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Der Konsument als Klimaretter

Von Alexander Dworzak

Politik

Über den Landflächen beträgt der Temperaturanstieg bereits mehr als 1,5 Grad Celsius. Im Kampf gegen die Erderwärmung setzt der Weltklimarat auch auf eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten.


Genf/Wien. Rund 1000 Seiten ist der erste Sonderbericht über Landnutzung und Klimawandel des Weltklimarates IPCC stark, mehr als 7000 wissenschaftliche Publikationen werteten die Forscher dafür aus. Sie ließen bei der Präsentation am Donnerstag keinen Zweifel daran, dass die Zeit im Kampf gegen die Erderwärmung drängt.

So ist die Temperatur über den Landmassen bereits um 1,53 Grad Celsius gestiegen. Verglichen wurden die Jahre 2006 bis 2015 mit dem Zeitraum von 1850 bis 1900. Damit liegt der Wert über jenen 1,5 Grad, die im Pariser Klimaabkommen von 2015 als Zielwert für die Einbremsung der Erderwärmung festgelegt wurde - allerdings global. Rechnet man in dem IPCC-Bericht auch die Meeresflächen ein, die sich langsamer erwärmen, beträgt das Temperaturplus 0,87 Grad.

Zehn Milliarden Bürger 2050

Das klingt nach wenig, hat aber gravierende Folgen: Im Mittelmeerraum und südlichen Afrika erwarten die Wissenschaftler häufiger Dürreperioden, andernorts würden sich extreme Regenfälle häufen. Der Weltklimarat fürchtet daher, die "Stabilität des Nahrungsmittel-Angebots wird voraussichtlich sinken, da das Ausmaß und die Häufigkeit von Extremwetter-Ereignissen, welche die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen, steigen wird". Und das bei einer Weltbevölkerung, die von 7,5 auf prognostiziert zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 steigt.

Zu diesen Problemen kommt der derzeit häufige Ruf nach Aufforstung, um die CO2-Emissionen einzudämmen. Wieder also eine andere Nutzung für das knappe Bodengut.

Der Weltklimarat ergeht sich jedoch nicht in düstern Szenarien. Er bietet Lösungen an, die aber nicht allen Konsumenten in den reichen Dienstleistungsgesellschaften schmecken dürfte, setzen diese doch bei den Essgewohnheiten an. Einerseits sind zwei Milliarden Erwachsene weltweit zumindest übergewichtig, auf der anderen Seite leiden mehr als 800 Millionen an Hunger. Dabei werfen Menschen in reichen Ländern jährlich 222 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Mistkübel; in Nordamerika und Europa sind es durchschnittlich bis zu 115 Kilogramm pro Jahr.

Lange Zeit wurde der Kreislauf dieser Wegwerfgesellschaft schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Mit der Klimadebatte rückt ins Bewusstsein, dass sowohl Land- und Forstwirtschaft als auch andere Landnutzung für knapp ein Viertel aller von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Und dass sich der globale Ausstoß an Klimagasen aus der Landwirtschaft von 1961 bis 2016 verdoppelt haben.

Nicht nur anders mit gekauften Lebensmitteln sollen die Bürger umgehen, sondern sich auch klimabewusster ernähren. So entstehen beim Anbau von einem Kilogramm frischem Gemüse nur 153 Gramm CO2-Äquivalent. Bei der Herstellung von einem Kilo Rindfleisch sind es hingegen 13.311 Gramm. Eine fleischlose Ernährung will der Vorsitzende des Weltklimarates, Hoesung Lee, jedoch nicht aussprechen: "Wir sagen nicht, was die Menschen künftig tun oder essen sollen."

Schnell umsetzbare Vorschläge

Knapp 92 Prozent der weltweit zur Verfügung stehenden Agrarfläche wird derzeit als Weide oder zur Produktion von Futtermitteln verwendet. Bei verändertem Fleischkonsum könnten Millionen Quadratkilometer Land renaturiert werden. Bis dorthin ist es aber noch ein weiter Weg, wie auch die Debatten insbesondere in Deutschland um die höhere Besteuerung von Fleisch zeigen. Teile von SPD und Grünen sprechen sich dafür aus, doch selbst die sozialdemokratische Umweltministerin Svenja Schulze blockt ab.

Der Weltklimarat setzt derweil auf andere Maßnahmen, die ohne großflächige Umwandlung von Land auskommen: Schonendere Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft, die Erneuerung von degradierten Wäldern und den Schutz von Moorböden zählt Hannes Böttcher vom Berliner Öko-Institut gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auf.

Nicht nur Konsumenten sind gefordert, auch die Politik ist es. Bisher legte sie wenig Wert auf die IPCC-Expertise. Dessen Bericht über die negativen Auswirkungen des Klimawandels 2018 nahmen die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Gipfel kurz darauf "zur Kenntnis": als Punkt 13 von 14.

Der Weltklimarat IPCC~ (afp) Der Intergovernmental Panel on Climate Change wurde 1988 von der UN-Umweltorganisation (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und über mögliche Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC gehören 195 Staaten an. Sie entsenden Experten, die eigenständig Berichte erstellen und auch das letzte Wort darüber haben.

Das Gremium mit Sitz in Genf hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer Autorität in Sachen Klimawandel entwickelt. Es wird seit 2015 von dem Südkoreaner Hoesung Lee geleitet, einem Experten für die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels. Die IPCC-Berichte werden von tausenden Wissenschaftern zusammengestellt, darunter neben Klima- und Meeresforschern auch Statistiker, Ökonomen und Gesundheitsexperten.

Der IPCC betreibt keine eigene Forschung zum Klimawandel, er wertet tausende Studien aus und fasst die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen. Die verwendeten Studien haben im Regelfall das sogenannte Peer-Review-Verfahren durchlaufen - sind also von anderen Wissenschaftern begutachtet worden. Ausnahmen sind nur in begründeten Fällen zulässig, etwa bei regionalen Studien ohne externe Begutachtung oder speziellen amtlichen Statistiken.

Außerdem gibt es mehrere tausend beim IPCC registrierte wissenschaftliche Gutachter, die zu allen Aussagen in den Berichten Kommentare oder Kritik einreichen können. Alle fünf bis sechs Jahre veröffentlicht der IPCC umfassende Überblicke über den aktuellen Stand der Klimaforschung.

Abgesehen von diesen Veröffentlichungen erstellt der Weltklimarat auch Sonderberichte zu bestimmten Aspekten des Klimawandels. So soll auf den aktuellen Report zur Landnutzung bereits im September dieses Jahres ein weiterer Sonderbericht zu den Veränderungen der Weltmeere und der Permafrostgebiete folgen.