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Radikal fürs Klima

Von Ronald Schönhuber

Politik

Aus Sicht der Extinction Rebellion sind die freundlichen und gesitteten Fridays-for-Future-Proteste der falsche Weg. Die Aktivisten setzen bei ihren weltweiten Aktionen auf zivilen Ungehorsam.


Wenn die Fridays-for-Future-Bewegung auf die Straße geht, dann bringen die Schüler nicht nur Transparente und selbstgebastelte brennenden Weltkugeln mit, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Es gibt auch Seifenblasen und lustige Schneemann-Kostüme, da und dort sieht man auch ein paar Jugendliche, die mit Schwimmreifen und Schwimmflügerln auf den drohenden Anstieg des Meeresspiegels hinweisen wollen. Denn trotz der Ernsthaftigkeit, mit der jungen Aktivisten ihre Anliegen verfolgen, schwingt bei den Fridays-for-Future-Aktionen immer auch ein wenig Festival-Stimmung mit. Die Atmosphäre ist friedfertig und freundlich, von jeglicher Form der Radikalität ist man weit weg.

Was Fridays for Future aus Sicht von Protestforschern zum Sympathieträger macht, ist aus Sicht anderer Klimaschutzaktivisten allerdings die falsche Strategie. "Wir wollen zeigen, dass ziviler Ungehorsam funktioniert", sagt Julia Weiß von der Umweltbewegung Extinction Rebellion, die angesichts der Dringlichkeit des Klimawandels nicht nur einen fundamentalen Systemwandel fordert, sondern auch für deutlich brachialere Maßnahmen eintritt.

So haben sich die Aktivisten schon seit Wochen für ihre große Protestaktion am Montag vorbereitet, bei der in mehr als 60 Städten weltweit, darunter Paris, London oder Wien, das öffentliche Leben an einigen zentralen Punkten lahmgelegt werden sollte. In den Trainingscamps wurde das richtige Verhalten geübt, wenn Sondereinsatzkräfte versuchen, Sitzblockaden auf Straßen und Plätzen aufzulösen. In den ausgegebenen Broschüren konnten die Aktivisten genau nachlesen, wie man am besten in aufgeheizten Situationen mit Polizisten kommuniziert. In London, Amsterdam und Wien werden bei den Protestaktionen dann auch tatsächlich insgesamt hunderte Menschen festgenommen, als die Polizei die unangemeldeten Klimademonstrationen beendet und dabei auch mehrere Blockaden wie etwa an der Westminster Bridge oder am Wiener Getreidemarkt räumt.

Misstrauen gegen den Staat

Die Konfrontation mit der Staatsgewalt gehört bei der Bewegung, die sich die Rebellion gegen das Aussterben auf die Fahnen geschrieben hat, allerdings nicht nur dann zum Programm, wenn es um gewaltfreie Sitzblockaden oder Protestaktionen mit Kunstblut im öffentlichen Raum geht. Die Umweltgruppe, die vor allem in Großbritannien zu einer schlagkräftigen Organisation mit mehr als 150.000 Unterstützern geworden ist, aber auch in vielen anderen Ländern immer mehr Zulauf bekommt, traut dem Staat und der parlamentarischen Demokratie bei der Lösung der Klimafrage auch grundsätzlich nicht mehr über den Weg. So propagiert die Gruppierung neben dem zivilen Ungehorsam auch die Einrichtung von Bürgerversammlungen, die mit Hilfe von Experten Beschlüsse fassen sollen, die dann von den nationalen Regierungen verbindlich umgesetzt werden müssen. "Wir sind hier, weil die Regierungen nicht genug gegen den Klima-Notfall unternehmen", sagt die Demo-Teilnehmerin Lizzy Mansfield in London.

Als Gerüst für den Aufstand dient dabei ein 79 Seiten langes Manifest, das der Aussteiger und Sozialwissenschafter Roger Hallam verfasst hat. In diesem wirft der 53-Jährige, der mittlerweile wegen Drohnenstöraktionen am Flughafen Heathrow in Haft sitzt, den Eliten vor, sehenden Auges ein Massensterben zuzulassen, und stellt dem das Aufbegehren der Bürger entgegen, die mit vielen dezentralen Aktionen des zivilen Ungehorsams ein Umsteuern erzwingen.

Die Wende will Hallam dabei schnell und radikal vollziehen. So müssten die Staaten schon in den nächsten fünf Jahren klimaneutral werden, um den sozialen Kollaps zu verhindern, und nicht erst, so wie derzeit geplant im Jahr 2050. Denn ebenso wie ein Patient nach einer Krebsdiagnose müsste sich auch die Menschheit nach Hallams Ansicht komplett umstellen, um noch eine Chance aufs Überleben zu haben.