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Unterschätzte Gefahr von Rechts

Von Werner Reisinger

Politik
Blumenmeer für die muslimischen Opfer von Christchurch: Australien und Neuseeland diskutieren über Rechtsextremismus und Rassismus.
© reu/J. Silva

Der Attentäter von Christchurch war in Österreich. Sein "Manifest" weist Bezüge zu den Identitären auf.


Christchurch/Wien. Fünf Tage nach dem rechtsextremen Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch durch einen 28-jährigen Australier, der 50 Menschen in einer Moschee ermordete, beginnen Politik, Medien und Wissenschafter nicht nur das Umfeld und das Netzwerk des Terroristen, sondern auch seine Ideologie zu analysieren. Überwogen direkt nach dem Blutbad an Muslimen am Freitag noch Einschätzungen, wonach der Täter wohl mit dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik verglichen werden könnte und höchstwahrscheinlich als "einsamer Wolf" einzustufen sei, zeigt sich nun: Ganz alleine war der Täter dabei nicht, er stand aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem über das Internet in Kontakt mit rechtsextremen Milieus. Davon gehen renommierte Extremismus-Forscher aus.

Kurz vor seinem Attentat, das er in einer weiteren Moschee fortsetzen wollte, postete er auf Facebook einen Bericht mit Bezug auf das sogenannte Hannibal-Netzwerk aus rechtsextremen Militär- und Polizeiangehörigen in Deutschland. Wenn er auch seine Tatabsichten geheim hielt: Aus seinen rechtsextremen Einstellungen, seinen Verschwörungsideologien und seinem Hass auf Migranten und vor allem Muslime machte der Täter keinen Hehl.

Identitäre Propaganda

Auch zu Österreich gibt es Bezüge: Wie deutsche Journalisten herausfinden konnten, war der Täter im Herbst vergangenen Jahres in Österreich, womöglich gleich zwei Mal. Das bestätigte am Donnerstag ein Sprecher des Innenministeriums. Darauf deuten Fotos hin, die der Täter auf seinem Facebook-Profil gepostete hatte: Sie zeigen Motive aus Friesach in Kärnten, vom Wappensaal des Landeshauses Klagenfurt, dem Salzburger Christkindlmarkt, Motive aus Steyr und Innsbruck. In seinem "Manifest" nennt er Österreich, zusammen mit Polen, Frankreich, Argentinien, Australien, Kanada und Venezuela als mögliche Orte, in denen der von ihm gewünschte militante Aufstand gegen den "großen Austausch" beginnen könnte. Kommende Woche soll ein parlamentarischer Unterausschuss für Inneres Aufklärung bringen.

Der "große Austausch", das ist ein neuer Name für eine Verschwörungstheorie, die unter den Begriffen "Umvolkung" oder "Volkstod" schon seit langer Zeit aus neonazistischer und rechtsextremer Propaganda bekannt ist - und die bereits seit Jahren vor allem von den europaweit agierenden, rechtsextremen Identitären propagiert wird. Ursprünglich stammt die Verschwörungsideologie von einem der wichtigsten Autoren der sogenannten "neuen Rechten" und Vordenker des "Rassemblent National" von Marine Le Pen, Renaud Camus. Sein gleichnamiges Buch brachte der identitäre Hausverlag "Antaios" in deutscher Übersetzung auf den Markt - kommentiert von Martin Sellner und Martin Lichtmesz, zwei der führenden Köpfe der österreichischen Identitären. Seit Jahren stehen die Identitären auch im Fokus des österreichischen Verfassungsschutzes.

Diese weisen jede Verantwortung für den Anschlag in Neuseeland zurück, wollen damit nicht in Verbindung gebracht werden. Welche Rolle aber spielt derartige Propaganda bei der Radikalisierung von rechtsextremen Tätern? War der Mörder von Christchurch "alleine"? In einer Mitte Dezember 2018 veröffentlichen, investigativen Reportage des Senders Al Jazeera filmten Journalisten verdeckt ein Treffen der rechtsextremen Identitären im französischen Lille. "Wenn ich eine tödliche Krankheit hätte, würde ich mir eine Waffe kaufen und ein Massaker verüben", sagt ein junger Mann in dem Video. Was denn das Ziel sei? "Ich weiß nicht. Eine Moschee, oder so."

Von derartigen Aussagen distanzieren sich die Identitären, die Dokumentation kritisieren sie scharf, sie behaupten, der gefilmte Mann sei nur ein zufällig anwesender Passant gewesen. Auch der Sender Al Jazeera wird von den Rechtsextremen als muslimischer Sender angegriffen.

"Wir Forscher beobachten in rechtsextremen Subkulturen in den letzten Jahren vermehrt Aufrufe zur Gewalt", sagt Julia Ebner vom renommierten Londoner Institute for Strategic Dialogue. Sie ist nicht überrascht, dass es nun auch vermehrt zu rechtsextremen Attacken und Anschlägen mit Toten kommt, wie zuletzt in Pittsburgh oder bei einem "Unite the Right"-Marsch der extremen Rechten in Charlottesville, Virginia.

"Existenzielle Bedrohung"

Die Rhetorik von einem Endkampf der Kulturen, von "Invasoren" und eben dem "großen Austausch" führe zu einer ultimativen Zuspitzung. In seinem "Manifest" habe der Terrorist geschrieben, er habe sich erst dann zum Attentat entschlossen, nachdem er aufgrund des Ausgangs der letzten französischen Präsidentschaftswahl einen Kampf mit demokratischen Mitteln als gescheitert angesehen habe.

Dieser Gedanke eines "Endkampfs" der Religionen, Ethnien und Kulturen sei vor allem in den Echo-Kammern der sozialen Medien derzeit sehr präsent. Besonders problematisch seien dabei kleinere, der großen Mehrheit gänzlich unbekannte Plattformen. Ebner ist wie andere Experten überzeugt davon, dass sich auch der Täter von Christchurch in derartigen Foren mit anderen Extremisten ausgetauscht haben müsse. Die Extremisten schaukeln sich darin in ihrer empfundenen existenziellen Bedrohung so hoch, dass Einzelne schließlich tatsächlich zu Gewalt greifen.

Das "Manifest" des Täters spiegelt Versatzstücke von unterschiedlichen rechtsextremen Theorien, die in einer Analyse des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) festgestellten starken Bezüge zu den Thesen der Identitären aber sieht auch Ebner. "Die Identitären versuchen nun, die Optik zu wahren und auf Distanz zu gehen." Der "große Austausch" sei aber eine hochgefährliche Verschwörungstheorie, die im Einzelfall eben in Gewalt umschlagen könne.