"Wiener Zeitung": Vor fünf Jahren wurde die Krim von Russland annektiert. Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute zurück?

Mustafa Dschemiljew wurde 1943 auf der Krim geboren. Wie alle Krimtataren wurde auch seine Familie auf Stalins Anordnung 1944 nach Zentralasien deportiert. In Usbekistan setzte er sich als Dissident für die Krimtataren ein und saß dafür insgesamt 15 Jahre im Gefängnis. 1989 kehrte er auf die Krim zurück. Von 1998 bis 2013 war er Vorsitzender des Medschlis, dem Selbstverwaltungsorgan der Krimtataren.
Mustafa Dschemiljew wurde 1943 auf der Krim geboren. Wie alle Krimtataren wurde auch seine Familie auf Stalins Anordnung 1944 nach Zentralasien deportiert. In Usbekistan setzte er sich als Dissident für die Krimtataren ein und saß dafür insgesamt 15 Jahre im Gefängnis. 1989 kehrte er auf die Krim zurück. Von 1998 bis 2013 war er Vorsitzender des Medschlis, dem Selbstverwaltungsorgan der Krimtataren.

Mustafa Dschemiljew: Damals hätte ich nie im Leben daran gedacht, dass wir eines Tages gezwungen sein werden, so ein Datum zu feiern. Die Invasion war einfach eine so dreiste und grobe Verletzung der internationalen Normen. Wir haben uns viel bestimmtere Maßnahmen der westlichen Atommächte erwartet, die Aggression zu stoppen. Immerhin haben wir mit ihnen im Jahr 1994 das Budapester Memorandum (im Gegenzug für den Nuklearwaffenverzicht wurde der Ukraine damals territoriale Souveränität zugesichert, Anm.) unterschrieben. Die Besatzung dauert an, und die Menschenrechtslage wird immer schlimmer.

Inwiefern?

Alle, die es wagen, in irgendeiner Form ihre Unzufriedenheit mit der russischen Besatzung auszudrücken, werden verfolgt. Am meisten Repressionen gibt es gegen die Krimtataren, weil sie dabei immer am aktivsten waren. Razzien gehören mittlerweile schon zum Alltag der Krimtataren, oft unter dem Vorwurf des religiösen Extremismus. In all den Jahren seit der Unabhängigkeit der Ukraine hat es nicht einen einzigen terroristischen Akt dieser Organisation gegeben, und plötzlich sollen alle Terroristen sein?

Welches Ziel verfolgen diese Razzien aus Ihrer Sicht?

Offiziell suchen sie nach Waffen oder verbotener Literatur, politische oder religiöse Bücher. Dabei wird aber versucht, die Betroffenen zu erniedrigen und Konflikte zu provozieren, um eine noch stärkere Unterdrückung zu rechtfertigen. Wir rufen unsere Leute dazu auf, keinen Vorwand zu liefern und trotz aller Repressionen auf der Krim zu bleiben. Wir schätzen, dass zehn Prozent der 300.000 Krimtataren geflohen sind. Es ist eine Strategie wie unter Katharina II., als das autochthone Volk der Krimtataren vertrieben und Russen angesiedelt werden sollten. Das ist so zynisch: Sie sind mit all ihren Raketen und Waffen in unser Land gekommen, und wir werden verfolgt, wenn sie eine Patrone finden.

Die Krimtataren sind für ihren friedlichen Widerstand bekannt. Doch mit den Jahren steigt der Frust, und selbst der Politiker Ilmi Umerow hat zuletzt in einem Gespräch zum ersten Mal eine militärische Lösung des Krim-Konflikts nicht ausgeschlossen. Wie sehen Sie das?

Über dieses Thema habe ich schon vor dem sogenannten "Referendum" mit Wladimir Putin gesprochen. Schon im Februar 2014 wurde mir mitgeteilt, dass sich Putin mit mir treffen möchte. In Kiew war noch Wiktor Janukowitsch an der Macht, aber es lag schon etwas in der Luft. Ich fragte: Warum will Putin bloß mit mir sprechen? Der Kontaktmann sagte: Er will über die Zukunft der Krim sprechen. Und ich sage: Was hat Putin mit einem Territorium zu schaffen, das zu einem anderen Staat gehört? Ich habe das Treffen abgelehnt.