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Eine Chance für den Amazonas

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik
Am "Tag des Feuers" dürften Bauern tausende Brände gezielt gelegt haben, um zu neuen Ackerflächen zu kommen.
© reu

Die Brände im Regenwald können auch eine Chance sein - vorausgesetzt, der Rest der Welt lässt den Worten Taten folgen.


Brasilia. Es sind Bilder, die Tatkraft signalisieren sollen. Über Boliviens Wäldern lässt der "Global Supertanker" aus der Luft Tonnen von Wasser ab, die die riesige Boeing 747 in ihrem Bauch bis ins Katastrophengebiet fliegt. Brasiliens Verteidigungsministerium veröffentlicht ebenfalls Fotos von Militärflugzeugen, die über der Feuerwalze Wasser ablassen. Es sind martialische Szenen, die erahnen lassen, welcher Kampf gerade im Amazonas ausgefochten wird.

Derzeit versucht Brasilien mit internationaler Hilfe, tausende Feuer zu bekämpfen. Präsident Jair Bolsonaro setzt auf Israel, dass ein Spezialflugzeug schicken will. Insgesamt rund 44.000 Soldaten sollen im Einsatz sein, um im Kampf gegen die Flammen zu helfen. Zuvor hatte die brasilianische Überwachungsbehörde erneut Alarm geschlagen. Sie hatte per Satellitenüberwachung seit Jahresbeginn mehr als 71.000 Brände im Amazonas gezählt. Mehr als die Hälfte davon seien im August entstanden. Lokale Medien berichteten über einen "Tag des Feuers", bei dem Bauern und Landarbeiter in einer konzertierten Aktion die Brände gelegt haben sollen, um durch illegale Brandrodung zu neuen Ackerflächen zu kommen. Verabredet haben sie sich scheinbar in WhatsApp-Gruppen. Das ist nun Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.

Feuer lässt Menschen zweifeln

Die martialischen Szenen verdeutlichen auch, woran es in dieser Region der Erde krankt. Es gibt keinen länderübergreifenden Katastrophenschutz, keine Leitzentrale, die einen Überblick über die Lage im Amazonas geben kann und von der aus sich die betroffenen Länder gegenseitig helfen könnten. Eines der größten Ökosysteme der Erde verfügt über keinen wirksamen Schutzmantel gegen Großfeuer. Brandschutz war weder Priorität von linken noch von rechten Regierungen in der Region. Grüne Parteien, deren Markenkern die Umweltpolitik ist, führen ein Mauerblümchendasein und können kaum Druck auf die etablierten Lager links und rechts der Mitte ausüben. Dass sich Bolsonaro zu peinlichen Bemerkungen über die Ehefrau des französischen Präsidenten Emanuel Macron hinreißen lässt, zeigt, dass der starke Mann in Brasilia weder die Dimension der Krise verstanden hat, noch ihr gewachsen ist. Macron konterte beim G7-Gipfel in Biarritz, er wünsche sich in Brasilien einen Präsidenten, die diesem Amt auch gewachsen sei.

Für Bolsonaro entwickelt sich der Amazonas-Großbrand zu einem politischen Desaster. Beginnend mit den falschen Anschuldigungen gegenüber Nichtregierungsorganisationen bis hin zu einem zu späten und zu laschen Eingreifen. In der Kritik steht auch Umweltminister Ricardo Salles, der eigentlich zum Schutz des Amazonas verpflichtet ist, sich aber als Lobbyist der Agrarindustrie entpuppt hat und in der Krise ebenfalls ein katastrophales Bild abgibt. Salles findet, dass das ökologisch sensible Gebiet kapitalistisch erschlossen werden soll. In Brasilien gibt es für diese Haltung durchaus Zustimmung, doch die Feuer lassen nun immer mehr Menschen an dieser Politik zweifeln. Schwer vorstellbar, dass Salles diese Krise politisch überleben wird - Bolsonaro wird schon bald ein politisches Opfer brauchen. Dass nun auch in den reicheren Stadtteilen Rio de Janeiros gegen ihn demonstriert wird, dürfte Bolsonaro eine Warnung sein. Hier ist eigentlich seine Wahlklientel zu Hause.

Amazonas im Scheinwerferlicht

Und doch hat diese für das Weltklima so gefährliche Katastrophe auch etwas Gutes: Erstmals rückt der Amazonas-Regenwald und seine Bedeutung für das Weltklima auf die Tagesordnung der Weltpolitik. Frankreichs Präsident Macron schlägt einen milliardenschweren globalen Fond für den Amazonas vor. Ähnlich äußert sich Kolumbiens Präsident Ivan Duque, der einen von den Vereinten Nationen abgesegneten Pakt ins Spiel bringt. Es scheint sich eine Forderung durchzusetzen, die seit Jahren von Umweltschutzorganisationen angebracht wird: Der Regenwald ist ein Fall für die UNO und die gesamte Menschheit. Die diplomatische Kunst ist, davon auch einen Klimaleugner wie Bolsonaro zu überzeugen. Dass er nun auf den weltweiten Druck eingeht, lässt zumindest einen Funken Hoffnung zu. Vielleicht ist die Bolsonaro-Regierung nicht gänzlich unempfänglich für multilaterale Abkommen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, ihn in dieser Woche anzurufen. Auf das Gespräch darf man gespannt sein.

Mit dem Schutz des Regenwaldes ist die wirtschaftlich schwache Region überfordert, das ist Aufgabe der gesamten Menschheit. Es wäre so etwas wie die erste internationale Kooperation zum Schutz eines wichtigen Ökosystems. Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller umreißt schon einmal, um welche Dimensionen es sich bei dieser Hilfe handeln muss: "Die G7-Staaten müssen bis zum UN-Klimagipfel im September die Zusage verbindlich einlösen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutzprogramme in den hauptbetroffenen Ländern zu investieren."

Viel Zeit bleibt nicht

Für die sogenannte erste Welt wäre ein solches Programm auch eine Chance, etwas von dem Schaden wieder gutzumachen, der durch die Kolonialpolitik der vergangenen Jahrhunderte entstanden ist sowie durch ein Wirtschaftssystem, das für massive Ungerechtigkeiten sorgt. Für den Amazonas ist das alles eine große Chance. Vielleicht ist es die letzte, um dieses weltweit einzigartige Ökosystem zu retten.