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"Das ist der Tragödie letzter Akt"

Von Martina Farmbauer

Politik
Erwin Kräutler ist vor drei Jahren in den Ruhestand getreten. Seinen Kampfgeist hat er aber nicht verloren.
© Thomas Seifert

In seinen 35 Jahren als Bischof im Amazonasgebiet Brasiliens hat Erwin Kräutler mit großem Einsatz für die Rechte der Indios gekämpft. Nun fürchtet er, dass das bisher Erreichte zunichte gemacht werden könnte.


"Wiener Zeitung": Herr Kräutler, Ihr Talent, das Eis zu brechen - haben Sie das in Amazonien gelernt oder schon aus Österreich mitgebracht?

Erwin Kräutler: Man lernt hier sehr viel. Mit der steifen Art von drüben kommt man nicht an. Hier musst du locker sein, die Leute spüren lassen, dass du sie gern hast. Beim Friedensgruß beispielsweise gehe ich bis zum letzten Teilnehmer des Gottesdienstes. Wenn ich nicht gehe, kommen die Leute nach vorne. In Europa muss ich Acht geben. Ich gebe die Hand und klopfe sofort auf die Schulter, und da gibt es Leute, die erschrecken, nossa senhora!

Sie setzen sich seit Jahrzehnten für Amazonien und seine Bewohner ein, haben etwa gegen das Mega-Kraftwerk "Belo Monte" gekämpft. Was haben Sie daraus für den aktuellen Kampf gegen das Projekt "Belo Sun" mitgenommen, bei dem ein kanadisches Unternehmen im Amazonas-Gebiet Gold abbauen will. Was würden Sie eventuell anders machen?

Ich würde keinen Schritt anders machen als damals gegen "Belo Monte". Aber ob wir siegreich sein werden, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls sind wir immer noch da. Wir werden sagen, das ist eine Katastrophe, die über uns hereinbricht. Das Damoklesschwert schwebt über uns. Man glaubt einfach nicht mehr, dass es bei von Menschenhand geschaffenen Bauten wirklich Sicherheit gibt. Man denke nur an die Dammbrüche von Mariana, Brumadinho. Wo ich bin, sei es in Brasilien oder Österreich, mache ich darauf aufmerksam. Man macht sich halt nicht nur Freunde damit. Obwohl mir bei "Belo Monte" Unternehmer, die mich bedroht haben, heute auf die Schulter klopfen. Aber es ist zu spät.

Welche Schlüsse lassen sich daraus für das Amazonas-Gebiet unter Brasilien mit dem rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro ziehen?

Wir sind in einer neuen Situation mit der neuen Regierung. Die neue Regierung ist extrem rechts und möchte die indigenen Rechte aufheben. Das, wofür wir mit dem Indigenen Missionsrat gekämpft haben, soll rückgängig gemacht werden. Ich habe selbst im Kongress gesprochen, als es darum ging, dass die indigenen Rechte in die Verfassung von 1988 kommen. Die Abstimmung damals war ja fantastisch, mehr als 400 Ja-stimmen, acht Nein-Stimmen und acht Enthaltungen. Und jetzt sollen die Indigenen Brasilianer werden wie alle anderen, das halte ich für Unsinn. Sie haben eine andere Kultur, eine andere Sicht als Nicht-Indigene.

Es scheint auch, als ob ganze Indigenen-Dörfer zu den Evangelikalen überwechseln. Schmerzt Sie das oder wie gehen Sie damit um?

Es schmerzt mich nicht, wenn die Indigenen nicht ihre Kultur verlieren. Aber genau das ist der Fall. Die evangelikalen Gemeinschaften wollen ihnen ihren Glauben aufdrücken. Wir sind seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil davon abgekommen. Früher war das ja auch üblich. Jetzt geht es zuerst ums Überleben. Ich bin einmal in ein indigenes Dorf am Xingu gekommen, da lag eine Frau mit einem Kind in der Hängematte und hat auf Englisch eine Art Gospel gesungen. Das ist doch Wahnsinn.

Was kann die katholische Kirche dem entgegensetzen?

Die Entscheidung, welcher Gemeinschaft jemand angehört, dürfen wir niemandem abnehmen. Wir können unsere Kirche vorstellen. Eines der größten Handicaps dieser der Pfingstbewegung zugehörigen Kirchen ist für mich, dass sie mit der sozialen Frage nichts zu tun haben wollen. Das ist gefährlich. Ich habe Erfahrungen gemacht mit Menschen, mit denen ich tief verbunden bin, die sind von der "Assambleia do Povo de Deus". Da spricht der Pastor nicht über Dinge wie, dass wir hier ein Gesundheitszentrum brauchen, dass die Leute Recht auf eine Schule haben. Sie werden zwei Stunden berieselt und dann kommen sie in die tragische Realität zurück. Ich meine, Glaube und Leben kann man nicht trennen. Wenn wir von der Kirche sprechen, wollen wir eine Kirche mit indigenem Antlitz.

Sie haben in Ihrem Büro Federschmuck und Fotos mit Indigenen. Was bedeutet der Rückschritt in der brasilianischen Gesellschaft für Sie?

Das ist eine Tragödie. Der Tragödie letzter Akt. Denn für mich steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Die Schöpfung gehört zum Menschen, der Mensch gehört zur Schöpfung. Wir haben so lange gekämpft um die Menschenrechte und Menschenwürde, ganz gleich, ob jemand Indigener ist oder Schwarzer oder Frau oder Mann oder Kind oder Erwachsener. Wir sind alle Menschen und nicht nur, aber auch als Christ bin ich einfach dafür, dass Menschen so behandelt werden wie sie es verdienen. Und genau da wird es schwierig. Unsere Leute sind erschossen worden, weil sie die Rechte der anderen verteidigt haben. Bolsonaro hat seinen Mund weit aufgemacht und da könnte es wieder schwierig werden.

Inwiefern?

Man wird beobachtet und sofort gebrandmarkt, man sei gegen die Regierung. Ich bin immer für jemanden. Ich verteidige die Indigenen, die Flussbewohner, die Frauen. Und wenn ich diese Menschen verteidige, dann fühlt sich die Gegenseite logischerweise provoziert. Man bekommt Schwierigkeiten, weil man für etwas ist, das dieser nicht gelegen kommt. Ich bin brasilianischer Staatsbürger, Gott sei Dank, und in diesem Sinn kann ich sagen, was ich will.

Wie ist denn heute noch ihr Bezug zu Österreich?

Ich bin Brasilianer mit österreichischen Wurzeln. Ich werde nie mein Land verleugnen. Wenn ich in Österreich bin, dann bin ich zuerst einmal aus Koblach, Vorarlberg, Österreich. Die Bande sind nach wie vor da, ich bin oft drüben eingeladen, von Diözesen und anderen Einrichtungen. Was ich hier mache, wäre nicht möglich, wenn ich nicht die Rückendeckung von drüben hätte. Ich liebe meine Heimat. Ich verfalle in den Dialekt wie von vor 50 Jahren, meine Nichten und Neffen lachen dann, weil man bestimmte Ausdrücke nicht mehr verwendet.

Zur Person

Erwin Kräutler

war knapp 35 Jahre lang Bischof der brasilianischen Amazonas-Diözese Xingu. 2010 wurde der Geistliche, der 1939 in Koblach/Vorarlberg auf die Welt kam, für seinen Einsatz für die Rechte der Indios und die Rettung des Regenwaldes mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Im April 2016 ging Kräutler in den Ruhestand, seinen Kampf für die Unterdrückten hat er aber nicht aufgegeben.