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Die Aufspaltung der AKP

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Von Erdogan kalt gestellte liberale AKP-Politiker wollen eine neue konservative Formation in der Türkei gründen.


Ankara. Lange haben sie sich zurückgehalten, nach der Wahlniederlage ihres Bürgermeisterkandidaten in Istanbul kommen sie aus der Deckung. Hochrangige Mitglieder der regierenden islamischen "Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt" (AKP) von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wollen im Herbst eine neue konservative Partei ins Leben rufen, die auf unzufriedene Wähler zielt und die Partei spalten könnte. Damit wird nun quasi-offiziell, was seit Monaten als Gerücht kursierte. An der Spitze der neuen Partei werden voraussichtlich populäre liberale AKP-Politiker stehen, die von Erdogan kalt gestellt wurden und ihre Unzufriedenheit mit seinem wachsenden Autoritarismus wiederholt äußerten: der frühere Vizepremierminister und "Wirtschaftszar" Ali Babacan und der ehemalige Staatspräsident Abdullah Gül.

"Alles wird gut werden", so kommentierte Ex-Staatschef Gül die erneute Niederlage seiner eigenen Partei bei der Wiederholungswahl in Istanbul am 23. Juni. Dass Gül damit das Wahlkampfmotto des siegreichen Kandidaten Ekrem Imamoglu von der sozialdemokratischen CHP zitierte, werteten Beobachter als starker Hinweis auf die kurz bevorstehende Gründung der neuen Partei. Auch ein Name ist angeblich schon gefunden, wie die regierungsnahe Zeitung Habertürk am Montag meldete: "Partei für Unabhängigkeit und Recht".

Es häufen sich plötzlich die Informationslecks in der AKP

In der AKP gärt es. Während sich die Partei früher als monolithischer Block präsentierte, aus dem kaum Interna nach außen drangen, häufen sich plötzlich die Informationslecks. In- und ausländische Medien zitierten in den vergangenen Tagen hochrangige AKP-Dissidenten mit den Worten, dass die Parteineugründung in zwei-bis drei Monaten erfolgen werde. Einem Babacan-Berater zufolge solle deren Politik "zurück zu den Wurzeln" führen der AKP aus deren Anfangsjahren führen: wirtschaftliche und demokratische Reformen, Antikorruptionsprogramme, eine westlich ausgerichtete Außenpolitik.

Ali Babacan stand als türkischer Wirtschaftslenker bis 2015 für einen liberalen ökonomischen Kurs, Abdullah Gül machte sich als moderierender Staatspräsident einen Namen. Gül hat in den vergangenen Jahren immer wieder vorsichtige Kritik an der zunehmend autoritären Politik Erdogans geübt. Jetzt äußerte er per Twitter seinen Unmut über die AKP nach der Anfechtung des ersten Siegs Imamoglus in Istanbul und übernahm die Forderung der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP nach einer Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem. Vergangene Woche erklärte er: "Absolute Autorität ist nicht nachhaltig." Das zielte direkt auf Erdogan.

Babacan besuchte den Präsidenten vergangene Woche, um ihm seinen Rücktritt aus dem Gremium der AKP-Gründer zu erklären. Vermutlich wollen Babacan und Gül Abgeordnete aus der AKP-Fraktion im Parlament herausbrechen. Sie bräuchten nur 20 Überläufer, um eine eigene Fraktion zu bilden. Gemeinsam mit den drei Oppositionsparteien könnte die neue Gruppe einem Vorschlag der CHP folgen, ein neues Verfassungsreferendum über Erdogans Präsidialsystem herbeizuführen und ihn damit zu stürzen. Prominente AKP-Veteranen wie der frühere Innenminister Besir Atalay der ehemalige Vizepremier Mehmet Simsek, oder der angesehene frühere Chef des Verfassungsgerichts, Hasim Kilic, werden bereits als Unterstützer gehandelt.

Die wirtschaftliche Rezession, die Inflation und Enthüllungen über die Verschwendungssucht der Regierung lassen die AKP-Basis rasant erodieren, wie die Wahlwiederholung in Istanbul bewies, wo Imamoglu seinen Vorsprung in weniger als drei Monaten von 13.000 auf 800.000 Stimmen ausbauen konnte.

Mehrheit ist erstmals seit langem unzufrieden

Auf diese erstaunliche Stimmenvermehrung bezog sich am Wochenende ein weiteres früheres AKP-Schwergewicht: Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, den Erdogan 2016 aus dem Amt gejagt hatte: Die AKP sei nicht die "Partei einer Person, einer Familie oder einer Gruppe", sagte er.

Nach einer repräsentativen Erhebung des renommierten Istanbuler Metropoll-Instituts ist eine Mehrheit der Bevölkerung erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Staatschef unzufrieden, und 58 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem aus.