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Nationalismus und Globalismus sind nicht zwingend Gegner

Von Walter Hämmerle

Politik

Für Historiker Yuval Harari besteht das Ideal der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert in Harmonie ohne Uniformität.


Wien. Vielleicht ist es ja ein Zeichen für die Verunsicherung unserer Zivilisation, dass ausgerechnet ein Experte für die Vergangenheit zum hochdekorierten Deuter der Gegenwart und die Gefahren der Zukunft aufgestiegen ist. Yuval Harari, der 43-jährige israelische Historiker, der an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt, ist aktuell einer der meist gelesenen Gegenwartsdiagnostiker. Weltberühmt wurde er 2011 mit "Eine kurze Geschichte der Menschheit". Darin fragt der Autor nach den Gründen, die es den Menschen ermöglichten, die Höhle zu verlassen und sich die Welt untertan zu machen.

2015 erschien mit "Homo Deus" die Fortsetzung. Darin schlägt Harari einen dunkleren Grundton an: Gerade weil der Mensch heute über eine nie zuvor gekannte Breite an technologischen Möglichkeiten verfügt, um in Gottes Werk einzugreifen - Bio- und Geoengineering, Künstliche Intelligenz, Robotik -, sieht Harari auch die Errungenschaften unserer Zivilisation in Gefahr. "Homo Deus" beschreibt die Geschichte unserer Selbstermächtigung, die am Ende zur Selbstaufgabe allen Menschlichen führen könnte.

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Die Zukunft gehört den USA, China und Europa

Diese Sorgen samt seinen persönlichen wie politischen Empfehlungen verpackte der Israeli 2018 in das Buch "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert". Hier bricht Harari mit seinem in seiner Menschheitsgeschichte postuliertem Diktum, wonach "diejenigen, die eine Epoche am besten kennen - die Menschen, die sie selbst erlebt haben -, meistens am allerwenigsten verstehen, warum die Geschichte diese Wendung nahm und keine andere".

Auf seiner Tour als Weltendeuter machte Harari nun am Dienstag in Wien Halt, um auf Einladung von WKO-Präsident Harald Mahrer mit Bundeskanzler Sebastian Kurz über den europäischen Traum zu diskutieren und die Möglichkeit von Europas Werten in einer neuen Welt. Wobei bemerkenswert war, wie selbstverständlich von allen Rednern die transatlantische "special relationship", die dem 20. Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt hat, bereits als Vergangenheit betrachtet wurde. Die Zukunft, da sind sich alle einig, werde von einem Dreieck gemacht, das aus den USA, China und eben Europa bestehe. Mit je eigenen Werten, Interessen und Zugängen.

Hararis Blick auf das 21. Jahrhundert ist dabei pragmatisch: Das Wichtigste zuerst! Deshalb empfiehlt er jedem Politiker, sich vier Fragen zu stellen: Was tun gegen einen Nuklearkrieg? Was gegen den Klimawandel? Wie die neuen Technologien regulieren? Und welche Vision hat dieser Politiker für die Welt im Jahr 2050?

Dabei hält Yuval Harari die derzeit alle politischen Fragen überlagernde Polarisierung zwischen Nationalisten und Globalisten für überbewertet. Beide Philosophien schließen sich für ihn nicht zwingend aus, denn wer sich heute um seine Landsleute kümmern wolle, könne dies nicht, ohne dabei nicht auch das Wohlergehen aller anderen im Auge zu behalten.

Und so wie er eine Weltregierung für eine unrealistische, ja gefährliche Idee erachtet, würde auch der isolierteste Staat zusammenbrechen, wenn er völlig vom internationalen Handel ausgeschlossen wäre. Harmonie ohne Uniformität: So lautet für Harari das Ideal der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert. Und die EU sei das bisher mit Abstand erfolgreichste Experiment in diese Richtung.

Diesen Ball griff anschließend WKO-Präsident Mahrer auf, um für die typisch europäische Idee einer sozialen Marktwirtschaft zu werben, die zum Erfolg jedoch die globale Vernetzung benötige. Für Bundeskanzler Kurz hängt der Erfolg Europas nicht zuletzt davon ab, ob es gelingt, angesichts der ungeheuren Dynamik des chinesischen Aufstiegs den eigenen wirtschaftlichen Erfolg fortzusetzen. Für ihn ist klar: Mit China habe die liberale Ordnung, die das Versprechen von Freiheit und Wohlstand verbinde, einen neuen, ernsthaften Gegner erhalten.

Was er tun würde, könnte er nur für einen Tag die Position des Kanzlers übernehmen, wurde Harari abschließend von Mahrer noch gefragt. Dafür sorgen, dass mehr Zeit zum Nachdenken, Lesen und Meditieren übrigbleibe. Das fehle in unserer allzeit gehetzten Gegenwart besonders.