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Wohin mit den Dschihadisten?

Von Michael Schmölzer

Politik

Das "Kalifat" existiert nicht mehr, Europa will die Extremisten nicht aufnehmen. Trump übt massiven Druck aus.


Washington/Brüssel/München. Tot ist es noch nicht, das "Kalifat", aber es liegt in den letzten Zügen. Die gefürchteten Extremisten des IS kämpfen, zusammengedrängt auf einem halben Quadratkilometer, im ostsyrischen Dorf Baghuz. Sie sehen sich einer kurdisch-arabischen Übermacht gegenüber und einer US-amerikanischen Regierung, die die Sache lieber heute als morgen für immer erledigt haben möchte. Die USA würden mit ihren Verbündeten daran arbeiten, "die Reste des IS zur Strecke zu bringen, wo immer und wann immer sie ihre Fratzen erheben", erklärte US-Vizepräsident Mike Pence auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Dort herrschte Übereinstimmung, dass der IS in Zukunft zu bekämpfen sein werde, auch wenn die Terrorvereinigung kein eigenes Territorium mehr für sich beanspruchen kann. Washington spielt den Ball an seine Verbündeten weiter. Der US-Sonderbeauftragte für Syrien, James Franklin Jeffrey, meinte in München, der IS werde weiter ein Problem sein. Doch nun sollten sich auch andere darum kümmern.

Hoffnungslose Lage

Die anderen, das sind derzeit kurdische Kämpfer, die in den sogenannten SDF-Einheiten gegen die Islamisten vorgehen. Die Gefechte sind verlustreich, die letzten IS-Schergen leisten zähen Widerstand. Einige hundert sind es noch. Sie kämpfen mit dem dem Rücken zur Wand, haben nichts mehr zu verlieren. Das Areal, das sie verteidigen, ist vermint und untertunnelt. Die Verteidiger versuchen, ihren Untergang durch Selbstmordanschläge zu verzögern. Zudem verwenden sie Zivilisten als lebende Schutzschilde.

Vielen IS-Kämpfern ist die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation klar, sie versuchen, durch die eigenen Linien zum Gegner überzulaufen. Wer dabei von den eigenen Leuten erwischt wird, wird an die Wand gestellt. Laut einem Sprecher der kurdisch-arabischen Koalition gibt es eine Spaltung zwischen syrischen und ausländischen IS-Milizionären. Die Syrer wollen sich ergeben, die Ausländer - vor allem Iraker, Türken, Ägypter, Libyer und Dschihadisten aus verschiedenen europäischen Ländern - wollen bis zum bitteren Ende kämpfen.

Tausende IS-Kämpfer wurden getötet, einige sind entkommen. Die große Frage ist, was man mit denen machen soll, die in Gefangenschaft geraten sind. Allein im kurdisch kontrollierten Nordsyrien sitzen 800 ausländische IS-Kämpfer in Lagern ein. Dazu kommen 700 Ehefrauen und 1500 Kinder, die ebenfalls interniert werden. Die Kurden wollen die ausländischen IS-Gefangenen auf keinen Fall ziehen lassen. Es handle sich bei ihnen um "tickende Zeitbomben", so ein Sprecher.

Genau damit, mit der Freilassung der IS-Kämpfer, droht jetzt US-Präsident Donald Trump, sollten diese von Europa nicht zurückgenommen werden. "Die USA ersuchen Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere europäische Verbündete, über 800 IS-Kämpfer, die wir in Syrien gefangen genommen haben, zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen", so Trump per Twitter. "Die Alternative ist keine gute, indem wir gezwungen wären, sie freizulassen." Die USA würden ungern zusehen, wie diese IS-Kämpfer Europa durchdringen, wohin sie erwartungsgemäß gehen wollten.

"Sollten sie nicht nehmen"

Die EU hat sich mit der Frage noch nicht intensiv befasst. Großbritannien und Frankreich wollen keine IS-Kämpfer ins Land lassen. Man solle den Dschihadisten dort den Prozess machen, wo sie ihre Verbrechen begangen hätten, so ein Sprecher der britischen Premierministerin Thresa May. Dänemark spricht von einigen "der gefährlichsten Menschen der Welt, und wir sollten sie nicht zurücknehmen". Auch Berlin hält die Forderung der USA für "außerordentlich schwierig zu realisieren".

Österreichs Außenministerin Karin Kneissl reagierte vor dem Treffen von Bundeskanzler Sebastian Kurz mit dem US-Präsidenten zurückhaltend. Man müsse generell in klarer Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden handeln. Dies gelte auch für Österreich.

Wie viele IS-Kämpfer aus Österreich in Syrien sind, könne man nicht sagen, so Kneissl, "die genaue Zahl schwankt". Österreich habe aber eine "unverhältnismäßig hohe Zahl" gemessen an seiner Bevölkerung - so wie Dänemark und Belgien. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz halten sich knapp 100 aus Österreich stammende "Foreign Fighters" in Kriegsgebieten auf. Rund 30 Prozent haben die österreichische Staatsbürgerschaft. 90 Dschihadisten seien bis Anfang 2019 wieder nach Österreich zurückgekehrt. Gegen alle Rückkehrer seien Ermittlungsverfahren nach Paragraf 278b StGB wegen terroristischer Vereinigung eingeleitet und Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft erstattet worden, hieß es.

Wienerin will zurück

Den völligen militärischen Zusammenbruch vor Augen, melden sich weibliche Anhänger des IS und fordern die Rückholung in ihre Heimatländer. Nach der Britin Shamima Begum wurde der Fall der US-Bürgerin Hoda Muthana bekannt. In Österreich gibt es derzeit einen bekannten Fall.

Es handelt sich dabei um eine junge Frau, die vor vier Jahren von Wien nach Syrien ausreiste, um sich dem IS anzuschließen. Die heute 20-Jährige wurde von einem afghanischen IS-Kämpfer schwanger. Momentan befindet sie sich mit ihrem eineinhalb Jahre alten Sohn in kurdischer Haft. Laut österreichischem Außenministerium sei man gerade dabei, die "praktischen Möglichkeiten einer Rückholung" zu prüfen. Dabei gehe es auch um das Kindeswohl.

Auch die US-Bürgerin Muthana will zurück in ihre Heimat. Die 24-Jährige aus Alabama sei die einzige Amerikanerin unter rund 1500 ausländischen Frauen und Kindern, die im kurdischen Lager sitzen. Ihre Entscheidung, sich dem IS anzuschließen, sei ein großer Fehler gewesen, zeigt sich Muthana laut Tageszeitung "Guardian" reuig.

Unterdessen schlägt der Fall der Britin Shamima hohe Wellen. Die erst 19-Jährige will nach der Geburt ihres Sohnes zurück nach London, damit ihr drittes Kind bessere Überlebenschancen hat. Zwei Babys, die sie in Syrien geboren hatte, seien gestorben, sagt sie. Der britische Innenminister Sajid Javid will sie aber auf keinen Fall zurückkommen lassen.