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"Putin kennt die Grenzen Russlands"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Der russische Politologe Fjodor Lukjankow über die Gründe für die vorsichtige Wiederannäherung zwischen Russland und der EU, die schwierigen Beziehungen des Kremls zu den USA und warum sich Trump nicht für Russland interessiert.


"Wiener Zeitung": Zuletzt hat Russland im Europarat wieder das Stimmrecht zurückerhalten, das 2014 nach der Krim-Annexion entzogen wurde. Was bedeutet das?

Fjodor Lukjankow: Dass sich die Atmosphäre ändert. Fünf Jahre lang hat der Westen eine harte Linie vertreten, und plötzlich war dann doch alles anders. Ich sehe aber auch pragmatische Gründe: Russland ist einer der größten Beitragszahler. Wenn Moskau nicht an der Wahl des neuen Generalsekretärs teilnimmt, dann kann das rechtlich angefochten werden. Und wenn nach uns etwa auch noch die Türkei aus dem Europarat ausscheiden würde, wozu braucht man ihn dann noch? Insgesamt ist das ein symbolischer Sieg für Russland, der auf ein Ende der Post-Krim-Periode hindeutet.

Was meinen Sie damit?

Europa ist müde vom Ukraine-Konflikt. Es kommt Bewegung in die Sache. Die Frage wird sein, ob man das auch auf die Sanktionen übertragen kann. Zudem hat sich die Welt in den letzten fünf Jahren verändert. Damals schien es noch so, als wäre das ein Konflikt von Weltbedeutung. Heute finden die großen Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten statt. Zudem hat das Jahr 2014 gezeigt, dass der russische Revanchismus am Ende ist.

Wie bitte? International wurde Moskau gerade im Jahr 2014, dem Jahr des Maidan, als aggressiver Akteur wahrgenommen.

Es hat sich herausgestellt, dass es für Moskau gar nicht so einfach ist, Territorium einzugliedern. Die Krim ist eine separate Geschichte, aber im Osten der Ukraine gab es keinen großen Enthusiasmus für diese Idee. Natürlich gibt es noch immer Nationalisten in Russland, die Gebietsansprüche stellen, aber mir scheint, dass sie ins Hintertreffen geraten sind. Russlands Aktionen in der Ostukraine waren improvisiert, das folgte keinem großen Plan. Und jetzt steht der Kreml vor der Frage: Wozu das Ganze? Die Eurasische Wirtschaftsunion ist eine viel angemessenere Form, die Länder in seinem Orbit zu halten.

Infolge des Krieges in der Ukraine haben sich die Beziehungen zwischen der EU und Russland massiv verschlechtert.

Dieser Prozess hat schon früher begonnen, die Ukraine war nur der augenfällige Wendepunkt. Bis heute haben wir keine Antwort darauf, wie diese Beziehungen in Zukunft gestaltet werden sollen. Heute befinden sich sowohl die EU als auch Russland in einer Übergangsphase: In Russland steht ein Machtwechsel bevor. Wie der aussehen wird, wissen wir nicht. Das macht alle nervös. Europa ist auch mit inneren Problemen, einer Art Perestrojka der EU (auf Deutsch: Umgestaltung) beschäftigt. Solange beide mit komplexen Fragen zu Hause konfrontiert sind, die ihre Kräfte binden, können wir wohl kaum neue Impulse erwarten.

Sie sprechen die - zumindest offiziell - letzte Amtszeit Wladimir Putins an, die 2024 endet. Rechnen Sie damit, dass sich die russische Außenpolitik ändert?

Unabhängig davon, wer Präsident wird: Schon seit 300 Jahren blickt Russland durch die "Brille des Westens" auf die Welt. Doch der Westen wird nicht mehr das einzige Zentrum der Weltpolitik sein. Russland wird sich nach Asien orientieren.

Die "Wende Richtung China" war vor allem nach 2014 in aller Munde. Viel ist daraus bisher aber noch nicht geworden.

Diese Prozesse dauern natürlich lange. Russland kann sich keine schlechten Beziehungen zu China leisten. Dazu ist es schlichtweg ein zu mächtiger Nachbar.

Blicken wir in die USA. Als Donald Trump gewählt wurde, knallten in Moskau die Sektkorken. Sie waren von Anfang an skeptisch. Warum?

Das große Problem ist, dass sich Trump eigentlich gar nicht für Russland interessiert. In seiner Weltsicht hat ein Land, das für zwei Prozent der Weltwirtschaft steht und fast keinen Handel mit den USA hat, keine Priorität. Wofür Russland wichtig ist - Stichwort Atommacht, Ressourcen, Ukraine -, dafür interessiert er sich nicht. China hält er für einen Feind, dem gegenüber er mit einer gewissen Ernsthaftigkeit auftritt. Gegenüber Russland nicht.

Was bedeutet das für Russland?

Das ist natürlich unangenehm! Wir sind es gewohnt, dass die russisch-amerikanischen Beziehungen ein zentraler Teil der Weltpolitik sind. Die Treffen zwischen Trump und Putin sind doch nur Show, ohne Substanz. Zuletzt haben sich die Beziehungen sogar verschlechtert. Das liegt auch daran, dass Russland in den USA zu einem innenpolitischen Faktor geworden ist und von Trumps Gegnern benutzt wird, um ihn zu diskreditieren.

...was mit Russland selbst nichts mehr zu tun hat?

Wir sind nur noch ein Instrument, nicht mehr der Akteur. Und das ist ein Problem. Auch dann, wenn für Moskau künftig die Beziehungen zu Peking im Vordergrund stehen, so brauchen wir dennoch gute Arbeitsbeziehungen zu den USA, um auch gegenüber China genug weltpolitisches Gewicht zu haben.

Auch in der EU wird über den Einfluss Moskaus diskutiert, etwa was die Unterstützung rechtspopulistischer Parteien betrifft.

Wir sehen, dass sich die politische Landschaft in der EU verschiebt. Nicht nur nach rechts, sondern auch nach links. Das macht es aber auch für Moskau nicht leichter. Ich denke, die Rechtspopulisten haben ihren Plafond schon erreicht. Ich war immer dagegen, dass Russland mit diesen Ultrarechten spielt. Wie kann Moskau Beziehungen etwa zu Parteien haben, die den Heldenmut der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg preisen? Sie reden zwar immer davon, die Sanktionen gegen Russland abzuschaffen - so lange, bis es eben zur Abstimmung im EU-Rat kommt. Aber dass der Kreml wirklich ein strategisches Interesse an ihnen hat, sehe ich nicht.

"Wie der Westen Putin falsch versteht", schrieb der britische Historiker Mark Galeotti unlängst. Hat er recht?

Vor allem nach der Ukraine und den US-Wahlen wird Putins Rolle in der Welt übertrieben. Der globale Bösewicht - das kann ihm nur gefallen. Mit der Realität hat das aber wenig zu tun. Ich glaube, Putin versteht ganz gut, wie begrenzt Russlands Möglichkeiten eigentlich sind. Dieses Bild von Putin spiegelt vielmehr die eigene Verunsicherung des Westens wider. Ich kann das sogar verstehen: Den Wunsch, äußere Gründe für seine Probleme verantwortlich zu machen. Das kennen wir Russen selbst nur zu gut.