Macht es - um den Gedanken weiterzuspinnen - für die Europäer Sinn, die Nähe zu Peking zu suchen, um einen zusätzlichen Hebel gegen den Kreml in der Hand zu haben?

In den 1970er Jahren haben die USA ihre Beziehungen zu China verbessert. Das hat keine politischen Kosten bei den Verbündeten verursacht, weil China damals für niemanden eine Bedrohung darstellte - nicht einmal für Japan. Tokio gab sich damals Mühe, den Amerikanern bei der Normalisierung der Beziehungen zuvorzukommen. Als US-Präsident Richard Nixon die Beziehungen zu China auf eine völlig neue Basis stellte, waren die US-Verbündeten einverstanden. Wenn Donald Trump das mit Moskau versuchen würde, dann würde er scheitern - die Europäer wären völlig aus dem Häuschen.

Erleben Sie Europa heute als unabhängiger von den USA als noch vor wenigen Jahren?

Ja. Es begann 2003, als Deutschland und Frankreich sich massiv gegen den Irak-Feldzug der USA ausgesprochen haben. Aber der wirkliche Wendepunkt war vergangenes Jahr, als Trump mit scharfen Worten die Europäer aufforderte, ihre Militärausgaben dramatisch zu erhöhen. Das hat die strategischen Beziehungen wirklich durcheinandergewirbelt. Dieses Vertrauen ist nicht so leicht wiederherzustellen, denn woher sollen die Europäer wissen, dass sie nach Trump nicht eines Tages einen Trump II bekommen? Aus einer strategischen US-Sicht ist Trump eine Katastrophe: Denn auch der japanische Premier Shinzo Abe hat seine China-Politik drastisch verändert. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind heute viel besser - nicht zuletzt, weil auch Japan den USA nicht mehr vertraut.

Wie geht es mit Europa weiter?

Europa verliert den Status als Zentrum der Welt. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Russland keine Supermacht mehr ist. Somit kann niemand in Europa - auch Russland nicht - mit den USA konkurrieren. Die Konkurrenz in der kommenden bipolaren Weltordnung wird sich zwischen China und den USA abspielen. Das Zentrum der Weltpolitik liegt immer dort, wo der Fokus der Konkurrenz der Supermächte liegt. Und dieser Fokus lag zuletzt in Europa, wandert nun aber in die Pazifikregion. Europa ist nicht mehr das Zentrum der Welt, dafür sind die Aussichten auf Frieden auf diesem Kontitent endlich einmal gut. Das ist das Schöne an der Peripherie: Dort ist es ruhig, gemütlich und friedlich. In den Staaten ist es auch so: In der Stadt herrscht große Konkurrenz, es geht hektisch zu und manchmal wird mit harten Bandagen um Macht und Einfluss gekämpft. Am Land ist es ganz anders. Aber gleichzeitig muss das Dorf in der Provinz die Hoffnungen begraben, Hauptstadt zu werden.

Wie sieht es in Ostasien aus?

Taiwan, Nordkorea, das südchinesische Meer, die Diaoyu-Inseln (in Japan als Senkaku-Inseln bekannt, sie werden sowohl von China als auch von Japan beansprucht) - diese Probleme wird es noch in zehn, 20 Jahren geben. Aber: Ich sehe keine Kriegsgefahr. Es gibt zwar Konflikte, aber Krieg? Das halte ich für ausgeschlossen.