Zum Hauptinhalt springen

Das Land der gefallenen Präsidenten

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff und der Verurteilung von Lula da Silva ist mit Michel Temer nun auch ein rechter Ex-Präsident in Brasilien festgenommen worden. Für den neuen Staatschef Bolsonaro kommt die Verhaftung zur rechten Zeit.


Sao Paolo. In Brasilien klickten wieder einmal die Handschellen: Ex-Präsident Michel Temer (2016 - 2018), der nach der umstrittenen Amtsenthebung von Dilma Rousseff an die Macht kam, wird Korruption vorgeworfen. Temer wurde auf dem Rücksitz seines Wagens verhaftet, kurz nachdem er seinen Wohnsitz im Nobelstadtteil Pinheiros im Westteil Sao Paulos verlassen hatte. Beamte der Sondereingreifgruppe GPI der Bundespolizei in Kampfuniform und mit Maschinengewehr im Anschlag hielten den Wagen an. Temer sprach dabei gerade per Handy mit einem Journalisten des Radiosenders CBN. "Das ist barbarisch", war sein kurzer Kommentar. Ein Beamter setzte sich ans Steuer von Temers Wagen. Der Konvoi fuhr dann zum internationalen Flughafen Guarulhos, von wo es dann später weiter nach Rio ging. In der Zelle verweigerte Temer das Abendessen und verlangte seine sofortige Freilassung.

Den Haftbefehl wurde von Richter Marcelo Bretas ausgestellt, der der Arbeitsgruppe Lava-Jato in Rio de Janeiro angehört, also jener Einheit, die seit Jahren mit großem Einsatz an der Aufklärung des so genannten "Autowäsche"-Skandals arbeitet. In der Affäre um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras wird in Brasilien gegen dutzende Politiker, Funktionäre und Unternehmer ermittelt.

250.000 Euro Schmiergeld

Bretas begründete den Haftbefehl mit der Furcht, dass Temer und die übrigen Verdächtigen Beweise vernichten könnten. Die Aktion ist Teil der sogenannten "Aktion Radioaktivität". In Rio sitzen auch die Ex-Gouverneure Sérgio Cabral und Luis Fernando Pezão (beide ebenfalls von Temers Partei MDB) wegen Korruption in Haft.

Temers Verhaftung beruht auf einer im Oktober vergangenen Jahres gemachte Kronzeugenaussage von Antunes Sobrinho, einem der Chefs des Baukonzerns Engevix. Demnach soll João Batista Lima Filho, Inhaber von Scheinfirmen und enger Freund Temers, 2014 Schmiergelder von der Firma kassiert haben. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich um umgerechnet rund 250.000 Euro.

Limas Firma Argeplan hatte im Verbund mit der Engevix an einer Ausschreibung für Bauvorhaben am bis heute nicht fertiggestellten Atomkraftwerk Angra 3 teilgenommen. Und nachdem die Firma den Vertrag erhielt, wies Lima an, das Geld an Temer weiterzuleiten. Es wurde mit einer Renovierung einer Immobilie seiner Tochter "ausgezahlt". In den Fall verstrickt ist auch der unter Temer für Energie und Bergbau zuständige Minister Moreira Franco, der wie Lima und dessen Ehefrau ebenfalls verhaftet wurde.

In beiden Kammern des Kongresses feierten Anhänger des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro die vorläufige Verhaftung Temers als Umsetzung des Wahlkampfversprechens des neuen Staatschefs, der ein hartes Vorgehen gegen Korruption im Land angekündigt hatte. "Die Justiz ist für alle da und jeder Einzelne muss sich für seine Taten verantworten", sagte Bolsonaro. Waldir Soares, Vorsitzender der Bolsonaro-Fraktion PSL im Abgeordnetenhaus, jubelte: "Was für eine wunderbare Nachricht. Es ist ein Signal des effektiven Kampfes gegen die Korruption und bringt Glaubwürdigkeit", so Soares. "Diejenigen, die die Staatsgewalt für Korruption ausgenutzt haben, werden ihren Preis bezahlen. Niemand steht über dem Gesetz."

"Hexenjagd auf Politiker"

Wesentlich zurückhaltender äußerte sich Jaques Wagner, Senator der linksgerichteten Arbeiterpartei PT des ehemaligen ebenfalls wegen Korruption einsitzenden Ex-Präsidenten Lula da Silva: "Ich mache mir Sorgen über dieses Klima der Hexenjagd auf Politiker. Es ist ein Spektakel, das nicht dazu beiträgt, was Brasilien eigentlich braucht."

Auch Lula selbst ließ die Verhaftung kritisieren. In seinem Twitter-Account ließ Lula kommentieren: "Mächtige Einrichtungen wie die Staatsanwaltschaft und die Bundespolizei dürfen kein solches Spektakel veranstalten. Jeder, der ein Verbrechen begeht, gehört bestraft. Egal ob Temer oder Lula, ob Fernando Henrique Cardoso oder Bolsonaro. Aber keiner darf ohne entsprechenden ordnungsmäßigen Prozess verhaftet werden."

Tatsächlich kommt die Festnahme des unpopulären Temer für Bolsonaro zur richtigen Zeit. Die Familie des sich oft abwertend über Schwarze äußernden Präsidenten hat eine unheimliche Nähe zu den festgenommen Auftragsmördern der vor einem Jahr erschossenen afrobrasilianischen Stadträtin Marielle Franco. Zudem dem kann der schwach gestartete Bolsonaro sein Versprechen umsetzen, hart gegen Korruption vorzugehen.

Wen reißt Temer mit?

Während sich die linke Opposition weiter für die Freilassung des ebenfalls des immer noch beliebten Ex-Präsidenten Lula da Silva einsetzt, ist nun auch ein rechter Ex-Präsident verhaftet worden. Das wird es den Lula-Anhängern schwer machen, zu behaupten, die Justiz ermittle nur einseitig. Abzuwarten bleibt aber, ob Temer auch tatsächlich etwas nachgewiesen werden kann. Die Justiz spricht davon, er sei der Kopf eines kriminellen Netzwerkes, das sich an staatlichen Geldern bereichert habe. Temer gilt als versierter Drahtzieher, der die Abgründe der brasilianischen Politik genau kennt. Es ist nicht zu erwarten, dass er kampflos das Feld räumt. Das Wissen des "Königs der Hinterzimmer" könnte auch noch ganz andere in den Abgrund reißen.