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Allianz des Pragmatismus

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik
Gegenseitiger Respekt: Kongress-Vorsitzende Pelosi (l.) und Cortez (r.) bei der Vereidigung.
© reu/J. Roberts

Nicht immer einer Meinung, aber im Kampf gegen Donald Trump vereint: Nancy Pelosi und Alexandria Ocasio-Cortez sind sie die prominentesten Gesichter der Demokratischen Partei.


Washington D. C. Die Alleinherrschaft der alten weißen Männer ist Geschichte, seit den Zwischenwahlen 2018 ist es mit der konservativen Herrlichkeit im US-Kongress vorbei. Im Abgeordnetenhaus gewannen die Demokraten trotz gezielter Wahlkreis-Manipulationen der Republikaner 40 Sitze, seither stellen sie die Mehrheit. Die neuen Volksvertreter hatten ihre Plätze noch nicht eingenommen, als sich herauskristallisierte, wer aufseiten der Linksliberalen in den kommenden zwei Jahren die meiste Aufmerksamkeit im Kampf gegen US-Präsident Donald Trump bekommen wird: zwei Frauen, die in puncto Alter, Strategie und Stil kaum verschiedener sein könnten und trotzdem beide unbestritten effektiv sind.

Die eine ist eine 29-jährige Politnovizin aus New York, die binnen Monaten aus dem Nichts zur Zukunftshoffnung ihrer Partei aufgestiegen ist. Die andere ist eine rund fünfzig Jahre ältere Veteranin aus Kalifornien, die im Laufe ihrer Karriere schon alles gesehen hat. Ihre Namen: Alexandria Ocasio-Cortez und Nancy Pelosi.

Ob Green New Deal, Reichensteuer, der Umgang mit Social Media oder der mit den Antisemitismus-Vorwürfen gegen ihre Parteifreundin Ilhan Omar: Auch wenn ihnen Mainstream-Medien bei jeder Gelegenheit unterstellen, einander zu widersprechen, klappt es mit der Abstimmung ihrer individuellen Botschaften bisher erstaunlich gut. Was viel mit dem obersten gemeinsamen Ziel - der Ablöse Trumps als Präsident 2020 - und dem dafür nötigen Pragmatismus zu tun hat; aber auch mit gegenseitigem Respekt.

Nancy Pelosi wurde 1940 als Nancy Patricia D’Alesandro geboren, als einzige Tochter von sieben Kindern des süditalienisch-stämmigen Ehepaars Thomas D’Alesandro und Annunciata D’Alesandro. Das Polithandwerk hat sie von klein auf gelernt. Nicht als Teil der sogenannten "Ostküsten-Elite", wie der "Spiegel" jüngst über sie schrieb, sondern auf einem der gestern wie heute politisch wie gesellschaftlich härtesten Pflaster der USA: Baltimore, Maryland. Ihr Vater ist dort unter den letzten noch lebendigen Angehörigen seiner Generation nur als "Tommy The Elder" bekannt. Von 1947 bis 1959 diente er als Bürgermeister. Der "Ältere" deshalb, weil sein gleichnamiger Sohn den gleichen Job von 1967 bis 1971 ausfüllte.

Lieblingsfeindin der Republikaner

Die steilste Karriere machte aber Nancy - und das, obwohl sie vergleichsweise lange Abstand zum politischen Betrieb gehalten hatte. Erst Mitte der 1970er Jahre - da war sie längst verheiratet, mit ihrem Mann Paul nach San Francisco gezogen und hatte fünf Kinder - entschied sie sich, die Familientradition aufrechtzuerhalten. Zuerst wurde sie Chefin der kalifornischen Demokraten, 1987 zog sie ins Unterhaus ein.

Das Alltagsgeschäft in Washington lernte Pelosi von der Pike auf. Im Laufe der Nullerjahre stieg sie zur Fraktionschefin auf und blieb es - egal ob die Demokraten in der Minderheit (2003-2007, 2011-2019) oder in der Mehrheit waren (2007-2011, seit Jänner 2019). Feinde, auch unter Parteifreunden, hat sie sich zuhauf gemacht. Die Tatsache, dass sie trotzdem auch dieses Mal relativ reibungslos zur Mehrheitsführerin gewählt wurde, verdankt sie ihrer Beharrlichkeit, ihrem enormen Fachwissen, ihrem Instinkt und ihrer Erfahrung - und nicht zuletzt Geld. Die im wohlhabenden Sonoma County lebende Multimillionärin gilt wegen ihres weitreichenden Netzwerks zu den wichtigsten und effektivsten Spendensammlern ihrer Partei.

Die Tatsache, dass Pelosi in der öffentlichen Wahrnehmung als Inbegriff des Politprofis gilt, machte sie von Anfang an zur Lieblings-Zielscheibe der Republikaner. In den vergangenen zwei Jahrzehnten fuhren diese und die mit ihnen verbündeten Medien, allen voran der Rechtspropagandasender Fox News, mehrere Ad-hominem-Kampagnen gegen Pelosi. Das Ziel war immer das gleiche: Pelosi als abgehobene "Washington-Insiderin" und "Elitistin" zu brandmarken, der es an jeglichem Verständnis für die Sorgen des angeblich "echten" Amerikas - des zwischen Ost- und Westküste - fehle.

Es mangelt Ocasio-Cortez, bei aller berechtigten Kritik an der unter Barack Obama schläfrig gewordenen Partei, nicht an Respekt vor Pelosi - ist es doch vor allem die, die täglich unterm Agitprop-Feuer der rechten Medienmaschinerie steht. So unterschiedlich die Biografien auch sein mögen, es ist davon auszugehen, dass nämlicher Respekt angesichts der Lebensgeschichte des Jungstars auf Gegenseitigkeit beruht.

Alexandria Ocasio-Cortez wurde 1989 in der Bronx als Tochter des Ehepaars Sergio Ocasio, eines Architekten, und Bianca Ocasio-Cortez geboren. Ihre Eltern haben Wurzeln in Puerto Rico. Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte sie im einzigen Stadtteil New Yorks, der am Festland liegt, dann zog die Familie (Alexandria hat einen jüngeren Bruder) ins angrenzende Yorktown. Ihre erste Sternstunde erlebte die in den Naturwissenschaften versierte Alexandria in der High School. Zu ihren Ehren benannte das MIT Lincoln Laboratory 2000 einen Asteroiden nach ihr. "23238 Ocasio-Cortez" wurde so getauft, weil die Schülerin sich bei einem Forschungsprojekt hervorgetan hatte.

Keine Krokodilstränen für Gescheiterte

Ihre akademische Karriere führte sie an die Boston University, wo sie 2011 ihr Studium der Internationalen Beziehungen und der Volkswirtschaftslehre mit Auszeichnung abschloss. Drei Jahre zuvor war ihr unversicherter Vater an Lungenkrebs gestorben und hatte einen Haufen an unbezahlten Arztrechnungen hinterlassen. Um ihre Mutter zu unterstützen, hatte Ocasio-Cortez neben dem Studium zeitweise zwei Jobs; sie arbeitete als Erzieherin, nachts als Kellnerin und Barkeeperin. 2016 engagierte sie sich vergeblich für Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Sie selber schaffte zwei Jahre später auf niedrigerer Ebene jene Art von Sensation, die der Senator aus Vermont nicht vollbracht hatte: einen Kandidaten des klassischen Parteiestablishments aus dem Amt zu drängen.

Der Leidtragende hieß Joe Crowley, ihn hat Ocasio-Cortez als Vertreterin des 14. Wahlbezirks von New York abgelöst. Crowley war im neuen Kongress als Nummer zwei der Demokraten hinter Pelosi gehandelt worden. Letztere hielt sich dem Vernehmen nach nicht einmal mit Krokodilstränen auf. Mit ihren 79 Jahren weiß Nancy Pelosi, dass sie die Zukunft nicht aufhalten kann - sondern nur dabei mithelfen, sie auf den richtigen Weg zu bringen.