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Mauerfall in Bagdad: Das Ende der Grünen Zone

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die letzten Betonblöcke sind abgebaut, die ehemals verbotene Stadt ist nun wieder der Öffentlichkeit zugänglich.


Bagdad. Früh morgens ist Bagdad derzeit wie ausgestorben. Die sechs Millionen Einwohner der irakischen Hauptstadt schlafen sich aus, drei Tage lang. Es ist das Ende des Ramadan, des islamischen Fastenmonats. Aid al-Fitr heißt das Fest nach den Entbehrungen des Fastens. Manche nennen es Zuckerfest, weil an diesen Tagen besonders viele Süßigkeiten gegessen werden. In diesem Jahr gibt es für die Bagdader an den Festtagen eine besondere Attraktion: Die Mauern um die Grüne Zone, den jahrelang hochgesicherten Regierungsbezirk, fallen. Gestern wurden die letzten Betonblöcke abgebaut. Die Bevölkerung hat jetzt freien Zugang zu den gut zehn Quadratkilometern, die bis dahin No-Go-Zone war: Der "Hochsicherheitstrakt" im Zentrum von Bagdad ist Vergangenheit.

"Wir werden keine Zeremonie haben", sagt einer der diensthabenden Offiziere der irakischen Armee am berühmt-berüchtigten Denkmal der "Schwerter des Sieges", das bislang von hohen T-Walls umgeben war. So heißen hier die Betonstehlen nach Berliner Art, weil ihr Fuß nach unten gespreizt ist. Nur die Schwerter selbst, die zwei 40 Meter hohe Bögen formen, ragten über die Mauern hinaus. Saddam Husseins bronzene Fäuste links und rechts waren nicht zu sehen. Jetzt ist alles frei zugänglich. Man kann unter und zwischen den Schwerterbögen flanieren. Das Monument wurde aus den Resten irakischer Waffen und Panzern aus dem ersten Golfkrieg (1980 bis 1988) gegen den Iran gegossen. Der blutige Krieg mit über einer Million Toten endete als Patt mit einem Waffenstillstand, den Saddam für sich als Sieg beanspruchte. Das Stützgerüst der Hände und die Schwerter aus Edelstahl kamen aus Deutschland, die Außenkontur der Hände aus Bronze wurde in England gegossen. Noch heute bewahrt die Gießerei den original Daumenabdruck von Saddam Hussein auf, der für die Fäuste Modell stand. "Die Öffnung der Grünen Zone soll ruhig vonstattengehen, ohne großes Aufsehen", sagt der Offizier der irakischen Armee noch und zieht sich zurück unter seinen Sonnenschutz, der wie ein kleiner Carport aussieht.

Checkpoints abgebaut

Mit der Öffnung der Grünen Zone hat Iraks Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Versprechen eingelöst, das er bei seinem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres gegeben hat. Der Bezirk soll ein normales Stadtviertel von Bagdad werden. Seit November wurde Schritt für Schritt abgebaut: Checkpoints aufgelöst, Stacheldraht entfernt, Betonblöcke auf Tieflader geladen und abgefahren. Hundertausende sollen es gewesen sein. Allein in den letzten zwei Monaten hat Bagdads Stadtverwaltung 10.000 Mauerteile abfahren lassen, wie ein Angestellter berichtet. Die Betonblöcke wurden zum Militärflughafen Al-Muthana im Zentrum von Bagdad gefahren und dort abgekippt. Einige von ihnen finden Wiederverwertung in einem Ring, der derzeit um Bagdad gezogen wird, um Terroristen vor dem Eindringen zu hindern. Andere dienen dem Hochwasserschutz. Wieder andere werden als Baumaterial für Silos verwendet.

Die hochgesicherte Zone war teuer. Zwischen 300 und 800 US-Dollar kostete ein Mauerteil, je nach Tiefe und Durchmesser. Übrig bleiben jetzt nur noch Teile unmittelbar vor den Ministerien und vor dem ehemaligen Palast Saddam Husseins, der vom amerikanischen Administrator Paul Bremer bewohnt wurde und seit dessen Abgang im Jahr 2004 vom irakischen Premierminister genutzt wird. Auch die US-Botschaft, die neu gebaut, sich entlang des Tigrisufers zieht, wird auf absehbare Zeit noch von Mauern umgeben sein. Die Straße dorthin ist abgesperrt. Passieren darf nur, wer einen speziellen Ausweis hat. Auch irakische Anwohner müssen diesen vorzeigen, wenn sie zu ihren Häusern wollen.

Mit dem Fall der Mauern um die Grüne Zone in Bagdad geht eine Ära zu Ende. Denn schon Saddam Hussein hat sich und seine innersten Kreise dort eingemauert. Ihre größte Ausdehnung aber fand die Grüne Zone unter der amerikanischen Besatzung, als der Terror außerhalb tobte und Bagdad zur roten, blutigen Zone wurde. In der Grünen Zone war man halbwegs sicher. Ausländische Botschaften und amerikanische Firmen wie Halliburton oder KBR siedelten sich ebenso dort an, wie irakische Spitzenpolitiker. Irak wurde aus einer Blase heraus regiert, eine Stadt in der Stadt entstand mit eigenen Supermärkten, Restaurants, Cafés. Diejenigen, die dort nicht wohnten oder arbeiteten, hatten keinen Zugang. Und die, die dort wohnten, kamen nur selten raus. Parallelwelten entstanden. Eine Situation, die durch die verbesserte Sicherheitslage in Bagdad nicht mehr zu rechtfertigen war. Als 2016 die Grüne Zone von Demonstranten gestürmt wurde, diese über die Mauerteile kletterten und sich auf die Sitze des dort befindlichen Parlaments setzten und Mitbestimmung forderten, wurde klar, dass etwas geschehen muss.

Hoffen auf Normalität

Einen Kilometer von den Schwertern entfernt, stehen drei Polizisten im Schatten einer Akazie an der Kreuzung, wo alle großen Straßen der Grünen Zone sternförmig zusammenlaufen. "Klar", sagen die zwei jüngeren, "ist das toll, dass die Mauern weg sind und die Leute nicht mehr stundenlang durch Sicherheitskontrollen müssen, um hierher zu kommen." Der eine der beiden war elf Jahre alt, als Saddam Hussein 2003 gestürzt wurde. Er kennt die Grüne Zone nur als "Hochsicherheitstrakt". Es sei ein völlig neues Gefühl, jetzt hier Dienst zu tun, meint der andere. Der Ältere im Kreise ist nachdenklich. Er hat Bedenken wegen der Sicherheit. Die Mauern hätten doch vieles abgehalten. Wenn die Parteien wieder anfangen zu streiten und die Politiker sich nicht einig sind, wie oft in der Vergangenheit, habe dies vor allem Auswirkungen auf die Sicherheit. "Und dann", fügt er noch hinzu und deutet hinter sich, "hat neulich dort hinten eine Rakete eingeschlagen." Die habe der amerikanischen Botschaft gegolten. Wer sie abgefeuert habe, sei noch unklar. Klar sei aber, wenn der Konflikt zwischen Amerikanern und Iranern sich weiter zuspitzt, würden sie es hier in der ehemaligen Grünen Zone sofort zu spüren bekommen.