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Detroit erobern - und den Rest auch

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

In Detroit startet heute die zweite Debattenrunde der Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Angesichts des schon jetzt enormen Drucks auf manche, das Handtuch zu werfen, stehen die Vorzeichen auf Sturm.


Detroit. Detroit und die Demokraten. Die US-Stadt und die Partei haben eine ähnliche Geschichte. Am Dienstagabend treffen sie sich wieder. Da steigt hier, im Fox Theatre zu Detroit, um acht Uhr abends Ortszeit (zwei Uhr morgens MEZ) die zweite Debattenrunde der Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei.

Detroit war jahrzehntelang Inbegriff der US-Automobilindustrie, auch der Inbegriff der demokratisch wählenden Arbeiter. Ab den Achtzigerjahren war Detroit Synonym für den Niedergang der Branche - auf dem Fuß folgte die schwindende Zustimmung für die Demokraten.

Doch im Jahr 2019 scheint Detroit, die Stadt am Lake St. Clair, das Tal der Tränen langsam aber sicher zu verlassen. Zwar leben immer noch 38 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, aber davon, die größte Stadt Michigans einfach zuzusperren, wie es manche Politiker anlässlich der Bankrotterklärung Detroits 2013 forderten, redet heute niemand mehr.

Politisch nicht minder symbolträchtig: Bis November 2016 galt Michigan bei den Demokraten als sicher; aber seit Donald Trump dort rund 11.000 Stimmen mehr bekam als Hillary Clinton, bemühen sich die Demokraten nach Kräften, verlorenes Terrain wieder gutzumachen.

Dabei behilflich ist ihnen seit den Midterms, den Kongresswahlen 2018, eine gewisse Rashida Tlaib. Sie ist als farbige Muslimin eines der Hauptziele der jüngsten rassistischen Angriffe Trumps. In Tlaibs Wahlbezirk fällt der Veranstaltungsort der Debatte. Entsprechend würde es an ein Wunder grenzen, wenn nicht auch ihre Person heute oder morgen zur Sprache kommen wird. Denn die Debatten sind auf zwei Tage ausgelegt, schließlich sind es noch zwanzig Optimisten, die sich um das Ticket der Partei bewerben.

Die ersten zehn Kandidaten, die sich den Fragen eines Moderatorenteams des Nachrichtensenders CNN stellen: Bernie Sanders (Senator, Vermont), Elizabeth Warren (Senatorin, Massachusetts) Pete Buttigieg (Bürgermeister, South Bend, Indiana), Beto O’Rourke (Ex-Abgeordneter, Texas), Amy Klobuchar (Senatorin, Minnesota), John Hickenlooper (Ex-Gouverneur, Colorado), Tim Ryan (Abgeordneter, Ohio), John Delaney (Ex-Abgeordneter, Maryland) und Marianne Williamson (Bestsellerautorin). Der einzige Newcomer heißt Steve Bullock und ist Gouverneur von Montana. Ihm werden aufgrund seines späten Einstiegs ins Rennen kaum Chancen eingeräumt.

Tags darauf besteht die Mittwochsrunde aus Ex-Vizepräsident Joe Biden, Kamala Harris (Senatorin, Kalifornien), Michael Bennet (Senator, Colorado), Kirsten Gillibrand (Senatorin, New York), Andrew Yang (Unternehmer), Cory Booker (Senator, New Jersey), Bill de Blasio (Bürgermeister, New York City), Julián Castro (Ex-Wohnbauminister unter Obama, Texas), Tulsi Gabbard (Abgeordnete, Hawaii) und Jay Inslee (Gouverneur, Washington). Während sich die Umfragen-Könige Biden und Sanders (dahinter folgen Warren, Harris und Buttigieg) noch in Gelassenheit üben können, geht es für alle anderen schon jetzt um alles oder nichts. Etwa wenn es der vor kurzem noch als Superstar gehandelte Beto O’Rourke auch diesmal nicht schafft, beim Publikum Eindruck zu hinterlassen, wird der Druck auf ihn, sich nach Hause nach Texas zu verabschieden, zu groß werden.

Warren und Sanders buhlen um denselben Stimmen-Pool

Spannend wird heute, inwieweit sich Warren und Sanders gegenseitig wehtun werden, liegt doch die größte Angst des fortschrittlich gesinnten Teils der Parteibasis darin, dass sie die linken Stimmen spalten und es so den eher zentristischen Kandidaten (Biden, Harris, Buttigieg) leichter machen, eine Mehrheit zu finden. Einen Vorgeschmack darauf, was die Zuschauer sonst in Detroit erwartet, gab es sofort im Anschluss an die erste Debatte, die vor einem Monat in Miami, Florida, stattfand. Die Einzige, die aus der Debatte wirklich Kapital schlagen konnte, war Kamala Harris. Sie, eine afroamerikanische Frau, hatte den weißen Mann Joe Biden für seinen Umgang mit Minderheiten kritisiert. Biden hatte sich etwa in den Siebzigern dagegen ausgesprochen, afroamerikanische Kinder mit Bussen in mehrheitlich weiße Bezirke beziehungsweise Schulen zu transportieren. Zudem hielt sie Biden die Co-Autorenschaft der Crime Bill von 1994 vor. Die massive Verschärfung des Strafrechts unter der Präsidentschaft von Bill Clinton hat zu Masseninhaftierungen geführt, von denen vor allem Minderheiten betroffen waren. Cory Booker, neben Harris einziger Afroamerikaner im Rennen, pflichtete ihr bei. Der 76-jährige Biden gibt sich mittlerweile kampflustig. Er ließ durchsickern, dass er den Spieß nunmehr umzudrehen gedenke. Harris soll mit einer Verordnung aus ihrer Zeit als Bezirksstaatsanwältin von San Francisco konfrontiert werden, die es möglich machen sollte, Eltern zu inhaftieren, wenn ihre Kinder nicht zur Schule gehen; Booker soll an seine "Zero Tolerance"-Politik erinnert werden, die er einst seiner Heimatstadt Newark, New Jersey, als Bürgermeister verordnet hatte.

Hintergrund der Diskussion um Inhaftierungen: Afroamerikaner sind von der extremen "Tough on Crime"-Politik der vergangenen Jahrzehnte besonders betroffen. Afroamerikaner stellen aber in Bundesstaaten wie South Carolina die Mehrheit der Parteibasis, rund 60 Prozent; und wer nicht imstande ist, sie für sich zu gewinnen, hat nicht nur ein Problem in der eigenen Partei, sondern auch bei der Präsidentschaftswahl selbst.