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Ein Wahlsieg mit Folgen

Von Gerhard Lechner

Politik

Der Triumph Wolodymyr Selenskyjs bei den ukrainischen Präsidentenwahlen könnte das Verhältnis Kiews zu Moskau ändern. Der Umstand, dass der Comedian auch im Nachbarland populär ist, bringt den Kreml in Verlegenheit.


Kiew. Die Karriere des Wolodymyr Selenskyj ist auch vor einem Jahr bereits beeindruckend gewesen: Der Sohn eines Kybernetik-Professors und einer Ingenieurin, aufgewachsen in einem kommunistischen Plattenbau in der Industriestadt Krivyj Rih, schaffte es zum weithin bekannten Unterhaltungsstar. Der Kabarettist und Showmaster, dessen Optimismus ansteckend wirkt, hat ein stattliches Vermögen aufgebaut - auf legalem Weg, anders als der Großteil der oligarchischen Elite der Ukraine. Sogar den Posten des Präsidenten hat er schon innegehabt - im Fernsehen, in der TV-Serie "Diener des Volkes".

Dass aber Selenskyj tatsächlich zum Präsidenten gewählt werden würde, und das noch dazu derart eindeutig - das schien vor einigen Monaten noch ziemlich unvorstellbar. 73,2 Prozent der Ukrainer entschieden sich in der Stichwahl für den Herausforderer. Amtsinhaber Petro Poroschenko kam demgegenüber nur auf 24,5 Prozent. Für Selenskyj, der stolz darauf ist, kein Politiker zu sein, ist das ein Triumph. Für den Noch-Präsidenten eine Demütigung. Nur in einem von 24 Gebieten der Ukraine konnte Poroschenko eine Mehrheit hinter sich versammeln: in Lemberg, im äußersten Westen des Landes.

Doch selbst im benachbarten Gebiet Ternopil, einer betont ukrainisch-national ausgerichteten Gegend, überzeugte Poroschenko mit seinem Wahlkampfslogan "Armee - Sprache - Glaube" nur eine Minderheit. Neben den Lembergern votierten nur die die Auslandsukrainer mehrheitlich für den Amtsinhaber - ansonsten konnte Selenskyj das ganze Land hinter sich vereinen.

Mindestens zehn Morde

Für Poroschenko ist dieses Ergebnis eine Ohrfeige. Wie schon beim gescheiterten orangen Hoffnungsträger Wiktor Juschtschenko, so überzeugte auch diesmal der nationale Kurs des Präsidenten nur eine Minderheit. Schwerer wogen die Missstände im Land, vor allem die weit verbreitete Korruption. So gerieten zu viele Gouverneure, die der Präsident ernannt hatte, ins Zwielicht - etwa der Ex-Gouverneur von Cherson, Andrij Hordejew. Er wird verdächtigt, an der Ermordung einer Bürgerrechtlerin beteiligt gewesen zu sein. Rund 160 Aktivisten wurden laut dem Kiewer Zentrum für Menschenrechtsinformationen in den letzten fünf Jahren angegriffen. Mindestens zehn davon wurden ermordet.

Poroschenko kündigte trotz seiner krachenden Niederlage, die er eingestand, an, in der ukrainischen Politik bleiben zu wollen. "Der neue Präsident wird eine starke Opposition haben, eine sehr starke", sagte er im Hinblick auf die Parlamentswahlen, die für Herbst geplant sind. Sie könnten freilich auch früher stattfinden, wenn Selenskyj Neuwahlen ausrufen lässt.

Das ist durchaus wahrscheinlich: Denn das ukrainische politische System ist ein Mischsystem, in dem wichtige Politikbereiche wie etwa Wirtschaftspolitik in die Kompetenz der Regierung fallen. Eine Regierung, die die Politik des Präsidenten unterstützt, ist für das Staatsoberhaupt daher sehr wichtig. Selenskyj wird wohl versuchen, in der Stunde des Erfolges das Momentum zu nutzen und ein gutes Ergebnis zu erzielen. Der Name seiner Partei entspricht übrigens dem der Fernsehserie: "Diener des Volkes".

Aus dem Westen, der mit einem Sieg seines Widersachers Poroschenko wohl nicht unglücklich gewesen wäre, erhielt Selenskyj Glückwünsche für die gewonnene Wahl: US-Präsident Donald Trump rief den 41-Jährigen an und beglückwünschte ihn. "Wir werden die Ukraine weiter unterstützen bei ihren Anstrengungen, die territoriale Unversehrtheit herzustellen und Russlands Aggression abzuwehren", schrieb Trumps Sonderbeauftragter Kurt Volker. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierten zum Wahlsieg. Merkel versicherte dem neugewählten Präsidenten in Kiew, dass die deutsche Regierung der Ukraine "in ihrem Recht auf Souveränität und territoriale Integrität auch in Zukunft tatkräftig zur Seite stehen" werde. Ähnlich äußerten sich auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Bundeskanzler Sebastian Kurz gratulierte ebenfalls und "ermutigte" den neuen Präsidenten zu notwendigen Reformen.

Der russischsprachige Selenskyj, der die ukrainische Sprache erst seit dem Jahr 2017 lernt, hat - trotz seiner ansonsten eher wolkigen Aussagen - an der grundsätzlichen Ausrichtung auf die EU hin keinen Zweifel gelassen. Dass es diesbezüglich keinen Bruch mit der Politik Poroschenkos geben wird, bekräftigte er auch am Wahlabend. Selenskyj kündigte eine "massive Informationsoffensive" an, die sich an die abtrünnigen Donbass-Republiken richten wird, um den Krieg in der Ostukraine zu beenden.

Karten werden neu gemischt

Ob das Chancen auf Erfolg hat, ist zwar mehr als fraglich. Der Umstand, dass die Ukrainer mit Selenskyj eine Person gewählt haben, die in der ganzen russischsprachigen Welt populär ist, mischt die Karten in Osteuropa aber tatsächlich neu. Einerseits ergibt sich mit ihm eine - wenn auch geringe - Chance auf eine Entschärfung des Konflikts zwischen Kiew und Moskau. Er kündigte neue Friedensgespräche im Minsk-Format an. Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew bezeichnete den Sieg Selenskyjs als eine Möglichkeit, "die Zusammenarbeit mit unserem Land zu verbessern". Er fügte freilich hinzu, dass er sich insgesamt "keine Illusionen" mache.

Eines ist sicher: Selenskyjs Sieg macht es Russland schwer, an seiner Geschichte von der "faschistischen Kiewer Junta", die in der Ukraine seit dem Maidan an der Macht sei, festzuhalten. Der auch in Russland bekannte und populäre Komiker Selenskyj, der sich über die rechtsradikalen ukrainischen Milizen schon des öfteren lustig gemacht hat, entspricht einfach nicht dem Bild eines Nazis. Moskaus Medien werden gegenüber Kiew vielleicht eine andere Sprache finden müssen.

Noch dazu ist Selenskyj Jude. Dass er als solcher von der ukrainischen Gesellschaft, in der der Antisemitismus historisch weit verbreitet war, zum Präsidenten gewählt wurde, ist so erstaunlich wie Selenskyjs Wahlergebnis.