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Spielball der Geopolitik

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

Die Angriffe auf Öltanker werfen ein Schlaglicht auf die Straße von Hormus. Was hat es mit diesem Knotenpunkt des Welthandels auf sich?


Rotterdam. Ohne Zweifel ist es eine schwerwiegende Einschränkung der kommerziellen Schifffahrt, wenn diese zwischen die Frontlinien politischer Spannungen gerät. Die "friedliche Durchfahrt" ist nicht umsonst eins der Kernelemente internationalen Seerechts. Geradezu dramatisch erscheint diese Situation, wenn es sich um einen beunruhigenden Konflikt mit noch unklaren Dimensionen handelt, der noch dazu an einem äußerst sensiblen Knotenpunkt des globalen Handels stattfindet. Als dessen Schlagader wird die Straße von Hormus, zuletzt Schauplatz mehrerer Angriff auf Öl-Tanker, nicht selten bezeichnet.

Die Meerenge, an der schmalsten Stelle kaum 40 Kilometer breit, ist die einzige Verbindung des Persischen Golfs mit dem von Oman und damit Arabischem Meer sowie Indischem Ozean. Die nördliche Küste gehört zum Iran, im Süden liegt die omanische Exklave Musandam.

Die Breite der Fahrrinnen betragen jeweils nur drei Kilometer. Im Kontrast dazu steht die zentrale Bedeutung der Straße: die Opec-Mitglieder Saudi-Arabien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait und Irak exportieren hier 90 Prozent ihres Rohöls. Katar, der weltgrößte Exporteur von Flüssiggas (LNG), verschifft dies auf dem gleichen Weg. Mit rund 17,4 Millionen Barrel täglich passieren knapp 20 Prozent des weltweit gehandelten Öls die von unwirtlichen Felsküsten gesäumte Meerenge. Das entspricht einer Verbrauchsmenge von 100 Millionen Barrel.

Enormes Verkehrsaufkommen

Vom iranischen Hafen Shahid Rajaee gibt es Verbindungen in mehr als 80 Häfen weltweit. Die Straße von Hormus ist unangefochten die weltweit wichtigste Seeverbindung für den Ölhandel, und die einzige für die Golf-Anrainer. Ein Blick auf die Alternativen via Landweg erschließt ihre Bedeutung: Eine saudische Pipeline zum Roten Meer hat eine Tages- Kapazität von fünf Millionen Barrel, eine andere in Abu Dhabi bringt es auf anderthalb Millionen.

Es überrascht somit nicht, dass vor allem Öl-Tanker die Meerenge durchfahren - und ebensowenig, dass sich jederzeit mehrere Dutzend von ihnen dort befinden. Wer ihre Bewegungen auf professionellen Webseiten wie marinetraffic.com oder vesselfinder.com verfolgt, dem kann im ersten Moment leicht schummerig vor Augen werden anhand der Vielzahl an bunten Punkten, welche die aktuellen Positionen der Schiffe kennzeichnen. Eine Analyse im Laufe dieser Woche ergibt, dass die Tanker in diesem Zeitraum vor allem unter den Flaggen Panamas, Liberias oder Hongkongs fuhren. Auch Singapur und die Marshall-Inseln waren mehrfach vertreten, wie auch der Iran und Indien.

Europäische Schiffe fallen deutlich weniger ins Gewicht, abgesehen von griechischen oder maltesischen. Insofern stellt die britisch beflaggte Stena Impero, deren Crewmitglieder seit nunmehr drei Wochen festgehalten werden, eher eine Ausnahme dar. Gleichsam sind auch europäische Staaten vertreten: der Verband deutscher Reeder (VDR) teilt mit, etwa 20 bis 30 deutsche Schiffe seien regelmäßig in der Straße im Einsatz. Mehrere Quellen bestätigen, dass rund 40 niederländische Schiffe im Monat die Meerenge passierten, die vor allem Sand oder Bagger zu Offshore-Bauarbeiten transportierten.

Der größte Anteil des exportierten Öls indes ist für den asiatischen Markt bestimmt. 2018 betraf das rund drei Viertel. Die Zielhäfen liegen vor allem in China, Indien, Japan, Südkorea und Singapur. Laut einer von der BBC publizierten Grafik des Cargo- Spezialisten ClipperData ist der chinesische Anteil in den letzten Jahren deutlich gestiegen und macht etwa ein Viertel der exportierten Menge aus - rund doppelt so viel wie der US-amerikanische. Die USA sind wie die EU inzwischen weniger abhängig vom Golf-Öl als noch vor dem Millenium. Erstere haben eine erhebliche Steigerung der eigenen Öl- und Gasproduktion. Europa bezieht das Gros seiner Vorräte inzwischen aus Russland, Zentralasien, Afrika und der Nordsee. Unabhängig davon ist die internationale Besorgnis über die Entwicklungen in der Straße von Hormus enorm.

"Extrem besorgt"

Will Marks, Sprecher der Reederei Stena Bulk, einem der großen Akteure vor Ort, bestätigt gegenüber der "Wiener Zeitung" die außerordentliche Bedeutung der Seestraße. Schon nach Angriffen auf Tanker im Juni zeigte sich Paolo d’ Amico, Vorsitzender der International Association of Independent Tanker Owners (Intertanko) "extrem besorgt" um die Sicherheit von Crewmitgliedern in der Straße. Auf Initiative der Seefahrer-Gewerkschaft Nautilus International gilt Hormus seit Anfang August als Gebiet mit erhöhtem Risiko. Mannschaften, die aus allen Teilen der Welt kommen, haben damit das Recht, in einem Hafen vor der rund elfstündigen Passage von Bord zu gehen oder für die entsprechenden Tage doppeltes Gehalt zu empfangen.

Nautilus-Sprecherin Helen Kelly erinnert die Sicherheitslage an den sogenannten "Tankerkrieg" während des Ersten Golfkriegs. Damals spielte sich der Konflikt zwischen Iran und Irak nicht zuletzt in der Meerenge ab. Mehr als 440 Handelsschiffe wurden in dieser Zeit angegriffen, was über 400 Matrosen mit dem Leben bezahlten.

Passage "stressig"

Die aktuelle Lage ist gefährlich. Dies geht auch aus der anonymen Zeugenaussage eines "Captain X" genannten Kapitäns hervor, die Nautilus unlängst publizierte. Der Mann, der jahrelange Erfahrung vor Ort hat, berichtet von "stressigen" und "beängstigenden" Passagen, der Präsenz bewaffneter privater Sicherheitsdienste an Bord und - vor der Klassifizierung als Risikogebiet - wirtschaftlichem Druck, die Durchquerung trotz der Umstände zu absolvieren.

Für die Reedereien fallen nun erhöhte Sicherheitsprämien an, was die Margen verringert und den Druck auf die Crews zusätzlich verstärkt. Die wirtschaftliche Bedeutung der Meerenge lässt sich auch am Beispiel der größten europäischen Häfen sehen, obwohl diese nicht zu den klassischen Destinationen für Öltanker vom Golf zählen. So ist etwa der Tiefseehafen Sohar, kurz vor der Straße von Hormus gelegen, ein Joint Venture des dortigen Staates und des niederländischen Hafenbetriebs Port of Rotterdam, wodurch Omans Abhängigkeit von Öl vermindert werden soll.

Der belgische Konkurrent Antwerpen dagegen unterhält seit drei Jahren eine Kooperation mit dem Hafen Shahid Rajaee im iranischen Bandar Abbas. Der britische Schiff- Makler Gibsons kommentierte unlängst in seinem Tanker Report: "Seit langer Zeit war die geopolitische Situation in vielen der weltgrößten Rohöl-Lieferanten nicht so prekär." Und Nathan Habers, Sprecher des niederländischen Reeder-Verbands KVNR, sorgt sich derzeit um die Sicherheit der Mannschaften ebenso wie um Grundprinzipien des internationalen Seerechts. "Wir wollen auf keinen Fall, dass die Handelsschifffahrt ein Spielball der Geopolitik wird", so Nathan Habers.