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Die Türkei will "Terrorkorridor" sprengen

Von Michael Schmölzer

Politik

Ankara startet Angriffe auf kurdische Stellungen in Syrien und will eine Sicherheitszone schaffen.


Die Türkei hat ihre Ankündigung wahr gemacht und mit dem Einmarsch in Nordsyrien begonnen. Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete via Twitter, dass die "Operation Friedensquelle" gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten der YPG begonnen habe. Man wolle den "Terrorkorridor" an der türkischen Grenze beseitigen. Aus türkischen Quellen hieß es, dass die Offensive mit Luftschlägen und mit schwerer Artillerie unterstützt werde. In der Stadt Ras al Ain waren heftige Explosionen zu hören. Türkische Artillerie begann mit dem Beschuss von YPG-Stützpunkten und kurdischen Munitionsdepots. Ein Augenzeuge berichtete, dass in Tel Abjad, in Qamishli und Ain Issa Explosionslärm zu hören und schwarze Rauchsäulen zu sehen seien.

USA lassen Kurden alleine

Zunächst war es Ankara am Mittwoch darum gegangen, die Partner in der Region über die geplanten militärischen Maßnahmen zu informieren. Der türkische Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun schrieb in der "Washington Post", die Kurden hätten jetzt noch Gelegenheit, "überzulaufen". Andernfalls habe die Türkei "keine andere Wahl, als sie von der Störung unserer Anti-IS-Maßnahmen abzuhalten".

Zu Beginn der Kämpfe erging ein verzweifelter kurdischer Aufruf an die USA und deren Verbündete, eine Flugverbotszone über nordsyrischem Territorium zu errichten, um den Angriffen Einhalt zu gebieten. Die USA und die gesamte internationale Gemeinschaft würden für eine mögliche "humanitäre Katastrophe" verantwortlich gemacht, so die Kurden. Bereits jetzt seien Zivilisten bombardiert und getötet worden.

Von Washington haben die in Bedrängnis geratenen Kurden keine Hilfe zu erwarten. Immerhin hat US-Präsident Donald Trump den türkischen Einmarsch erst dadurch möglich gemacht, dass er die in Nordsyrien stationierten US-GIs aus innenpolitischen Motiven aus der Region abziehen ließ.

Dass er die einstmals verbündeten Kurden damit ans Messer liefert, will Trump nicht gelten lassen. Diese seien hervorragende Kämpfer und könnten sich sehr gut alleine wehren. Außerdem würde Washington weiter Geld und Waffen schicken.

Ob Trumps Drohung an Ankara, die türkische Wirtschaft zu ruinieren, sollte Ankara bei seiner Offensive ein "Tabu" brechen, Wirkung zeigt, ist ungewiss. Dass die Türkei Kriegsverbrechen begehen und etwa chemische Waffen einsetzen wird, ist nicht wahrscheinlich.

Um den Blutzoll türkischer Soldaten möglichst gering zu halten, hat Ankara auch in der Vergangenheit immer arabische Verbündete vorgeschickt. Diese Söldner - es handelt sich um tausende Kämpfer - meinten am Mittwoch, man werde keine Gnade zeigen und die Kurden mit "eiserner Faust" bezwingen.

Trump denkt an Wahlen

Die Kurden sind allerdings ebenfalls kampferprobt und kein leichter Gegner. Es wird ohne Zweifel auch zu türkischen Verlusten kommen. Seit 2016 ist die Türkei bereits zwei Mal gegen die YPG vorgegangen. Die Frage ist unter anderem, ob die Kurden Panzerabwehrsysteme aus den USA besitzen und wenn ja, in welcher Zahl. Bei der türkischen Offensive im syrischen Afrin 2018 wurde mindestens ein türkischer Panzer mit hochentwickelter US-Technologie zerstört.

Auch am Mittwoch sollen Raketen aus Syrien auf türkischem Territorium explodiert sein.

Der US-Präsident denkt bei seinem Manöver in Syrien bereits an die bevorstehenden Wahlen. Er will seinen Anhängern zeigen, dass er in der Lage ist, US-Soldaten aus internationalen Gefahrenzonen nach Hause zu bringen. Im Fall Afghanistan hat das nicht geklappt, jetzt in Syrien vorerst schon. Und die Bilder von den heimkehrenden "Boys" in Uniform sind etwas, was in den USA gut ankommt.

Im Kongress hat Trump mit seiner Initiative für einen Aufschrei der Empörung gesorgt. Der Alleingang des Präsidenten kommt auch bei den Republikanern sehr schlecht an. Die Rede ist von strategischer Kurzsichtigkeit und von Verrat an den Kurden, einst verlässliche Partner im Kampf gegen den IS. Sicher ist, dass die USA bei der Gestaltung der syrischen Zukunft nur noch sehr wenig mitzureden haben werden. Die Initiative ist bereits in den vergangenen Jahren an Russland, die Türkei und den Iran übergegangen, die ihre Interessen bei regelmäßigen Treffen koordinieren.

Juncker verurteilt Türkei

Ein Gegner des türkischen Vorstoßes sitzt mit Präsident Bashar al-Assad in Damaskus. Syrische Medien zitierten aus dem Außenministerium, Syrien sei "entschlossen, die türkische Aggression mit allen legitimen Mitteln zu vereiteln". Damit will man in Damaskus in erster Linie unterstreichen, dass man nach wie vor Anspruch auf das gesamte syrische Territorium stellt. Russland, das auf der Seite Assads in den Krieg eingegriffen hat, warnt ebenfalls vor einem drohenden Flächenbrand in der Region. Der Iran, der das Regime in Damaskus auch mit Kämpfern und Waffen unterstützt, hat die Türkei zur Vorsicht gemahnt.

Deutliche Worte fand Noch-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Türkei solle den Militäreinsatz sofort beenden, dieser werde "nicht zu guten Ergebnissen führen".