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Die neue Weltordnung im Rüstungsgeschäft

Von Ronald Schönhuber

Politik

Dass der Nato-Partner Türkei das russische Raketenabwehrsystem S-400 installieren will, hat den Konflikt mit Washington weiter verschärft. Doch auch viele andere US-Verbündete schauen sich bei Waffenkäufen schon in Russland und China um.


Ankara/Washington/Russland. Zu Zeiten des Kalten Krieges war die Lage ebenso eindeutig wie übersichtlich. Mit ihren Waffenlieferungen stärkten die beiden großen Blöcke nicht nur militärische Allianzen, sondern sicherten auf diese Weise auch ihre Einflusssphären ab. Die USA lieferten militärisches Gerät an Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die auf diese Weise auch als Nicht-Nato-Mitglieder an westliche Hochtechnologie gelangten. Viele andere Staaten kauften dagegen ihre Panzer, Flugzeuge und Haubitzen in der Sowjetunion. Die für die Staaten des Warschauer Pakts entwickelten Waffensysteme waren nicht nur robust und zumeist deutlich billiger als ihre westlichen Pendants, Moskau bot den Käufern in der Regel auch noch wirtschaftliche und politische Unterstützung als Draufgabe an.

Mit dem Ende des Kalten Krieges ist die Welt aber deutlich komplexer geworden. Zwar sind die USA und Russland als weltweit größte Waffenlieferanten nach wie vor darum bemüht, sich über Rüstungsgeschäfte Einfluss zu sichern, wie etwa mit dem am Dienstag vom State Department abgesegneten US-Waffendeal mit Taiwan. Doch mittlerweile wollen sich Länder wie die Türkei, Indien und der Irak bei der Anschaffung von Militärgerät nicht mehr eindeutig auf eine Seite schlagen. So soll das Nato-Mitglied Türkei in den nächsten Wochen das russische Raketensystem S-400 geliefert bekommen. Die Ladearbeiten und Reisevorbereitungen sollen laut der Regierung in Ankara bereits im Laufen seien.

Gefährdeter Tarnkappen-Jet

Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist der Kauf des in den 1990er Jahren entwickelten Flugabwehrsystems vor allem eine Frage des nationalen Stolzes. Denn die Türkei, die sich schon im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien zu wenig unterstützt von den USA gefühlt hat, ist in den vergangenen Jahren zunehmend auf Konfrontationskurs mit Washington geraten. Auf den Vorwurf der mangelnden US-Rückendeckung nach dem Putsch-Versuch im Jahr 2016 folgte der Streit um die Inhaftierung des amerikanischen Pastors Andrew Brunson in der Türkei. Mit der wechselseitigen Verhängung von Sanktionen erreichten die türkisch-amerikanischen Beziehungen schließlich im Sommer 2018 ihren vorläufigen Tiefpunkt.

Die Lieferung der S-400-Batterien dürfte den seither kaum befriedeten Konflikt nun weiter eskalieren lassen. Denn das russische Waffensystem wurde vor allem entwickelt, um zu verhindern, dass feindliche Armeen ähnlich rasch die Lufthoheit erringen wie das der US Air Force in den beiden Golfkriegen und in Ex-Jugoslawien gelungen war. Dafür verarbeitet das System auch Daten aus Manövern und gleicht sie nicht nur mit den Erfahrungswerten des Herstellers ab, sondern auch mit denen anderer Streitkräfte, die die S-400-Raketen ebenfalls im Einsatz haben.

Diese Vernetzung macht das S-400 aus Sicht der USA allerdings zur Bedrohung. Denn das Nato-Mitglied Türkei ist nicht nur Teil eines Partnerprogramms, in dessen Rahmen ausgewählte Länder Zugang zu den neuesten US-Tarnkappenkampfjets vom Typ F-35 bekommen sollen. Nach dem Willen Ankaras sollen die amerikanischen Kampfjets und das russische Flugabwehrsystem irgendwann auch einmal zusammen üben. Und damit könnte auch die technische Überlegenheit des teuersten Kampfflugzeugs der jüngeren Geschichte schon bald dahin sein. Denn falls Russland an die bei gemeinsamen Manövern gesammelten Daten gelangt, wäre es nach Ansicht des Pentagons deutlich einfacher, neue und effizientere Abwehrstrategien gegen angreifende F-35-Jets zu entwickeln.

Drohnen aus China

Für den Fall, dass Ankara das S-400-System tatsächlich installiert, hat Washington daher bereits Sanktionen angedroht. Im äußersten Fall könnte es dabei sogar so weit gehen, dass der widerstrebende Nato-Partner aus dem F-35-Partnerprogramm ausgeschlossen wird. Die Türkei ist aber bei weitem nicht das einzige mit den USA verbündete Land, das Interesse am S-400 hat. So haben auch der Irak, Saudi-Arabien, Katar, Ägypten und Indien schon Kaufabsichten bekundet. Anders als die Türkei sind diese Länder aber nicht Teil des F-35-Partnerprogramms, was eine Anschaffung aus Sicht der US-Militärstrategen zumindest ein bisschen weniger problematisch macht.

Doch nicht nur die Zahl der US-Verbündeten, die sich nach anderen Optionen umschauen, wächst. Russland ist auch schon lange nicht mehr der einzige Gegenspieler Washingtons, wenn es darum geht, die Welt mit Waffen zu versorgen. So haben Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Irak in den vergangenen Jahren Angriffsdrohnen aus China angeschafft, nachdem sich Washington zuvor geweigert hatte, die unbemannten Fluggeräte zu verkaufen. Bedarf dafür gibt es in jedem Fall. So sind Drohnen aus chinesischer Produktion über Kriegsschauplätzen wie dem Jemen mittlerweile ein gewohntes Bild.