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Nur bedingt Hoffnungsträger für Venezuela

Von Konstanze Walther

Politik

Der plötzliche Aufstieg des Interimspräsidenten sorgt für Misstrauen, erklärt Experte Raul Zelik.


Caracas/Berlin. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände in Venezuela sind katastrophal. Die Frage, die sich momentan alle stellen: Kann es Juan Guaidó, der sich zum Interimspräsidenten ausgerufen hat, besser als Langzeitpräsident Nicolás Maduro machen?

Mit 5. Jänner wurde Guaidó zum Parlamentsvorsitzenden gewählt und hielt seine erste öffentliche Rede. Eine Woche später überlegte er laut, sich zum Interimspräsidenten auszurufen, und teste die Reaktionen. Tags darauf wurde er kurz von Sicherheitskräften festgenommen, um danach gleich eine Rede zu halten. Der Informationsminister Jorge Rodriguez erklärte die kurze Festnahme zu einem "irregulären Prozedere" und dass die Sicherheitskräfte der Opposition helfen wollten, eine "Medienshow" zu generieren. US-Vizepräsident Mike Pence rief Guaidó an und erklärte, er werde dessen mutige Führung anerkennen. Und als knapp eine Woche später sich Guaidó nun offiziell zum Interimspräsidenten eingeschworen hat, dauerte es nicht einmal eine halbe Stunde, bis US-Präsident Donald Trump Guaidó anerkannt hatte. Das Magazin "Der Spiegel" berichtete, dass Leopoldo López, Gründer von Guaidós Partei "Voluntad Popular", sowie der republikanische US-Senator Marco Rubio den Coup eingefädelt haben.

Der Venezuela-Experte Raul Zelik sieht Guaidó im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" jedenfalls kritisch: "Ich glaube, dass die Wahl, Guaidó nach vorne zu schicken, dem Umstand geschuldet war, dass er in der Debatte zuvor eigentlich keine Rolle gespielt hat. Guaidó gilt als relativ unbeschädigt." Zelik gibt auch zu bedenken, dass erst im Dezember Russland eine Zeit lang Jets, die mit Nuklearwaffen ausgestattet werden können, in Venezuela stationiert hatte. "Die zunehmende Kooperation Venezuelas mit Russland ist natürlich geopolitisch ein Faktor, der die USA sehr stört", meint Zelik, derzeit Fellow an der Universität Jena.

Er glaube nicht, dass die Idee einer Einführung eines Interimspräsidenten rein in den Köpfen der venezolanischen Politiker entstanden ist: "Das ist mit Sicherheit international abgesprochen worden." Dass die USA wohl ein Wörtchen mitgeredet haben, ist für Zelik der Grund zu glauben, dass die "Lösung Guaidó die schlechteste Option von allen ist". Denn an den strukturellen Problemen werde sich nichts ändern: Die Opposition habe auch keine Antworten, wie man den Staat, der vollkommen von den Öleinnahmen abhängig ist, umbaut. "Die Opposition will auch nur zu dem alten Modell zurückkehren, nämlich, dass die Öleinnahmen stärker privatisiert werden und damit internationalen Konzernen stärker zur Verfügung stehen", meint Zelik.

"Legitimation des Wahlrechts ist von Maduro zerstört worden"

Unterdessen geht der Protest in den Straßen Venezuelas weiter: Am Freitag ist die Zahl der Toten bei den Unruhen auf 26 gestiegen. "Es gibt eine heftige Repression der Regierung Maduro gegen die Proteste - und dieses Mal offenbar auch in den Armenvierteln, wo er eigentlich seine Wähler rekrutiert. Andererseits gibt es bei vielen Basisorganisationen die Furcht, dass es unter einer rechten Regierung noch schlimmer werden könnte", so Zelik.

Es gibt leider keinen geregelten Weg, herauszufinden, was die Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich will. Denn das Misstrauen in den demokratischen Prozess ist zu Recht groß: Nachdem die Opposition die Parlamentswahlen Ende 2015 gewonnen hatte, hat die Regierung das Parlament praktisch aufgelöst, "auf eine nicht verfassungskonforme Weise", formuliert es Zelik: "Das hat vielen Leuten vor Augen geführt, dass man in Venezuela mit Wahlen vermutlich nicht viel verändern kann. Insofern ist die Legitimation des Wahlrechts durch die Politik der Maduro-Regierung zerstört worden", diagnostiziert Zelik.

Venezuela bräuchte seines Erachtens nach eine neutrale internationale Organisation wie die Vereinten Nationen, um die Grundregeln eines demokratischen Wahlmechanismus wieder herzustellen.

So ist auch dahingestellt, ob die von vielen EU-Politikern geforderten Neuwahlen in Venezuela, um die Krise aufzulösen, auch im Land von der Mehrheit anerkannt wird.

Und an den grundlegenden Problemen des Landes werde auch eine Machtablöse nichts ändern, fürchtet Zelik: "Wie in vielen Erdölstaaten hat man in Venezuela die Erfahrung gemacht: Man verdient nichts, wenn man versucht produktiv zu arbeiten. Man kann nur gut leben, wenn man sich am Verteilungskampf der Ölrente beteiligt, aber nicht, wenn man auf den Gedanken kommt, ein Feld zu bestellen."

Das führt zur Absurditäten wie der Tatsache, dass das fruchtbare Land zwei Drittel seiner Nahrungsmittel importieren muss. Das führt aber auch dazu, dass wenn der Ölpreis auf ein Fünftel des Ursprungswerts zurückfällt, der Staat nur noch ein Fünftel seiner Einnahmen hat.

Selbst Maduros Vorgänger Hugo Chávez konnte diese Strukturen nicht aufbrechen. "Die Machtgruppen, die um den Ölreichtum ringen, haben sich unter Chávez sofort wieder herausgebildet. Die Situation hat sich unter Maduro verschärft. Durch wirtschaftspolitische Maßnahmen, die anfangs gut gedacht waren, wurden neue Eliten im Staat hervorgebracht."

Das führt dazu, dass der Staat entscheidet, welche Privatfirmen Devisen bekommen, um Güter zu importieren. Da werden Milliarden Dollar abgezweigt. "Alle wissen, dass diese Wirtschaftspolitik ein totales Desaster ist, weil sie unglaubliche Anreize für Spekulation und Schmuggel schafft", erzählt Zelik. Dazu gehört auch die Preisregulierung: Man verdiene mit Schmuggel von Benzin oder von subventionierten Lebensmitteln in Venezuela mehr Geld als mit Drogenschmuggel.

Die Devisen sind derzeit allerdings knapp, das Land ist vor dem Bankrott. Und es liegt nicht einmal am Ölpreis, der sich ja wieder stabilisiert hat. Sondern an der Tatsache, dass Venezuela gar nicht genug Öl fördern kann, weil die Anlagen veraltet sind. Es werden zwar offiziell keine Daten veröffentlicht, aber es gibt Schätzungen, wonach Venezuela weniger die Hälfte dessen fördert, was das Land eigentlich laut seiner Opec-Quote dürfte.