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Junge weiße Zeitbomben

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Spätestens nach dem Massaker von El Paso müssen sich die USA endgültig eingestehen, dass sie ein hausgemachtes Problem mit dem Terror von rechts haben.


Washington/El Paso. Über die Beweggründe des Täters gab es schon zu dem Zeitpunkt keine Fragen mehr, als die Ärzte noch um das Leben mancher seiner Opfer kämpften. Der 21-jährige Patrick C. war am Samstag seelenruhig in ein Einkaufszentrum in El Paso, Texas, spaziert und hatte dort 22 Menschen und dutzende weitere verletzt. Nach seiner Festnahme gab er den Behörden zufolge noch beim ersten Verhör zu, dass seine Motivation einzig und allein darin bestand, so viele Leute hispanischer Herkunft wie möglich umzubringen.

Angesichts des Massakers von El Paso (das von Dayton scheint nach jetzigem Ermittlungsstand nicht rassistisch motiviert), stellt sich nicht zum ersten Mal seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump die Frage, wie stark die rechtsextreme Szene in den USA 2019 wirklich ist - und wie viel Gewalt noch von ihr droht.

Ku-Klux-Klan und Volkshelden

Nicht, dass es in den USA nicht schon immer einen Bodensatz für rechtsextremes Gedankengut gegeben hätte. Der im letzten Jahr des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 gegründete Ku-Klux-Klan erfreut sich trotz zahlreicher Häutungen bis heute guter Gesundheit; in der Periode zwischen den zwei Weltkriegen sympathisierten Volkshelden wie das Flieger-As Charles Lindbergh und Industrielle wie Henry Ford offen mit den Nazis; und in den Sechzigerjahren, als zuerst die Kennedy- und dann die Johnson-Administration mit der Rassentrennung aufräumten, bäumten sich allen voran die südlichen Bundesstaaten dagegen auf.

Was das hier und heute angeht, könnten allein die Zahlen indes kaum eine klarere Sprache sprechen. Erst vor zwei Monaten hatten die Demokraten im Abgeordnetenhaus Offizielle des Justizministeriums und des FBI vorgeladen und sie stundenlang zur Gefahr befragt, die den USA durch gewaltbereite Rechtsextremisten droht.

Die Antworten waren ernüchternd. Obwohl die Bundespolizei den Anstieg rechtsextrem motivierter Straftaten allein zwischen Oktober 2018 und Juni dieses Jahres auf zwischen 30 und 40 Prozent bezifferte, schraubte die Trump-Administration die Ausstattung für Ermittlungen in der Sparte "Domestic Terrorism" kontinuierlich zurück. Eine Politik, die nicht zuletzt der Analyse von FBI-Direktor Christopher Wray höchstselbst widerspricht: Der hatte bereits Anfang April gewarnt, dass die Gefahr durch Rechtsextreme und jede andere Form von gewaltbereiten Extremisten "anhaltend und tiefgreifend" sei. Eine Ansage, die auch der Wahrnehmung jener Handvoll NGOs entspricht, die sich der Erfassung rassistisch motivierter Verbrechen im Land annehmen.

Laut der renommierten Anti-Defamation League (ADL) etwa kamen im vergangenen Jahr 50 Menschen in den USA durch die Hand von Extremisten zu Tode. Nahezu alle Mörder hatten einen rechtsradikalen Hintergrund.

Neue Leute, alte Chiffres

Wie der Gefahr angesichts einer diesbezüglich handlungsunwilligen Administration zu begegnen sei, darüber gehen die Meinungen auseinander. Rein ermittlungstechnisch kompliziert wird es im digitalen Zeitalter mit der frühen Identifizierung und Verortung potenzieller Täter, weil es sich schlicht um zu viele handelt: Auf Online-Plattformen wie 4chan, 8chan oder Gab gratulieren dem Attentäter von El Paso dieser Tage tausende, die einen mehr, die anderen weniger verschlüsselt.

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Ähnlich wie in Europa, wo sich die sogenannten "Identitären" das Hipster-Mäntelchen umwarfen und die letzten Reste der Glatzkopf- und Springerstiefel-Generation ablösten, sammelten sich auch die neuen Rechten in Nordamerika um Leute, die die alten Chiffres über Bord warfen, ideologisch aber im Grunde auf Linie blieben. Spätestens in der zweiten Hälfte von Obamas Amtszeit begann ihr Gedankengut mehr und mehr auf fruchtbaren Boden zu fallen - vor allem dank der Massenmedien, die zunehmend und ungeachtet jedes Informations- geschweige denn Wahrheitsgehalts alles publizierten, was als "politisch unkorrekt", "kontroversiell" oder "gegen den liberalen Mainstream" daherkam.

Von der angeblichen Unterdrückung konservativer Stimmen auf Universitäts-Campussen über die vermeintliche Diskriminierung religiös bewegter Demonstranten gegen die 2015 legalisierte Homo-Ehe bis zur vorgeblichen Bevorzugung von illegalen Einwanderern bei der Vergabe von Regierungsgeldern: Die jahrelang fast ausschließlich von Fox News verbreiteten Lügen und Halbwahrheiten - der Sender wurde Mitte der Neunziger von Finanzier Rupert Murdoch und Geschäftsführer Roger Ailes (der Millionenklagen wegen sexueller Belästigung nur durch seinen Tod 2017 entkam) dezidiert als rechtes Propagandamedium platziert - fanden langsam aber sicher ihren Weg in den Mainstream.

"Great again"

Heute engagieren selbst an und für sich liberale Medien wie die "New York Times" Meinungskolumnisten, die regelmäßig Leute wie den bei den rechtsextremen Attentätern nach deren eigenen Angaben äußerst beliebten Talkshow-Moderator Ben Shapiro ("Araber lieben es zu bomben und in ihrem eigenen Abwasser zu leben") preisen. Den Rest erledigt das Internet. Auf Facebook und Twitter, aber vor allem auf den weiter oben genannten Plattformen tauschen sich heute hunderttausende, vorwiegend junge weiße Männer aus, die das Trump’sche Credo "Make America Great Again" genauso so verstehen wie vom Erfinder intendiert: Zurück zu einem ethnisch und rassisch homogenen, möglichst autoritären und von einer starken gesellschaftlichen Hierarchie geprägten Staat, den es in Wahrheit nie so gab. Massaker wie das von El Paso stellen nur die logische Konsequenz dieser Entwicklung dar.