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Israels Problemkinder

Von Michael Schmölzer und Gerhard Lechner

Politik

Am Dienstag wird wieder einmal ein neues Parlament gewählt. Offizieller Grund ist ein Streit darüber, ob auch Ultraorthodoxe zum Militär müssen. Ein Konflikt, der seit Jahren die Wogen hochgehen lässt.


Am Dienstag werden die Israelis zu den Wahlurnen gerufen. Wieder einmal, schließlich fand das letzte Votum erst im April statt. Der rechte Block um Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu hatte eine Mehrheit, zu Bildung einer Regierung kam es allerdings nicht. Der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman verhinderte eine Koalition durch eine Forderung, die in Israel schon lange für reichlich politischen Sprengstoff sorgt. Es geht dabei um ein Gesetz, das strengreligiöse jüdische Männer zum Militärdienst verpflichten soll.

Bisher sind die Religiösen, Haredim genannt, vom dreijährigen Militärdienst ausgenommen - eine Regelung, die seit der Ausrufung des Staats Israel 1948 gilt. Lieberman will damit ein für alle Mal Schluss machen und durchsetzen, dass auch die orthodoxen Torah-Schüler ihre "nationalen Pflichten" erfüllen. Die Vertreter der religiösen Parteien Shas und Torah-Judentum, ohne die Netanjahu im israelischen Parlament, der Knesset, keine Mehrheit hat, lehnten das empört ab. Netanjahus Regierungspläne waren damit vorerst einmal Geschichte.

Auch Zivildienst wird abgelehnt

Die Frage der Privilegierung der rund eine Million Ultraorthodoxen - für Frauen, die generell wehrpflichtig sind, gilt die Regelung auch - sorgt in Israel seit Jahren für Empörung und hitzige Diskussionen. Die Religiösen argumentieren, dass sie durch das Studium der Torah genug für das Vaterland leisten würden. Der durchschnittliche Israeli sieht aber nicht ein, warum er drei Jahre Wehrdienst unter kriegsähnlichen Bedingungen ableisten muss, während andere sich scheinbar drücken. Die Rede ist von "Schmarotzern", die die Sicherheit in einem von Feinden umgebenen Land genießen, während andere ihren Kopf hinhalten müssten.

Wobei die Verhandlungsbereitschaft der israelischen Orthodoxen beschränkt ist. So wurde ein eigenes Bataillon für Strenggläubige gegründet, wo Sonderregeln herrschen, was koscheres Essen, Gebets- und Studienzeiten betrifft. Das hat es für einige streng Religiöse leichter gemacht, den Dienst an der Waffe anzutreten. Die meisten sind aber auch nicht bereit, einen Zivildienst - etwa beim Roten Davidstern - abzuleisten.

Einige, die den Staat Israel per se nicht anerkennen, weil die Rückkehr des Messias noch aussteht, melden sich nicht einmal bei den zuständigen Behörden. Diese gelten als Deserteure und werden von der Militärpolizei abgeholt, was in der Vergangenheit mehrfach für gewalttätige Ausschreitungen gesorgt hat. Der radikale Kern der Haredim würde einen mehrjährigen Aufenthalt in Gefängnis dem Militärdienst vorziehen.

Leben unter der Armutsgrenze

Die in mehrere rivalisierende Gruppen gespaltenen Ultraorthodoxen führen ein streng reguliertes Leben abseits der säkularen Gesellschaft. Weltlichem Wissen stehen sie ablehnend gegenüber, Fächer wie Englisch oder Mathematik werden in ihren Schulen nicht unterrichtet. Beim Wehrdienst kommen sie allerdings mit dieser Art Wissen in Kontakt - etwas, was ihnen nicht immer gut bekommt: Die Jahre als Soldat mindern nämlich bei den strenggläubigen Juden die Chancen auf dem Heiratsmarkt. Auch gewalttätige Attacken auf "Verräter" - also Ultraorthodoxe, die eingerückt sind - müssen die jungen Haredim befürchten.

Das Leben abseits der weltlichen Gesellschaft hat einen hohen Preis: Mehr als die Hälfte der Haredim leben unter der Armutsgrenze. Die Väter gehen meist nicht arbeiten, widmen sich ganz dem Studium der religiösen Schriften. Geheiratet wird früh, die Kinderzahl pro Frau beträgt im Durchschnitt 7 Kinder. Geld hat keinen hohen Stellenwert.