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Ein wilder Westen

Von Konstanze Walther

Politik

Eine historische Durststrecke: Der derzeitige Shutdown in den USA treibt absurde Blüten.


Washington. Im 19. Jahrhundert war Europa fest im Griff der Romantik - und damit der Hochstilisierung von antiken und humanistischen Idealen.

Zur selben Zeit, als Goethe seinen Faust ("erster Teil") fertigstellte, brachen in der Neuen Welt Jäger, Fallensteller und Abenteurer in bisher für sie unerschlossenes Gebiet vor - an und über die "Frontier", die Grenze von Regionen, die bisher noch ausschließlich von Indianern bevölkert wurden.

Die schrittweise Kolonialisierung dieser Gebiete wurde später zur eigenen Idee der Romantik in den USA: Der Wilde Westen war geboren. Eine Zeit, in der das Faustrecht herrschte, mutige Kopfgeldjäger im Alleingang Städte retteten und der Staat ganz und gar nichts zu melden hatte; er war weit weg, die Menschen waren auf sich alleine gestellt.

Für einen Teil der Republikaner - die man zuletzt unter dem Sammelbegriff "Tea Party" zusammengefasst hat - sowie für die kleine Fraktion der libertären US-Amerikaner ist das nach wie vor der Idealzustand: So wenig Staat wie möglich. Hand in Hand damit geht natürlich die Affinität derselben Kreise zum sogenannten zweiten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten: Jeder US-Amerikaner darf Waffen besitzen und tragen. Zur Selbstverteidigung gegenüber dem Staat, falls der faschistoide Züge bekommt, zur Notwehr gegen Kriminelle und in gewisser Weise wohl auch alles, was hinter einer "Frontier" so lauert.

Für jene US-Amerikaner, die am liebsten so wenig Staat wie möglich haben, hat vor zwanzig Tagen wieder ein Goldenes Zeitalter angefangen: US-Präsident Donald Trump hat mit dem 22. Dezember den wohl längsten Shutdown der Geschichte eingeläutet. Am Freitag war es schon Tag 20, ein Ende ist nicht in Sicht. Mit Sonntag ist es offiziell: Noch nie standen in den USA in der jüngeren Zeit so lange Teile der Regierung still.

Küstenwache schlägt Flohmarkt als Überbrückung vor

Der Shutdown bedeutet: kein Budget für neun der 15 US-Ministerien, darunter die Ressorts für Landwirtschaft, Heimatschutz, Verkehr, Inneres und Justiz.

Etwa 850.000 Personen, die Hälfte aller Bundesbediensteten, ist auf Zwangsurlaub geschickt. Bundesmuseen sind geschlossen. Nationalparks werden nicht gepflegt, sondern zugemüllt.

Das Magazin "Vanity Fair" berichtet von einem Info-Blatt, das die Küstenwache an seine unbezahlten Mitarbeiter ausgehändigt hat. Darin werden Tipps zum Überleben während des Shutdowns gegeben. Man solle doch nicht mehr benötigte Sachen verkaufen, auf einem Flohmarkt oder annonciert in der Zeitung beziehungsweise im Internet. Zudem könne man doch in der Zwischenzeit Geld mit Kinderbetreuung oder mit dem Gassi-Gehen von Hunden verdienen.

Die Bundesbediensteten werden auch darauf hingewiesen, dass sie doch bitte in ihrer einkommensfreien Zeit nicht ihre Kreditkarte belasten sollen, um sich nicht in Schulden zu stürzen.

Leichter gesagt als getan - wo doch in den USA auch viele Bundesbedienstete keinen Sparpolster haben, sondern auf ihr monatliches Gehalt angewiesen sind für die jeweiligen Mietzahlungen.

Essenzielle Staatsbedienstete müssen ohne Geld arbeiten

420.000 Bundesbeamte insbesondere im Sicherheitsbereich müssen aber ohnedies ohne Bezahlung weiterarbeiten, weil ihre Dienste als essenziell für den Staat eingestuft werden. Das sind etwa FBI-Beamte, Geheimdienstler, Fluglotsen oder Grenzschützer. Allerdings hat Trump zugesichert, "dass sie ihr Geld bekommen". Freilich ist unklar wann.

Leidtragende sind auch Millionen Bürger, die auf Steuerrückzahlungen warten oder auf Essensmarken angewiesen sind.

Zu dem Budgetstreit ist es gekommen, weil Trump vom Kongress 5,7 Milliarden Dollar (4,98 Milliarden Euro) für den Bau einer Mauer zu Mexiko haben will. Die Demokraten kontrollieren aber seit Jahresanfang das Repräsentantenhaus und wollen die Mauer nicht finanzieren. Trump wiederum weigert sich, ein Budgetgesetz zu unterzeichnen, in dem keine Mittel für den Bau enthalten sind. Zuletzt hatte Trump das Treffen mit den Demokraten mit "bye-bye" abrupt abgebrochen. Tags darauf besuchte er die mexikanische Grenze und warb erneut für den Mauerbau.

Trump riet Studenten 2004: "Klettert über die Mauer"

Währenddessen twitterte die US-Satiresendung "The Daily Show" ein Video von Trump aus dem Jahre 2004: Bei einer Rede vor Studenten der Wagner-Hochschule erklärte Trump, wohl um die Studenten anzufeuern: "Wenn ihr vor einer Betonwand steht, geht hindurch, klettert drüber, geht dran vorbei, aber kommt vor allem auf die andere Seite dieser Mauer."

Der US-Präsident droht mittlerweile mit der Ausrufung des nationalen Notstands, um sich die Gelder für die Mauer zu beschaffen und die Haushaltssperre zu beenden. Gebe es keinen "Deal" mit den Demokraten, werde er so verfahren, meinte er. Laut US-Medien wird dabei in Erwägung gezogen, etwa die Gelder aus dem Katastrophenfonds abzuziehen. Damit würde etwa die oft benötigte Hurrikan-Hilfe wegfallen.

Den Shutdown bezeichnet Trump indes als Grund, seine geplante Teilnahme am Weltwirtschaftsforum in Davos (22. bis 25. Jänner) abzusagen. "Wegen der Uneinsichtigkeit der Demokraten den Grenzschutz betreffend und der Wichtigkeit von Sicherheit für unser Land, sage ich hochachtungsvoll meine sehr wichtige Reise zum Weltwirtschaftsforum ab", twitterte Trump am Donnerstag. Trump gilt nicht als Freund von multilateralen Foren.

Auch der französische Staatschef Emmanuel Macron sagte seinen Davos-Besuch aus Termin-Gründen ab. Macron kämpft mit anhaltenden Protesten der sogenannten Gelbwesten.

Die Wissenschaft im Shutdown

(dpa) Der Shutdown betrifft nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft. In zahlreichen Behörden werden nur diejenigen weiter beschäftigt, deren Arbeit als "absolut notwendig" eingestuft wird. Bei der nationalen Wissenschaftsstiftung NSF sind das gerade einmal 60 von 2000 Mitarbeitern, bei der Klima- und Wetterbehörde NOAA 5500 von 11.400, bei der Umweltschutzorganisation EPA ungefähr 750 von mehr als 14.000.

Die Mitarbeiter der nationalen Gesundheitsinstitute NIH und die US-Energiebehörde hatten ihre Budgets schon vor der Budgetsperre bewilligt bekommen und können weiterarbeiten. Auch rund 60 Prozent der Angestellten der Medikamentenbehörde FDA können normal weitermachen, da diese sich nicht nur aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Die vom Shutdown betroffenen Mitarbeiter können auch ihre E-Mails nicht abrufen, die auf Regierungsservern gelegt sind. Deswegen mussten zahlreiche Forschungsprojekte auf Eis gelegt werden.

"Die Nasa ist derzeit geschlossen", steht auf der Webseite der US-Raumfahrtbehörde. Die Missionen im All laufen weiter. Aber nur mit den dafür absolut notwendigen Mitarbeitern.