholische Bischof Boutros Moshe ist einer der wichtigsten christlichen Religionsführer im Irak. Die Zahl der Christen im Land hat sich seit der US-Invasion 2003 von rund 1,3 Millionen auf etwa 250.000 verringert.

Moshe lädt in den Salon und nimmt Platz unter einem Bild von Papst Franziskus. Der Bischof lässt einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten. Ohne Kreuz und Kollar könnte er auch als Muslim durchgehen, der seine Gebetskette keinen Moment aus der Hand legt. Er selbst fände den Vergleich wohl nicht despektierlich. Er spricht von der gemeinsamen Kultur aller Iraker und klingt eher wie der Modeverkäufer Yousif als der ihm unterstellte Priester. Angesprochen auf Arihbulas Äußerungen, winkt der Bischof ab und spricht von Einzelmeinungen. Die anderen Religionsführer und er wollten die Jugend dazu bringen, aufeinander zuzugehen, erzählt er. Es klingt nach einer schönen Vision in einem Land, in dem jede Volks- und Religionsgruppe die andere zumindest des Verrats, wenn nicht schlimmerer Dinge, verdächtigt. Der Bischof ist stolz darauf, dass fast jeden Tag Christen aus westlichen Ländern in Karakosch und anderen Städten der Ninive-Ebene ankommen. Er fürchtet offenbar, seine Schäfchen könnten besonders in Europa dem Säkularismus anheimfallen. "Es gibt dort viele Gefahren", meint er. "Die Menschen gehen nicht mehr in die Kirche."

Solange er mit Gottes Segen Einfluss auf den Machtklüngel in Bagdad nehmen könne, werde er dafür kämpfen, dass den Christen ihre von der Verfassung gewährten Rechte gewährt werden, versichert Moshe. Doch weder er noch der Heilige Geist haben es leicht mit den Intrigen spinnenden Politikern in der Hauptstadt. "Einige nutzen unsere Notlage aus, um mit viel Geld und Druck an unser Land zu kommen", sagt er mit Blick auf die Schiiten, die sich für den derzeit leerstehenden Grundbesitz von Christen in der halb entvölkerten Stadt und Region interessieren.

Am Abend läutet die Glocke über der Mar-Benham-Kirche zur Abendmesse. Die ersten Gläubigen stehen tratschend im Innenhof. Der IS hat im Hof und im Kirchenraum sämtliche Bilder heruntergerissen und Statuen zerschossen. Ein Sprengkörper halbierte den Kirchturm. Das Gotteshaus gleicht einer Ruine. Die Gläubigen von Karakosch haben sich dennoch - oder vielleicht auch deshalb - herausgeputzt. Denn ihr Kreuz wurde wieder errichtet auf den Trümmern des Kalifats. Sie beten, dass es bleibt.