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Demokratie-Ikone Joshua Wong: "Wir brauchen Unterstützung"

Von Felix Lill

Politik

Seit Wochen sorgen Hongkongs junge Aufständische weltweit für Bewunderung, weil sie Peking die Stirn bieten. Doch der Westen lässt Chinas Führung gewähren - aus Wirtschaftsinteressen. Demokratieaktivist Joshua Wong verlangt Sanktionen.


Berlin/Hongkong. "Wir brauchen die Unterstützung der Anführer der Welt", sagt Joshua Wong mit gereizter Stimme. Gerade noch saß der 22-jährige Demokratieaktivist bei einem Treffen mit anderen Demonstranten und plante den nächsten Aufmarsch. Am Sonntag hatten er und seine Mitstreiter laut eigenen Angaben 1,7 Millionen Menschen auf die Straße gebracht. "80 Prozent der Bevölkerung in Hongkong stehen hinter uns", erklärt Wong der "Wiener Zeitung" am Telefon. Und es gibt Luft nach oben. In den nächsten Tagen könnte der Stadtstaat mit seinen sieben Millionen Einwohnern noch mehr Protestler mobilisieren, die gegen Peking standhaft bleiben wollen.

Zumal von Wongs Gegnern kein Signal der Entspannung kommt. "Wir wissen nicht, wie Chinas Regierung in Peking in den kommenden Tagen und Wochen reagieren wird. Wir wissen nicht, ob das Militär einmarschieren wird. Von einem autokratischen Regime kann man nicht erwarten, dass es rational handelt." Deshalb brauche man dringend Unterstützung, betont der Politikstudent noch einmal durch die Telefonleitung. Schließlich gehe es in Hongkong, wo seit Anfang Juni inmitten öffentlicher Proteste der Alltag lahmgelegt ist, nicht allein um die demokratischen Rechte auf dieser kleinen Halbinsel an der Südküste Chinas. "Es geht um das Aufhalten der Expansion des autokratischen chinesischen Politikmodells. Es geht um die Stabilität des Finanzzentrums Hongkongs und damit um die globale Finanzstabilität. Es geht um das Einhalten des Versprechens von Demokratie, das uns gemacht wurde." Und: "Wir fordern das Ende der Polizeigewalt und freie Wahlen, in denen wir unsere eigene Regierung wählen können."

 

Panzer vor der Tür

Pekings Antwort darauf sind derzeit die Stationierung von Panzern in Shenzhen, einer Metropole in Festlandchina an der Grenze zu Hongkong, gepaart mit der Drohung, die Proteste notfalls mit Gewalt niederzuschlagen.

Wer steht dieser Tage auf Hongkongs Seite? Bei Joshua Wong ist herauszuhören, wie sich er und seine Mitstreiter von der Welt alleingelassen fühlen. "Die Handelsbeziehungen zu China sind den mächtigen Ländern wohl sehr wichtig", sagt er. Tatsächlich haben sich über das vergangene Jahrzehnt Chinas Im- und Exporte jeweils verdoppelt. Für jede der weltweit größten Volkswirtschaften zählt China, mittlerweile selbst die zweistärkste Wirtschaftsmacht der Welt, heute zu den wichtigsten Handelspartnern.

Joshua Wong, seit einigen Jahren einer der weltweit bekanntesten Demokratieaktivisten seiner Generation, fordert dennoch Konsequenzen: "Die internationale Gemeinschaft sollte gegen Peking geschlossen mit Wirtschaftssanktionen vorgehen, damit das Regime in seine Schranken gewiesen wird." So wie man andere Regierungen behandle, etwa jene des Iran oder Nordkoreas, müsse man auch mit China umgehen, wenn man es mit dem Schutz der Demokratie ernst meine.

Im Westen dürfte die Forderung nach harten Maßnahmen gegenüber China für peinliche Berührung sorgen. Denn die Fotos und Videos, die seit zweieinhalb Monaten einen offenbar todesmutigen Kampf überwiegend junger Hongkonger Demokraten gegen das übermächtige China zeigen, lösen auf dem westlichen Erdteil zwar reichlich Bewunderung aus. Sie könnten aber genauso gut für ein Schamgefühl sorgen. Dafür nämlich, dass jene Region der Welt, die in der Regel am hochtrabendsten und grundsätzlichsten von den Werten der Demokratie redet, seit Wochen auffällig kleinlaut bleibt.

Von den G7-Ländern, die gemeinhin als die mächtigsten Staaten der Welt gelten, ist bisher nicht viel Substanzielles zu hören. Jeremy Hunt, bis Ende Juli Außenminister Großbritanniens, hat gegenüber Peking nur unkonkret "ernsthafte Konsequenzen" angemahnt, falls der harte Umgang mit den Aufständischen in Hongkong nicht aufhöre. China wies die Äußerung prompt als Fantasien der alten Kolonialmacht zurück. Daraufhin schlug Hunts Amtsnachfolger Dominic Raab in einem Treffen mit Hongkongs Peking-treuer Gouverneurin Carrie Lam nur noch vor, diese solle doch in Dialog mit der Gesellschaft treten.

Aus den meisten der weiteren G7-Staaten - Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada und Japan - ist noch weniger zu vernehmen. Die EU und Kanada veröffentlichten ein gemeinsames Statement, in dem gefordert wird, dass im aktuellen Konflikt "Gewalt abgelehnt werde und dringend Schritte unternommen werden, um die Situation zu deeskalieren". Deutschlands Außenminister Heiko Maas rät dagegen seinen Landsfrauen und -männern von Reisen nach Hongkong ab und gibt kund, er sei "sehr besorgt". Viel mehr sagt er aber auch nicht.

Nur US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, dass sich der laufende Handelskrieg mit China nicht beilegen lässt, falls Peking in Hongkong Gewalt anwendet. Allerdings ist Trump kaum an Bürgerrechten in Hongkong gelegen. Eher benutzt er die Proteste als weiteres Instrument, um in seinem seit Monaten schwelenden Handelskonflikt mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping weiter Druck aufzubauen.

Westen wirkt scheinheilig

So sehen die westlichen Länder wie so oft scheinheilig aus: Zwar pochen sie etwa bei der Vergabe von Entwicklungshilfegeldern an arme Länder gern auf die Einhaltung demokratischer Prinzipien. Auch wo es in Wahrheit eher um wirtschaftliche Interessen geht, wie für die USA im Irakkrieg oder jetzt im Handelskonflikt mit China, wird für die Legitimation der eigenen Maßnahmen gern die Verteidigung demokratischer Werte vorgeschoben.

Wenn es aber darum geht, für die eigens immerzu propagierten Werte auch dort einzutreten, wo es ökonomisch einiges zu verlieren gäbe, dann passiert außer Rhetorik meist nicht viel.

Dabei liegt die gebrechliche Demokratie in Hongkong, die eigentlich auch für das aufstrebende China als Vorbild herhalten könnte, gerade im Sterben. Im Frühjahr brachte die Peking-treue Hongkonger Stadtregierung unter Gouverneurin Carrie Lam ein Gesetz auf den Weg, durch das der Kriminalität verdächtigte Personen an chinesische Behörden ausgeliefert werden könnten. In Hongkong, das bis 1997 britische Kolonie war, hat man sich über die Jahrzehnte allerdings an einige liberale Rechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit sowie freie Gerichte längst gewöhnt, die den Hongkongern bei der Rückgabe der britischen Kronkolonie an China 1997 für 50 Jahre zugesichert worden waren.

In dem Gesetzentwurf vom Frühjahr fürchten die Oppositionellen um Joshua Wong einen klaren Einschnitt in die politische Unabhängigkeit von Peking. Auch wenn Hongkongs Regierung von dem Auslieferungsgesetz mittlerweile Abstand genommen hat, geben sich die Aufständischen nicht zufrieden. Denn das seit dem Wiederanschluss Hongkongs an China offiziell geltende Prinzip "Ein Land, zwei Systeme", das Hongkong eben einen Autonomiestatus zusichern soll, wird in ihren Augen sukzessive ausgehöhlt.

2014 wurden die sogenannten Regenschirm-Proteste losgetreten, nachdem sich offenbart hatte, dass die Hongkonger Bürger entgegen vorigen Versprechen auch künftig ihre Regierung nicht demokratisch wählen dürfen. Stattdessen herrscht ein Wahlrecht, das es China de facto erlaubt, nur von Peking gewünschte Politiker zur Wahl zu stellen. Eine Parallele zwischen den Protesten von 2014 und 2019 ist das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten. Dieser Tage gehen Journalisten nur noch in Gasmasken auf die Straße. Aktivisten laden online Videos davon hoch, wie ihre Kollegen von der Polizei verprügelt oder durch Tränengas aus dem Verkehr gezogen wurden.

Bollwerk gegen Expansion

Einer von ihnen ist Brandon Yau. Der einstige Parlamentsmitarbeiter der mittlerweile abgesetzten demokratischen Abgeordneten Siu-lai Lau geht seit Wochen täglich auf die Straße, um zu demonstrieren, bekam selbst Tränengas ab. "Ich kann nachts nicht mehr richtig schlafen, wenn ich daran denke, wie unsere Kameraden von der Polizei niedergeschlagen werden." Yau glaubt nicht, dass die Hongkonger auf lange Sicht dem Druck Pekings standhalten können. "Die Welt muss verstehen, dass Hongkong das Bollwerk gegen die rücksichtslose Expansion Chinas ist. Deswegen muss sie uns unterstützen, auch gegen ihre kurzfristigen Wirtschaftsinteressen."

Wer kann, orientiert sich anderswohin. Eine Akademikerin aus dem asiatischen Ausland sagt unter der Bedingung der Anonymität: "Hongkong galt immer als freier Ort." Seit kurzem aber habe sie das Gefühl, dass Leute wie sie, die sich bisher für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt haben, hier nicht mehr willkommen seien. "Falls ich einen Job in einem anderen Land finde, werde ich Hongkong verlassen. Viele meiner ausländischen Bekannten fühlen sich genauso."