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Nervosität vor Volkskongress

Von Thomas Seifert

Politik

Parteichef Xi muss angesichts der sich eintrübenden chinesischen Wirtschaftsaussichten Turbulenzen beim Treffen des (nicht frei gewählten) chinesischen Parlaments fürchten. Nun plant die Regierung offenbar Steuererleichterungen.


Peking/Wien. Die Stimmung vor der Eröffnung des chinesischen Volkskongresses am Dienstag in Peking ist angespannt wie seit Jahren nicht mehr. Chinas Premier Li Keqiang wird dieses Zusammentreffen von insgesamt rund 2980 Abgeordneten aus allen Ecken des Reichs der Mitte eröffnen: Der chinesische Volkskongress wird im Rahmen der jährlich stattfindenden Session das Budget sowie den Fünfjahresplan genehmigen sowie verschiedene Gesetze durchwinken.

De jure ist der für fünf Jahre gewählte Nationale Volkskongress die gesetzgebende Körperschaft im chinesischen Staatswesen, de facto hat das größte (allerdings nicht frei gewählte) Parlament der Welt bis zum Jahr 1986 noch nie eine Regierungsvorlage abgeändert oder zurückgewiesen. Damals wurde das Insolvenzrecht erst nach Abänderungen beschlossen. Im Jahr 2000 wurde dann das erste Mal ein Gesetz abgelehnt - damals ging es um ein Autobahngesetz. Die Sitzungen - in China der politische Höhepunkt des Jahres - dauern meist zehn Tage und finden in der "Großen Halle des Volkes" am Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) statt. Gleichzeitig finden die Sitzungen der sogenannten politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes statt, in dem die verschiedenen sozialen Gruppen des Landes vertreten sind. Volkskongress und Konsultativkonferenz werden als Lianghui ("die zwei Treffen") bezeichnet.

Üblicherweise sind die "zwei Treffen" reine Routine: Die chinesische Regierung legt die Vorschläge und Gesetze vor und lässt sie von den Abgeordneten abnicken.

Warum ist die im Regierungsbezirk Zhongnanhai residierende chinesische Führungsspitze dieses Mal nervös?

Im Vorfeld des Volkskongresses warnte Staats-und Parteichef Xi Jinping vor einer "komplizierten und düsteren" internationalen Lage. Wegen des "turbulenten, komplexen und heiklen Umfelds" für Chinas Wirtschaft müsse man wachsam sein, sagte Xi, wobei er in seiner Rede vermied, den Handelskrieg mit den USA und das langsamere Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft anzusprechen. Auch seiner Partei redete er ins Gewissen und warnte vor "Nachlässigkeit, Inkompetenz und der Gefahr, sich zu weit vom Volk zu entfernen".

Diese Rede Xi Jinpings in der Parteiakademie der chinesischen Kommunistischen Partei im Jänner war eine der eindringlichsten Warnungen seiner seit 2012 währenden Amtszeit. Die Tatsache, dass durch die kurzfristige Einladung lange geplante lokale Versammlungen vor dem chinesischen Neujahrsfest im Februar verschoben werden mussten, sorgte bei China-Beobachtern für hochgezogene Augenbrauen.

"Peking ist wegen seiner politischen und wirtschaftlichen Praktiken mit Druck der internationalen Staatengemeinschaft konfrontiert und das kommt zu den Schwierigkeiten, mit denen man im Inland zu kämpfen hat, dazu", sagte die US-China-Expertin und Autorin des Buches "The Third Revolution" Elizabeth C. Economy vom Council on Foreign Relations der "New York Times".

Vor allem die sich verdüsternden Wirtschaftsaussichten machen der Staatsführung Sorgen: Denn Kenner des Landes sprechen immer wieder von einem unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag in der Volksrepublik China: Solange die KP für Wirtschaftswachstum und somit für mehr Wohlstand, Jobs und Lebensqualität sorgt, solange würde die Bevölkerung die unumstrittene Herrschaft der Partei akzeptieren. Sollte es der Partei nicht gelingen, diese Ziele zu erreichen, dann sei das "Mandat des Himmels" (chinesisch Tianmìng) in Frage gestellt. Dieses uralte Konzept, das auf die Zhou-Dynastie zurückgeht (diese Dynastie endete 770 v. Chr.) wurde immer wieder zur Legitimation von Herrschaft im Reich der Mitte beschworen. Offenbar sollen nun vom Volkskongress Steuererleichterungen und damit eine Ankurbelung der Wirtschaft beschlossen werden.

Rumoren in der Partei

Schon nach der Sommerklausur der Parteispitze im rund drei Stunden von Peking entfernten Nobel-Badeort Beidaihe ging das Gerücht um, dass eine Gruppe von Parteifunktionären mit der Abschaffung der Amtszeitbegrenzung für Xi Jinping und dem Personenkult rund um den Parteivorsitzenden unzufrieden gewesen sein sollen. Der Zickzackkurs im Umgang mit den USA im Handelskrieg sei nun ein weiterer Stein des Anstoßes: Da fuhr Peking ja zuerst eine harte Linie und musste später klein beigegeben.

"Alles geht nach hinten los, wenn es extrem wird", wird der kritische Kommentator und Historiker Zhang Lifan in einem Bericht der Deutschen Presseagentur dpa zitiert: "Wenn jemand die Spitze erreicht hat, führt der einzige Weg nach unten." Dass Parteichef Xi Jinping das vierte Plenum des Zentralkomitees, das eigentlich schon im Vorjahr stattfinden sollte, immer noch nicht einberufen hat, wird als weiteres Indiz für Meinungsverschiedenheiten in der Partei gedeutet.

2019 könnte somit ein spannendes Jahr für Chinas Führung werden: Immerhin stehen zwei wichtige Jahrestage an: Am 4. Juni jährt sich das Tiananmen-Massaker zum 30. Mal, am 1. Oktober feiert Peking den 70. Geburtstag der Volksrepublik.