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Die Wahrheit, eine Tochter der Interpretation

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Die ersten bekannt gewordenen Erkenntnisse des Berichts von Sonderermittler Robert Mueller spalten die USA: Präsident Trump sieht sich entlastet, seine Gegner beschuldigen Justizminister Barr der Voreingenommenheit.


Washington D.C. US-Sonderermittler Robert Mueller und seine Mannschaft haben ihre Arbeit erledigt - aber wer glaubt, dass sich die Sache damit hat, dürfte sich einmal mehr täuschen. Am Sonntagnachmittag Ortszeit hatte Justizminister und Generalbundesanwalt Bill Barr dem US-Kongress auf vier Seiten seine Zusammenfassung der "prinzipiellen Ergebnisse" der knapp zweijährigen Arbeit von Muellers Team mitgeteilt. Der Kern seiner Botschaft: Wiewohl die russische Einflussnahme auf den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 bewiesen sei, gab es keine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den Emissären von Putins Regime und der Wahlkampfkampagne von Donald Trump. In der Frage, ob der Präsident im Zuge der Ermittlungen die Justiz behindert habe, enthalte sich das Justizministerium eines Urteils und habe sich deshalb gegen "eine Anklage im traditionellen Sinn" entschieden.

Erstere Erkenntnis nahmen der Präsident und seine Mitarbeiter umgehend zum Anlass, sich einmal mehr als Opfer einer politisch motivierten Hetzkampagne zu präsentieren, die nunmehr ihr Ende gefunden habe. "Die Demokraten und ihre liberalen Alliierten in den Medien haben Präsident Trump zwei Jahre lang beschuldigt, sich mit Russland verschworen zu haben. Es war alles eine bösartige, absurde Lüge, die von den Medien rund um die Uhr und ohne jeden Beweis verbreitet wurde. Das sollte einem amerikanischen Präsidenten niemals wieder passieren", twitterte Sarah Huckabee-Sanders, die Sprecherin des Weißen Hauses, am Montag. Trump selbst, der das Spektakel übers Wochenende von seinem Hotel-Resort Mar-a-Lago in Florida aus verfolgte, hatte sich bereits tags zuvor quasi einen Blankoscheck ausgestellt: "Keine Kollusion, keine Behinderung, komplette und totale Entlastung. Keep America great!"

Bill Barr.
© reu/Gripas

Zwei Amerikas, zwei Perspektiven auf die Dinge - denn ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Und das nicht nur, weil Trump Muellers Arbeit im Laufe der vergangenen zwei Jahre mehrmals öffentlich eine "Hexenjagd" einer "Gruppe zorniger Demokraten" genannt hatte.

Als Folge des Barr’schen Briefs verlangen die Demokraten jetzt einhellig die Veröffentlichung des gesamten Berichts. In einem gemeinsamen Statement forderten Nancy Pelosi, die Sprecherin der demokratischen Mehrheit im Unterhaus, und Chuck Schumer, der Minderheitssprecher im Senat, dass der Mueller-Report vollumfänglich und unzensiert publik gemacht wird, und zwar so schnell wie möglich.

Kritik am Justizminister

Die Demokraten stoßen sich an Barrs Interpretation der Mueller’schen Erkenntnisse - die auch von Rod Rosenstein, dem stellvertretenden Generalbundesanwalt, abgesegnet wurde - und das nicht ohne Grund. Sie hängen sich an folgendem Kernsatz Muellers auf, der von Barr in seinem Brief an den Kongress wörtlich zitiert wurde: "Während dieser Bericht nicht zu dem Schluss kommt, dass der Präsident ein Verbrechen begangen hat, entlastet er ihn auch nicht." Eine Strategie, die anzukommen scheint: Im Laufe des Montags kursierte in den sozialen Medien allerortens der Hashtag #ReleaseTheFullMuellerReport.

Das Argument, dass Barr voreingenommen sei, scheint indes nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Im Juni 2018 hatte der heute 68-Jährige unaufgefordert ein Memo an das Justizministerium geschrieben und mit Trumps Anwälten geteilt, das den Präsidenten bezüglich des Vorwurfs der Justizbehinderung von vorneherein von jeglicher Schuld freispricht. Dazu kommt, dass sich Barr, als er sein Amt zum ersten Mal ausübte, nicht gerade durch Unparteilichkeit ausgezeichnet hat. Der konservative Jurist diente bereits von 1991 bis 1993, unter dem damaligen Präsidenten George H. W. Bush als Justizminister. Schon immer gehörte er jener juristischen Denkschule an, die eine Anklage eines amtierenden Präsidenten aufgrund dessen exponierter Position per se ausschließt - ungeachtet dessen, wie schwer die Vorwürfe wiegen. Eine Haltung, die ihren Ausdruck unter anderem darin fand, dass sich Barr erfolgreich für die Begnadigung von sechs Ex-Mitgliedern der Bush-senior-Administration einsetzte, die für ihre Verwicklung in die Iran-Contra-Affäre rechtskräftig verurteilt worden waren.

Dem entsprechend genießt die Opposition auch das in Barrs Brief gemachte Gelöbnis, der Öffentlichkeit "so viel wie möglich" von Muellers Bericht zugänglich zu machen, mit Vorsicht. Als ersten Schritt, über den detaillierten Inhalt Bescheid zu bekommen, kündigte Jeremy Nadler, der demokratische Vorsitzende des Justizkomitees im Abgeordnetenhaus, eine Vorladung Barrs "in naher Zukunft" an: "Die Bevölkerung hat Anspruch darauf, über den vollen Umfang des Fehlverhaltens des Präsidenten informiert zu werden, auf das der Sonderermittler verwiesen hat." Tatsächlich scheint nämlicher Anspruch allein angesichts des Volumens der insgesamt 22 Monate dauernden Ermittlungen gerechtfertigt, die nach der Entlassung von James Comey als FBI-Chef im Mai 2017 ihren Ausgang nahmen. Laut Justizministerium wurden im Zuge der Ermittlungen von Muellers Team mehr als 2800 Vorladungen ausgeschrieben und rund 500 Durchsuchungsbefehle vollstreckt; mehr als 230 Kommunikationsaufzeichnungen geordert und fast 50 Telefonnummern-Protokolle gecheckt; 13 Anfragen an ausländische Regierungen geschickt und annähernd 500 Zeugen befragt. Als Ergebnis dieser Arbeit wurden insgesamt 34 Personen angeklagt, von denen bisher sieben schuldig gesprochen wurden - darunter Trumps Ex-Wahlkampfmanager Paul Manafort (sieben Jahre Haft wegen Bank- und Steuerbetrugs), sein langjähriger Leibanwalt Michael Cohen (drei Jahre) und sein ehemaliger nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn (keine Gefängnisstrafe). Die überwiegende Mehrheit der Beschuldigten sind russische Staatsbürger. Ein Prozess steht noch aus: Der gegen den Trump-Intimus Roger Stone, der 2016; er soll mit Wikileaks und russischen Geheimdienstlern in Verbindung gestanden sein soll, die für das Hacking der Demokratischen Parteizentrale verantwortlich waren.

Weitere Ermittlungen

Während sich Trump und seine Parteifreunde jetzt nach allen Kräften bemühen, Muellers Bericht als Freispruch in jeder Hinsicht darzustellen, werden die Ermittlungen auf Bundesstaatsebene die Justiz höchstwahrscheinlich noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Die für den südlichen Bezirk des Bundesstaats New York zuständigen Staatsanwälte sowie der Generalanwalt von Washington D.C. und der Bundesstaat Maryland ermitteln gegen Trump und Teile seiner Gefolgschaft unter anderem wegen diverser finanzieller Unregelmäßigkeiten rund um die Bezahlung eines Schweigegelds für einen Pornostar und eines Modells, sowie wegen des Verstoßes gegen die in der Verfassung verankerte, sogenannte "Emoluments Clause", die Präsidenten die Annahme von Geld und Sachgeschenken durch Vertreter ausländischer Regierungen verbietet.