Der Irak tut sich genau so schwer mit dem Erbe des IS wie die Länder, aus denen die ausländischen Kämpfer kommen. Vielleicht noch schwerer. Denn der Siegeszug der Dschihadisten hat seinen Ursprung zwischen Euphrat und Tigris. Zwar ist deren Ideologie seit Jahren vergleichbar mit dem sunnitischen Wahabismus in Saudi-Arabien und dem streng konservativen schiitischen Islam im Iran nach der Revolution der Ajatollahs. Die Schnittmengen sind frappierend. Beide Systeme verfolgen in ihren Zielvorgaben die Errichtung eines Kalifats, beide haben ähnliche Ausprägungen, was die Gerichtsbarkeit angeht und beide kennen keine Gnade für ihre Gegner. Doch die Saat des Dschihad ist erst im Desaster des Irak-Krieges 2003 aufgegangen, als die Amerikaner kläglich scheiterten, eine Demokratie im Mittleren Osten zu errichten und stattdessen eine Diktatur des Islam ermöglichten. Im Irak fanden die dschihadistischen Strömungen zusammen, zunächst im Widerstand gegen die US-Besatzer, dann in Opposition gegeneinander - Sunniten töteten Schiiten - schließlich Al Kaida, der IS und die Schiitenmilizen.
Rache der früheren Nachbarn befürchtet
Offiziell ist der IS seit Dezember 2017 besiegt. So jedenfalls hat es der damalige irakische Premierminister Haider al-Abadi verkündet. Mossul ist seit Juli 2017 von der Terrormiliz befreit. Doch Iraks ehemals zweitgrößte Stadt kommt nur langsam wieder auf die Beine. Ein großes Problem dabei sind die Eigentumsverhältnisse. "Wir haben derzeit keine rechtliche Handhabe, was die Situation von Immobilien von Familien der IS-Mitglieder anbelangt", sagt der Bürgermeister von Mossul, Zuhair al-Araji. Er habe keinerlei Anhaltspunkte, wie dieses Thema behandelt werden sollte. Deshalb habe er entschieden, dass Familien, die einen Sohn oder eine Tochter beim IS hatten, zurückkehren dürften, so lange das Eigentum nicht auf den Namen des IS-Mitglieds eingetragen ist. Sei dies der Fall, würde die Immobilie enteignet. Was damit dann geschehe, sei in der Schwebe. Manchmal könnten Familien, deren Häuser im Kampf um Mossul völlig zerstört wurden, dort einziehen. Die Mehrheit der IS-Familien aber lebe noch immer in Lagern, weiß Araji, und habe Angst in ihre gewohnte Umgebung zurückzukehren. Sie fürchteten die Rache der Nachbarn. Deshalb würden derzeit Überlegungen angestellt, speziell gesicherte Wohnanlagen für IS-Familien in einem Außenbezirk von Mossul zu errichten, die durch Sicherheitskräfte bewacht werden - zum Schutz der Bewohner.
Im Zelt neben dem elfjährigen Nizar aus Mossul ist eine Familie aus Baidschi, die nur aus Frauen besteht. Die Stadt liegt 60 Kilometer nördlich von Tikrit und beherbergte einst die größte Ölraffinerie Iraks, die fast das ganze Land mit Strom versorgte. Wer Baidschi kontrollierte, hatte die Energieversorgung Iraks unter sich. Entsprechend umkämpft war die Stadt. Als der IS im Juni 2014 Mossul und Tikrit überrollte, übernahm er auch Baidschi im Handumdrehen.
Die Frauen im Lager Al Shehama haben die Männer bei diesen Kämpfen verloren und sind jetzt mit den Kindern alleine auf sich gestellt. Zum IS, dem ihre Männer, Söhne oder Brüder angehörten, wollen sie sich nicht äußern. Fotografieren lassen sie sich nicht, nur die Kinder, das sei ok. Eines hat ein Bein amputiert und geht auf Krücken. "Eine Autobombe", sagt der Bub, "mehr nicht". Auf die Frage, ob sie zurück wollen nach Baidschi, schüttelt die älteste Frau im Zelt den Kopf. "Die bringen uns um, wenn wir wieder in unser Haus ziehen."
Während im Irak noch große Unsicherheit im Umgang mit den IS-Angehörigen herrscht und derzeit eine regelrechte Rachewelle gegen sie läuft, ist bei den ausländischen IS-Familien Bewegung zu verzeichnen. Die schwedische Regierung ließ gerade sieben Waisenkinder abholen, auch Albaner und Tschetschenen wurden bereits herausgeholt. Den größten Transport organisierte Ende April die Regierung im Kosovo. 110 Staatsbürger wurden nach Pristina geflogen, darunter 74 Kinder und 32 Frauen. Vier Männer wurden noch auf dem Rollfeld verhaftet. Die französische Regierung erwog einmal eine ähnliche Operation - aber dann intervenierte Präsident Emmanuel Macron. So warten Hunderte Franzosen, Belgier und Deutsche bis heute auf ihre Ausreise. Gerade erst bekräftigten europäische Innenminister bei einem Treffen in der G-7-Runde ihre ablehnende Haltung. Einerseits habe man völkerrechtliche Verpflichtungen, seine Staatsbürger zurückzunehmen, aber man sei vor allem für die Sicherheit der Heimatbevölkerung verantwortlich. Keinesfalls dürfe man sie durch IS-Rückkehrer einer Gefahr aussetzen.