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Fake News made in India

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Indien wählt ab Donnerstag ein neues Parlament. Doch die 900 Millionen Wahlberechtigten werden von einer Flut an Desinformation in den Sozialen Medien überschwemmt.


Neu-Delhi/Dubai. Das körnige Schwarz-Weiß-Foto auf WhatsApp zeigt Bond-Girl Ursula Andress im Bikini. Doch behauptet wird, dass es die 72-jährige Politikerin Sonia Gandhi von der indischen Kongresspartei sei. Die Fälschungen sollen den Eindruck hinterlassen, dass die frühere Vorsitzende der Kongresspartei keine staatstragende Politikerin sei.

Indien wählt ab Donnerstag ein neues Parlament, in sieben Etappen bestimmen die Wähler bis 19. Mai, ob Premier Narendra Modi und seine hindunationalistische Bharatiya Janata Partei (BJP) die absolute Mehrheit gegen den größten Herausforderer, die Kongress-Partei, verteidigen kann. Indiens 900 Millionen Wähler werden dabei von einer Flut von Gerüchten, Desinformationen und Fälschungen in den Sozialen Medien überschwemmt, die bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Alleine 87.000 WhatsApp-Gruppen dienen nur dem Zweck, Wähler zu beeinflussen.

Um die 430 Millionen Inder haben ein Smartphone, eine halbe Milliarde nutzen das Internet, 300 Millionen sind auf Facebook, 270 Millionen benutzen den Nachrichtendienst WhatsApp und 30 Millionen sind auf Twitter, unter anderem Modi.

Morde an Moslems nach Gerüchten im Internet

Der Premier ist ein wahrer Virtuose des 280-Zeichen-Dienstes. Modi, der seit 2014 regiert, war einer der ersten Politiker, der den politischen Stellenwert der Neuen Medien begriff. Schon 2014 nutzte er den ungefilterten Zugang zur Wählerschaft, um sein Image als Macher zu propagieren. Auch diesmal hat Modi geschickt agiert. Auf Twitter gab er sich den Beinamen "Chowkidar", zu Deutsch: Wächter. Damit spielt er geschickt auf die jüngsten Grenzscharmützel zwischen Indien und dem verfeindeten Nachbarland Pakistan an.

Anders als in anderen Ländern ist Indiens Fake-News-Küche hausgemacht und trägt nicht die Handschrift fremder Länder, die über diese Kanäle Einfluss auf die Politik nehmen wollen. Indien hat mit 287 Millionen Menschen den weltweit höchsten Anteil an Analphabeten. Ein großer Teil der Bevölkerung hat nur ein paar Jahre in einer staatlichen Schule hinter sich - ein fruchtbarer Boden für absurde Gerüchte.

Fake News sind in Indien nicht neu: In den 1980er Jahren kursierten Ton-Kassetten, auf denen Schreie, Schüsse und Allahu-Akbar-Rufe zu hören waren, die antimuslimische Ressentiments schüren sollten. Doch in Zeiten des Internets verbreiten sich Gerüchte rasend schnell selbst in abgelegene Dörfer des Landes.

Eine Firma, die den beliebten Mango-Saft Frootie herstellt, musste schon Betriebsführungen organisieren, nachdem online gewarnt wurde, das Getränke enthalte HIV-kontaminiertes Blut. Im vergangenen Jahr gab es eine Kette von Lynchmorden an Muslimen, ausgelöst durch Internet-Gerüchte über den verbotenen Konsum von Rindfleisch. Für Hindus gelten Kühe als heilig.

Facebook und WhatsApp haben in Indien zwar Aufklärungs-Aktionen gestartet, um die Verbreitung von Fake News zu stoppen. Doch die Selbstregulierung ändert wenig. Und die hindunationalistische Regierung zeigt keinerlei Interesse daran, die Sozialen Medien stärker in die Pflicht zu nehmen.

Das ist wenig verwunderlich, denn WhatsApp ist eine der schärfsten Waffen, die die regierende BJP-Partei aufbieten kann. Die Opposition nutzt zwar ebenfalls WhatsApp, doch die Anhänger der BJP haben eine schlagkräftige Cyberarmee gebildet. Um die 1,2 Millionen Freiwillige sollen vor den Wahlen die Parteikampagnen in den Sozialen Medien führen.

Der IT-Wahlkampf wird selbst in die Dörfer getragen

Im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh, der wegen seiner 200 Millionen Einwohner als entscheidend für einen Wahlsieg gilt, ist die IT-Abteilung der BJP bis auf die Dorfebene vertreten. Parteimitglieder sind angewiesen, WhatsApp-Gruppen mit mindestens 50 Mitgliedern ins Leben zu rufen. Hier werden Videos geteilt, die etwa beweisen sollen, dass die Kongresspartei - die in diesem Bundesstaat mit Priyanka Gandhi eine große Hoffnungsträgerin ins Rennen schickt - nur Muslime favorisiert.

BJP-Parteimitglieder sollen ihre Mitbürger auch davon überzeugen, die Modi-App "NaMo" auf ihrem Mobiltelefon zu installieren, die unverfroren Propaganda für den Premier macht. Falschinformationen machen auch hier die Runde: etwa dass Pakistans Premier in der Öffentlichkeit geweint habe, nachdem Modi ihn verwarnt habe. Mehr als 10 Millionen Inder haben die Applikation heruntergeladen.

Im Informationskrieg präsentiert die BJP Modi als den starken Mann, der international gefürchtet wird. Damit liegt die Partei offenbar gut im Rennen. Laut Prognosen dürfte Modi sich eine zweite Amtszeit sichern, obwohl er innenpolitisch wenig zu bieten hat. Modi hatte Arbeitsplätze versprochen und "ache din", gute Tage für alle Inder. Das ist nicht eingetreten. Stattdessen haben Modi und sein Parteichef Amit Shah die religiöse Karte ausgespielt und das Land polarisiert - zu Gunsten eines radikalen Hinduismus.

Um die 80 Prozent aller Inder sind Hindus, doch das Land ist religiös vielfältig mit 15 Prozent Muslimen, rund zwei Prozent Christen und anderen religiösen Minderheiten. Unter Modi hat sich das einst tolerante Klima gewandelt.

Indiens Wahlen sind schwer einschätzbar: Zum einen liegt das am britischen Wahlsystem, wonach Parlamentssitze an die Politiker gehen, die in ihren Wahlkreisen siegreich sind. Und dann gelten Indiens Wähler als sprunghaft und unberechenbar.